Zwischen Wochenende, Anorexie und Therapie


Das Wochenende ist dann mal wieder vorbei.
Und nachdem ich die Bude jetzt das zweite Mal dieses Wochenende geputzt habe und die Wäsche endlich hängt, habe ich das erste Mal an diesem Wochenende Zeit, mich mit einer Kaffeetasse (ja, es ist schon Abend, aber das ist egal, so etwas muss man am Wochenende ein Mal gemacht haben, er ist immerhin koffeinfrei…) in mein Bett zu verkrümeln.
Neben mir das Neuro – Script. Was habe ich dieses Wochenende geschafft in puncto Neuro? Genau, gar nichts.
Und als gestern Abend ein wenig Zeit war, zog meine Schwester es vor, auf der Tastatur herum zu klimpern wie eine Verrückte. Und da half auch kein: „Könntest Du das bitte leiser machen, oder Dich anders beschäftigen?“ Nö, warum auch? Man ist ja schließlich Besuch und darf so ungefähr alles…

Ich bin einfach vollkommen überreizt. Hauptsache, wir haben Donnerstag noch darüber gesprochen und ich habe erklärt, dass ich Besuch nicht so gut finde, weil ich irgendwann auch mal Zeit für mich brauche und endlich mal Neuro lernen muss. Zwar sagt der Neuro – Oberarzt, dass er keine Erwartungen hat, aber nachdem was er mir alles ermöglicht hat: Natürlich hat er Erwartungen.
Jedenfalls, die Antwort: „Ach Mondkind, jetzt habe ich schon meine Tasche gepackt, jetzt komme ich.“ Und wohlweislich hat sie mir auch nicht gesagt, wann sie los fährt, damit ich gar nicht erst auf die Idee kommen kann anzurufen und ihr zu sagen, dass sie doch bitte dort bleiben soll, wo sie ist. Man stand dann einfach des Abends vor meiner Tür.

Jetzt kann man natürlich fragen: Stört das wirklich so sehr? Ja, tut es. Und das noch nicht mal primär wegen der ständigen Unternehmungen. Heute waren wir an einem nahe gelegenen See und es sind wirklich ein paar schöne Bilder entstanden, auch wenn ich so schwach war, dass ich kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Schlimmer ist da, dass sie bei jedem Besuch mindestens ein Kilo weniger auf den Rippen hat. Und man sich dann künstlich darüber wundert, wieso man denn so friere. Und mir dann unbedingt auf die Nase binden muss, dass man ein T – shirt, einen dünnen Pullover, einen dicken Pullover, eine Felljacke und eine Outdoorjacken anziehen muss, um nicht zu erfrieren – blaue Hände hat man trotzdem. 

Ein nahegelegener See🐋



Mehr Bio geht nicht 😁😋

Kindheitserinnerungen... - mein Papa hat früher immer Holunderbeersuppe gekocht...👆




„Was denken Sie, wenn Sie ihre Schwester sehen?“, wurde ich mal gefragt. „Ganz ehrlich, es ist wahrscheinlich die falsche Antwort, aber ich könnte sie an die Wand klatschen“, habe ich zurück gegeben und gelernt, dass das eine ehrliche und häufige Aussage ist. Wenn man sich das Jahre angeschaut hat, lassen anorektische Personen ihr Gegenüber häufig aggressiv zurück. Denn man kann einfach nichts machen. Alle Psychologen haben ja laut Meinung meiner Schwester einen Sockenschuss und sie sei ja gar nicht krank und überhaupt…
Ich weiß, dass sie halt auch nicht viel dafür kann. Wobei ich sagen muss, dass das bei mir damals schon eine bewusste Entscheidung war, zuzunehmen. Zum einen, weil mein Körpergefühl mit 20 Kilo mehr oder weniger gleich schlecht ist, zum anderen, weil ich selbst entscheiden wollte, wer etwas weiß und wer nicht. Ich wollte nicht, dass die Leute sich schon Sorgen machen, wenn sie mich anschauen. Ich wollte einfach mal „normal“ sein. Zumindest hin und wieder. Obwohl ich ehrlich zugeben muss, mich ab und an in diese Zeiten zurück zu sehnen. Dann käme vielleicht wenigstens kein „na Sie haben aber Luxusprobleme“ mehr.

„Normal“ auszusehen erfordert nun mal, dass man kommuniziert. Und darin bin ich eben auch keine Leuchte.
Ich frage mich, was ich aus der Therapiestunde am Freitag mache. Im Moment bin ich mir ja sowieso noch nicht einig mit mir, ob ich die Therapeutin nicht anrufe und ihr sage, dass das einfach nicht geht. Das ist ja schon wieder ein nicht existierendes Wochenende und ich schiebe schon jetzt Panik, weil es wieder Stress wird, den ganzen Haushalt darum herum zu basteln, die Wäsche zu machen und ich in der Woche danach auch noch eine Backaktion starten muss, weil dann schon mein letzter Tag auf der Inneren ist.

