Ist da jemand?

Ist da jemand, der mein Herz versteht?
Und der mit mir bis ans Ende geht?
Ist da jemand, der noch an mich glaubt?
Ist da jemand? Ist da jemand?
Der mir den Schatten von der Seele nimmt?
Und mich sicher nach Hause bringt?
Ist da jemand, der mich wirklich braucht?
Ist da jemand? Ist da jemand?
 
(Adel Tawil - Ist da jemand)


Noch genauso aktuell wie am ersten Tag.
Als ich das Lied das erste Mal gehört habe und anschließend für den Rest des Tages nicht mehr zu gebrauchen war.

Es war ein Auf und Ab bevor ich in meiner Studienstadt die Zelte abgebrochen habe. Zeiten von absoluter Verzweiflung, weil mir klar war, dass ich nicht weiß was ich machen soll, wenn genau das passiert, das jetzt eben passiert.

Und irgendwann hieß es: Wir kriegen das hin.
Man sei ansprechbar. „Es gibt immer eine Lösung.“ Man bastle einen Notfallplan mit mir.
Und irgendwie schien das zu reichen. Ein paar Freunde, die man anrufen kann. Die Ambulanz telefonisch erreichbar, zur Not irgendwie hinfahren. Ein Neuro – Oberdoc, der auch zumindest ein bisschen Bescheid weiß.
Drei Säulen. Irgendeine davon würde schon tragen.

Und irgendwie…
Es heißt, telefonieren bringt nichts.
Die meisten der Freundschaften, die doch anfingen etwas enger zu werden, driften glaube ich gerade auseinander.
Der Neuro – Oberdoc meinte zwar ich soll ihm Bescheid sagen, bevor es überhaupt nicht mehr geht und ich nicht mehr auf der Neuro ankomme, aber das geht wirklich nicht. Zumal ich in solchen Zeiten noch hasenfüßiger drauf bin, als sonst. Dass er ein bisschen etwas weiß, das ist jetzt so. Ändern kann ich es nicht. Ob es gut oder schlecht ist, weiß ich nicht, aber ich möchte das fortan doch ein wenig trennen.

Auf die Frage „Ist da jemand?“ gibt es kein leises „Hier“ mehr.
Keinen, der in dieser Endlos – Gedankenschleife, in der ich alles anzweifle mal ein Stopp – Schild aufstellt. Keinen, der diese Schwere zumindest mal für eine Stunde  mit aushält. Keinen, der die Hoffnung für mich ein Stück tragen kann, solange ich nicht dazu fähig bin.

Wie lange ich so noch arbeiten kann, weiß ich nicht.
Ich hatte heute Patientin – das war eigentlich überhaupt nichts Schlimmes. Sie kam gestern mit Oberbauchschmerzen und man hatte den Verdacht auf eine Gallenblasenentzündung. Das hat sich in der Sonografie nicht bestätigt, aber man hat Gallensteine gesehen. Heute sollte sie dann nochmal zur Magenspiegelung, um auszuschließen, dass die Schmerzen von dort kamen. Die Schmerzen waren eigentlich schon längst wieder verschwunden.
Ich habe ihr dann heute Nachmittag nochmal Blut abnehmen lassen und plötzlich schnellten die Leber- und Cholestaseparameter signifikant nach oben, obwohl das Labor gestern Abend völlig unauffällig war.
Natürlich ist das nicht der erwartete Verlauf. Eigentlich sollte sie nach der Magenspiegelung gehen. Aber ein Drama ist es auch nicht. Den Oberarzt anrufen, Bescheid sagen und im besten Fall noch einen Vorschlag bringen.
Leider kann man nur – wenn man den ganzen Tag viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist – nicht mehr denken. Also hatte ich keine weiteren Theorien parat, woher die Werte kommen könnten, wie man das herausfinden könnte und wie man anschließend therapieren könnte.
Ich hatte nur wahnsinnige Angst in meinem Tran irgendetwas verpasst zu haben, die Blutabnahme zu spät gemacht zu haben, den Oberarzt zu viel zu nerven. Ich habe mir vorgeworfen nicht genug auf meine Patientin aufgepasst zu haben und nicht schnell genug gehandelt zu haben.
Und dann stand ich ganz zittrig und klatschnass geschwitzt (okay, das ist bei dem Wetter auch nicht so schwer) vor dem eigentlich liebsten Oberarzt der Abteilung. Er schimpft nie.
Ich glaube, ich habe ihm echt ein bisschen leid getan, er hat mich versucht zu beruhigen, mich gelobt, dass ich überhaupt nochmal ein Labor gemacht habe, obwohl es gestern komplett unauffällig war und die Patienten die Stecherei jeden Tag meist nicht so cool finden und erklärt, dass das nun mal Medizin ist und so etwas passieren kann und ich daran keine Schuld habe.

Und ich glaube, wenn ich nicht so neben der Spur wäre wie aktuell, hätte ich auch nicht so reagiert.

Gestern hatte ich auch schon Theater mit einer Patientin – da war sogar der Chef involviert. Heute habe ich sie letztendlich auf die Chirurgie verlegt und sie hat sich noch ganz lieb bedankt bei mir. Und ich dachte mir nur: Wofür bedankt sie sich denn jetzt? Doch nicht etwa für das Chaos, das ich da verzapft habe.

Tja, so kann es eben auch sein. Permanent für dieses Studium und eine Zukunft zu kämpfen heißt nicht, dass es immer so läuft, wie ich das gern hätte. Und dass ich immer so stark bin, wie ich es an den meisten Tagen vorgebe zu sein. Manchmal fällt diese Fassade ein wenig.
Manchmal übernimmt das Dunkel doch die Herrschaft über meinen Kopf. Und auch das gilt es irgendwie auszuhalten, bis bessere Zeiten kommen.
Ich weiß noch nicht genau wie, aber irgendwie wird es auch diesmal klappen. Ich hoffe nur, ich habe meinen eigentlich recht positiven Eindruck dann nicht völlig ramponiert.
Und wenn man (ich soll ja jedes Schriftstück immer positiv beenden) daran irgendetwas Gutes sehen will, dann kann man sagen, dass es vielleicht zumindest auf der Neuro dann nicht so tief fällt, weil ich es ja gerade erst durch habe. 

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen