On the road again...


Donnerstag Nachmittag.
Mondkind hatte eigentlich damit gerechnet etwas überpünktlich gehen zu können, aber um 15:30 Uhr stellt sich heraus, dass sie noch eine Verlegung organisieren muss. Und Mondkind ist nicht die Einzige, die das zum späten Nachmittag nicht möchte und dadurch muss sie viel herum telefonieren. 

Zurück in der Wohnung muss sie sich ziemlich beeilen und dann zieht sie los zum Bahnhof. Es sind dieselben Fragen wie beim letzten Mal: Wird sie das durchhalten? Ist das alles irgendwie vertretbar? Mondkind macht sich Vorwürfe am Freitag nicht auf der Station zu sein und sich vielleicht zu viele Vorteile heraus zu nehmen. Zwar kommt sie jeden Tag rund eine Stunde eher als alle anderen zum Blut abnehmen, aber beruhigen kann sie das nicht so richtig. 




Heimischer Bahnhof


Dieses Mal hat Mondkind schon etwas Routine, als sie beim ersten Zwischenstopp ankommt. Sie weiß, von wo aus der Bus weiter fährt und verbringt ihre Zeit mit Telefonieren. Zum Einen fühlt sie sich da nicht so allein mit den ganzen merkwürdigen Gestalten, von denen im Laufe des Abends immer mehr zu kommen scheinen. Zum Anderen hat sie wenig Gelegenheit sich weiter Vorwürfe zu machen.

23:30 Uhr.
Der Bus fährt mit etwas Verspätung los. Mondkind hatte schon kurz Angst gehabt, dass auch die Busverbindung dem Sturm zum Opfer gefallen ist. Dieses Mal ist der Bus schon jetzt sehr voll. Mondkinds Kopf schmerzt und sie hätte gern wenigstens ein paar Stunden geschlafen. Aber da einige Leute meinen, dass Videos schauen ohne Kopfhörer mitten in der Nacht eine gute Idee sein könnte, kristallisiert sich schnell heraus, dass Mondkind nicht viel Schlafen wird.
Und so kommt es dann auch. Um 4:30 Uhr kommt Mondkind in ihrer Studienstadt an. Ein ungewöhnlich frischer Wind weht ihr um die Nase und weckt sie ein wenig. Den Rest tut der Kaffee, den Mondkind sich holt – nicht zuletzt aus dem Grund, ihre Fingerspitzen etwas zu wärmen. Wie soll das erst im Winter werden?

Kaffee - Junkee am Start...😋


Um halb 6 in der Früh hört Mondkind das vertraute Klicken und sieht das grüne Leuchten der Labortür, ehe sie sich entriegelt und Mondkind hinein lässt. Bevor die Putzfrauen mit ihrem Tageswerk beginnen, tauscht Mondkind auf einer der Toiletten ihre Fahrtklamotten gegen Jeans und Bluse und putzt noch einmal die Zähne.

Gegen kurz nach 7 kommt dann der MTA. „Mondkind, wie siehst Du denn aus?“
So langsam ist Mondkind müde geworden. Der Stress fällt ein wenig von ihr ab – sie ist angekommen und ihr fallen fast die Augen zu. Der MTA versorgt sie schnell mit dem zweiten Kaffee, ehe Mondkind ihrer Arbeit am Mikroskop nachgeht und später noch aus einem frischen Herz die Papillarmuskeln entnimmt. 

Ein bisschen hat Mondkind das Labor doch vermisst...