Ich weiß halt nicht, was ich ihr über die letzte Woche erzählen kann. Es gab diesen einen guten Tag, an dem ich hier auch geschrieben habe, aber auch zwei Nächte, von denen ich wirklich nicht wusste, ob ich die packe. Wenn man wieder ein bisschen klar denken kann, finde ich das jedes Mal erschreckend, wie sehr das rationale Denken ausgeschaltet ist. Natürlich ist meine Situation im Gesamten gerade gut so, wie sie ist. Ich habe lange dafür gekämpft, dass ich jetzt hier sein kann. Aber wenn die Tage mich so zerreißen und die Schwere so übermächtig ist, dann will ich da einfach nur raus. Und da im Regelfall keiner Bescheid weiß und die Menschen ja auch nicht viel machen könnten, außer das mit mir auszuhalten – abnehmen kann mir das ja keiner – sind dann ganz schnell die Suizidgedanken wieder da. Ich habe hier tatsächlich einen Krisendienst gefunden und mir die Nummer an zwei Stellen geklebt, an denen ich vor der Ausführung definitiv noch vorbei komme. Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich Hochachtung vor diesen Menschen habe, die da am Telefon sitzen und nicht wissen, was die Menschen nach dem Telefonat machen. Und es da bestimmt nicht nur mich gibt, die da eine ganze Menge Mist erzählt und nach Ewigkeiten doch auch mal auf den Trichter kommt, dass das keine adäquate Lösung ist, stelle ich mir das sehr anstrengend vor.
Nur wenn ich das so erzähle… - ich weiß nicht, ob sie mich gehen lässt. Man kann mir zu Gute halten, dass ich wirklich alles versucht habe und es am Ende ja auch irgendwie funktioniert hat… - Wenn auch mehr mit dem Hintergedanken an den Neuro – Oberarzt. Das kann ich einfach nicht bringen nach allem, was er für mich getan hat.

Und dann ist so generell die Frage, wie die Sache mit der Therapie weiter geht. Meine Therapeutin meinte ja, dass sie das nur noch bis maximal Ende des Jahres mit mir machen kann und hätte sie keine Ausnahme für mich gemacht, wäre ich schon seit Ostern nicht mehr bei ihr.
Es gibt einen Nachfolger, aber ich bin mir im Moment nicht sicher, ob ich das möchte. Denn es ist eben doch immer Stress. Dann geht es als nächstes im Chirurgietertial weiter, dass ich ständig zum Chef laufen und fragen muss, ob ich mal eine Stunde eher gehen kann. Und dann schiebe ich wieder die überaus wichtige Doktorarbeit vor das Loch, was die größte Lüge überhaupt ist. Und bis ich zu einem neuen Menschen Vertrauen gefasst habe, bin ich wahrscheinlich schon gar nicht mehr in meiner Studienstadt. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, wie das ohne Therapie weiter laufen soll, aber ich möchte mir den damit verbundenen Stress auch nicht weiter antun.

Ein Stressfaktor ist eben auch immer die Zeit. Ich weiß, dass ich mit meiner Therapeutin noch bis Ende des Jahres Zeit habe. Das sind noch rund vier Monate; ich werde vielleicht noch drei bis vier Mal da sein. Was soll man in der Zeit noch reißen? Ich habe immer so gehofft, eines Tages stabil zu sein, wenn sich unsere Wege trennen.

Ich habe mir übrigens gestern Abend – lernen war ja nicht drin – nochmal meine eigenen Aufzeichnungen zu den beiden Terminen nach dem Examen, die in einem Abstand von zwei Tagen lagen, durchgelesen. Die eigentlich dazu dienen sollten, mich dem neuen Therapeuten zu übergeben und die Kliniksache zu organisieren. Unfassbar, wie viel Traurigkeit, Enttäuschung und auch Wut darin steckt. Ich wusste, dass man das Thema mit der Suizidalität mal durcharbeiten muss, damit das hier vielleicht nicht in der Intensität passiert. Es hat halt leider nicht geklappt, weil man es in der Familie vorzog die Tochter mit allen erpresserischen Mitteln, die man so zur Verfügung hatte, von ärztlicher Hilfe fern zu halten.
Und am Ende bin ich diejenige, die das hier aushalten und hinbekommen muss . Und wenn es nicht klappt, bin auch ich diejenige, die nie wissen wird, wie ihre Zukunft ausgesehen hätte, wenn sie die noch erlebt hätte.

Morgen ist ein neuer Montag. Mal sehen, wo der für mich losgeht. Ich spekuliere ein wenig auf die Notaufnahme. Und wie sich die Woche dann entwickelt… - ob ich wirklich wieder die Mammuttour antrete oder nicht… - Ihr werdet es sehen. Aber wenn, dann sollte ich sehr genau überlegen, was ich wie ansprechen möchte, damit sich das zumindest irgendwie lohnt.

Allen Lesern wünsche ich einen guten Wochenstart!
Mondkind

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