Und dann muss sie sich auch schon wieder beeilen und rast schnellen Schrittes in die Ambulanz. Es stellt sich heraus, dass die mit ihrem Zeitmanagement überhaupt nicht zurecht kommen. Mehr als eine Stunde muss Mondkind warten, was ihren restlichen Tagesplan irgendwie sprengt und sie zunehmend unruhiger werden lässt.
Nur um sich im Anschluss wieder von einer Ärztin, die sie kaum 10 Minuten kennt zu hören: „Das sind aber schon eher Luxusprobleme, die Sie da haben…“
Eigentlich hatte Mondkind mal ansprechen wollen, ob man an der Dosierung der Medikamente nicht etwas schrauben könnte, damit zumindest Mondkinds Körper gerade einen besseren Tag – Nacht – Rhythmus erfährt, aber nach dem Kommentar spürt sie, wie da eine Wand zwischen der Ärztin und ihr entsteht. So etwas ist halt immer auch subjektiv. Was für den einen einschränkend ist, muss es für den anderen nicht sein. Letzten Endes kommt es doch irgendwie darauf an, wie der Betroffene die Situation sieht. Wieso muss jemand Mondkind nach 10 Minuten so sehr bewerten?

Die Therapiestunde verläuft dann ganz anders als geplant. Nachdem der Morgen schon sehr stressig gewesen war, Mondkind es aufgrund der langen Wartezeit in der Ambulanz nicht mehr geschafft hat in der WG vorbei zu fahren, um ihr neues Semesterticket abzuholen und eine schlaflose Nacht hinter sich hatte – vielleicht war das am Ende das Bisschen zu viel gewesen zu allem anderen, dass da schon seit Wochen vor sich hin köchelt. Es war, als würde sie nach einer Liane greifen. Und sich damit noch gerade so auf das rettende Plateau schwingen.
„Wie geht es Ihnen?“ Heute scheitert Mondkind schon beinahe an der Frage. „Naja“, erwidert sie und schaut nach unten. „Nicht so gut im Moment.“
„Das habe ich mir gedacht“, erwidert die Therapeutin.
Mondkind soll erklären, was los ist. Aber sie weiß es doch selbst nicht. Sie hat alles, was sie erreichen wollte geschafft, so lange dafür gekämpft und ist doch nicht glücklich. Sie wäre es so gern, aber es ist nicht so.
Mondkind berichtet von den Wirbelstürmen in ihr, von diesem Konglomerat von negativen Emotionen, die sich am Ende dennoch anfühlen, wie die Leere. Sie erklärt, dass sie sich in ihrer eigenen Welt gefangen fühlt, weit weg von den anderen. Dass ihre Welt grauer geworden ist, sie aufgehört hat den Park zu mögen, weil ihr die Vögel zu laut sind.
Und dass ihr generell alles zu viel und zu anstrengend ist und sie eigentlich gefühlt den ganzen Tag nur schlafen könnte.
Mondkinds Stimme ist zu einem Flüstern geworden, manchmal formt ihr Mund die Worte, ohne dass eine Stimme dahinter wäre.

Reizüberflutung, nenne man das erklärt ihre Therapeutin. Und, dass sie wohl gerade durch die ganzen Belastungen in einer Krise festhänge.
Mondkind kann die Belastungen nicht nachvollziehen. Ist sie denn belastet? „Manchmal reicht schon der Jobeinstieg für eine Überlastung aus“, erklärt die Therapeutin. „Ihr Tag ist völlig anders strukturiert, es geht um völlig andere Dinge. Fünf Jahre lang mussten sie nur pauken und jetzt sind sie mit Patienten konfrontiert, mit deren Geschichten, haben Verantwortung. Es sind ganz neue Themen, mit denen sie lernen müssen, umzugehen.
Und dann sei da ja auch immer noch ihre Familie mit den ganzen Schwierigkeiten, die Doktorarbeit und überhaupt die ganze Sache mit dem PJ – Ort und den Hoffnungen, die damit verbunden waren. Und die ohnehin bestehende Grunderkrankung
Das sei mehr als genug, um ein wenig überlastet zu sein.

Mondkind erklärt, dass sie ein wenig Angst vor der Palliativstation hat, auf der sie ab der nächsten Woche arbeiten soll. Sie kommt nicht zurecht mit dem Konflikt der unterschiedlichen Lebenseinstellungen. Da müsse jeder für sich eine Lösung und einen Weg finden, erklärt die Therapeutin. Sie versteht, dass das schwer ist – sie habe auch mal eine Weile auf der Onkologie gearbeitet. Aber wie Mondkind das jetzt für sich löst – dafür scheint es kein Patentrezept zu geben.

Letzen Endes gibt es nicht viele Lösungen in der Stunde. Auch weil Mondkind im Moment nicht bereit für Lösungen ist. Zwar weiß sie, dass es besser werden wird, aber gerade kann sie das eben nicht glauben.
Aber es tut gut mal der Mensch sein zu dürfen, der sie im Moment eben ist. Zwischendurch kommen sie darauf zu sprechen, dass Mondkind heute ziemlich desolat aussieht. Das sei auch mal okay und zumindest die Therapeutin verurteile sie nicht dafür. „Sie haben auch schon so viel geschafft in den letzten Jahren. Es kann nicht immer nur vorwärts gehen.“

„Ich weiß es einfach nicht…“, sagt Mondkind bestimmte ein Duzend mal in dieser Stunde. „Ich weiß einfach nicht, wie das weiter gehen soll. Dieses Leben zwischen dem Gestern und dem Heute und dem Morgen, zwischen diesen verschiedenen Orten, von denen jeder eine Bedeutung hat, ich an jedem irgendwie hänge und irgendwie auch nicht. Es sind nicht bloß Arbeitsorte. Es ist viel mehr als das. Ich habe mich da einfach völlig verlaufen und verrannt gerade.“ Unterwegs bricht ihre Stimme immer wieder, die Tränen stehen in ihren Augen. Und Mondkind erfährt immer wieder, dass das jetzt in dem Moment gerade okay ist.

„Keine Ahnung, wie das nächste Woche weiter gehen soll“, flüstert sie. „Sie werden das schon machen“, sagt die Therapeutin. „Ich glaube, dass Sie das schaffen“, fügt sie hinzu. „Und sonst wissen Sie ja, wo sie hingehen können.“
„Nein das weiß ich nicht. Das ist nicht so einfach. Das Netz der psychiatrischen Versorgung ist dort nicht so ausgebaut. Wenn ich die Fahrkarten schon habe, kann ich heute Nacht durch die Gegend fahren, aber ich kann mir gerade echt nicht überlegen, wie ich jetzt in den Ort mit der nächsten Ambulanz komme. Und dann werden die sich nicht viel Mühe geben. Dann ist doch klar, wie das endet…“

Und ein bisschen fragt Mondkind, wofür sie so viel kämpft. Wird es jemals besser werden? Wird es jemals ein Leben ohne diese ganzen Tiefs geben?

Eigentlich war für den Nachmittag noch ein Treffen mit drei Kommilitonen geplant, aber Mondkind ist gar nicht so böse, dass nun doch jeder anders beschäftigt ist. Zwar hatte sie das so verstanden, dass das alles schon abgemacht sei – die anderen aber offensichtlich nicht.

Nach etwas weniger als 12 Stunden läuft Mondkind wieder ihr Köfferchen hinter sich her ziehend in Richtung Bahnhof. Letzte Etappe für heute. Der Weg zu ihrem Vater. 1,5 Stunden im überfüllten Zug fahren. 
Im Übrigen auch nicht unproblematisch. Denn Mondkind darf ihn besuchen, ihre Schwester versucht das seit 1,5 Jahren und wird immer wieder abgewiesen. Auch für Mondkind ist es schwierig hinzufahren, weil sie sich so schuldig fühlt etwas zu nutzen, das ihrer Schwester aus welchen Gründen auch immer verwehrt bleibt.

Und am Ende… - wie es weiter geht?

„Vielleicht ist es nicht schlecht, dass wir uns in drei Wochen wieder sehen“, hatte die Therapeutin am Ende der Stunde gesagt. Und Mondkind glaubt das auch. Sie braucht einen Anker, der nicht allzuweit entfernt ist. Aber das bedeutet, dass sie in 20 Tagen schon wieder die Mammuttour antreten darf. Und bis dahin der Sommer schon fast vorbei ist. Sie hofft, dass sie ihn noch ein bisschen wird genießen können. Und dass da doch irgendwann wieder Licht ist.

Das wird die Zeit zeigen... Und der Blog wird stiller Zeuge sein.


Mondkind

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