Von der erzwungenen Unmöglichkeit des Scheiterns - Studienstadt und Therapie


Donnerstag, 30. August 2018
Es war ein anstrengender Tag, aber ich habe versucht wieder mehr Motivation zu zeigen. Denn das etwas nicht mehr ist, wie es mal war, ist wohl doch aufgefallen. Die Oberärztin hatte mich angesprochen und gesagt, dass ich recht still geworden sei und wenn ich rede, sehr leise bin. Also habe ich versucht das zu ändern. Die Arbeit darf wirklich nicht leiden unter dem ganzen Chaos.

Schon wieder Palliativstation. Ich soll dort Blut abnehmen. Was bei den Palli – Patienten noch schwieriger ist. Denn die meisten haben durch eine Odysee von Chemotherapien keine Venen mehr. Die Pfleger nehmen es positiv zur Kenntnis, dass ich jetzt auch wieder da bin und fragen, ob sie anrufen dürfen, wenn etwas ist. Dürfen sie.

Ich frage mich den ganzen Tag, was ich mit dem Seelsorger jetzt mache. Ich sehe ihn heute von der Ferne. Hier endlich jemanden zu haben, zu dem man zwar nicht regelmäßig geht, aber der Bescheid weiß, wenn die Hütte mal so sehr brennt wie das aktuell der Fall ist und der auch irgendwie vom Fach und kein Chef ist, wäre schon gut. Aber er ist eben eigentlich für die Patienten da. Zu besprechen gäbe es allerdings eine Menge – auch wenn man alle familiären Themen raus lässt. Ich weiß nicht, wie andere junge Kollegen das machen, aber die Patientenschicksale gehen mir doch sehr nah.

Ich möchte ihn nicht auf dem Flur ansprechen, weil das dann wieder jeder mitbekommt, dass bei mir etwas schief läuft. Ich scheue mich aber auch, ihn anzurufen. Ich könnte ihm auch eine Mail schreiben, aber die Adresse habe ich aus dem Internet gefischt und dann würde er wissen, dass ich mal Freund google bemüht habe. Alles suboptimal.
Am Ende löst sich das Problem beinahe von selbst. Ich bin auf dem Weg zu meinem Fahrrad, ganz in meine „Reisepanik“ des Donnerstags vertieft und öffne mit zitternden Händen das Schloss. „Hallo Mondkind“, ruft es von hinten. „Bist Du immer mit dem Fahrrad unterwegs?“, fragt er und bleibt stehen. Wir reden kurz darüber, ob das denn auf Dauer hier mit dem Rad geht und ich erkläre, dass es zumindest für die Zeit bis Weihnachten kein Problem sein wird.
„Jetzt fass mal Dein Hasenherz zusammen“, sagt es im Innen.
„Also…“, beginne ich, „um nochmal auf das Angebot zurück zu kommen. Ich möchte Ihnen wirklich nicht zu viel Arbeit machen, aber vielleicht könnten wir uns ja doch nochmal zusammensetzen.“ „Können wir gern machen“, sagt er sofort und zückt seinen Terminkalender. „Also nächste Woche bin ich erstmal im Urlaub“, erklärt er. „Aber wirklich nur eine Woche. Ich glaube – wenn ich Sie jetzt im Vergleich zu vor ein paar Wochen sehe, dass das wirklich zeitnah gut wäre.“ Ich erkläre, dass ich dann aber auf der Neuro bin und ja noch gar nicht weiß, wie ich wann Zeit habe. Auf der Neuro sei er auch hin und wieder – ich soll mir von der Rezeption seine Durchwahl geben lassen und dann regeln wir das möglichst flott. „Vielleicht tut es Ihnen doch mal ganz gut…“, sagt er. Und nachdem ich ihm einen schönen Urlaub gewünscht habe, trennen sich unsere Wege.

***
Freitagnachmittag, 31. August 2018. 17:01 Uhr. Labor.
Ich weiß nicht, wie sich die folgenden Zeilen gestalten werden. Wer gerade genug mit sich selbst beschäftigt ist, liest die sie vielleicht besser nicht. 



Fernbushaltestelle mitten in der Nacht... - und wir warten sehnsüchtig auf den Bus

Der Bus kam heute morgen mit über 1,5 Stunden Verspätung in der Studienstadt an. Zwischendurch hatte es noch irgendwelche Unstimmigkeiten gegeben, weshalb wir alle unsere Fahrkarte nochmal vorzeigen mussten, einige Leute im Bus sich lautstark beschwerten und ich mir nur dachte: „Was zum Geier machst Du hier?“

Finally...

Heute Morgen habe ich noch eine Freundin besucht. „Du siehst aber fertig aus“, waren ihre ersten Worte, als sie mich sah. „Danke auch…“, erwiderte ich. Wir liefen ein Mal quer durch die Stadt, weil die Freundin gerade kein Bahnticket hat. Den Redeanteil hat zum Glück sie übernommen. Ich habe gern zugehört, aber erzählen konnte ich nicht. Zu viel Leere im Kopf, zu müde.
Am Bahnhof kauften wir noch ein paar Doughnuts und versicherten uns gegenseitig, dass diese Form der Ernährung die absolute Ausnahme ist. (Ich habe aber tatsächlich in den sechs Jahren Studium hier noch nie welche gekauft, obwohl es sich schon lohnt).

Und dann kam die Frage auf, die ich irgendwann mal durchdenken musste heute… Was mache ich aus der Therapiestunde? Was erzähle ich der Therapeutin? Ich könnte von der anstrengenden Arbeit im Krankenhaus erzählen. Davon, dass es mich auch emotional im Moment ziemlich mitnimmt. Oder von der Familie, oder von der Angst vor der Neuro und den Erwartungen dort. Mein Leben war zwei Jahre lang auf dieses PJ – Tertial ausgerichtet – das ist einfach auch viel, das ich da in den nächsten Wochen von mir selbst fordere.
Oder ich könnte auch einfach mal zum Punkt kommen und von den täglichen, zunehmenden Suizidgedanken in Verbindung mit den fehlenden Möglichkeiten von Hilfe dort unten sprechen. Letzten Endes haben sich die Freundin und ich geeinigt, dass die zweite Variante die Bessere ist, aber das kann eben auch immer ein Schuss in den Ofen werden. Nur leider bringt fehlende Ehrlichkeit in der Therapie eben auch nicht weiter – dann hätte ich mir den Weg halt sparen können.

Die Freundin beschließt, dass sie mich noch zurück an die Uni und bis zur Ambulanz bringt. Und dafür bin ich ihr auch sehr dankbar. Mein Herz schlägt einfach bis zum Hals und rast. 

Warten... - wie oft habe ich schon geglaubt in diesem Wartebereich mein Herz davon galloppieren zu sehen...


Therapiestunde…
Erstmal muss ich einfach nur die Aufmerksamkeit auf den Zettel lenken. Schon das gestaltet sich schwierig, weil sich ein Teil von mir auch einfach wehrt. Aber schließlich liegt er auf dem Tisch. Wird von der Therapeutin aufmerksam gelesen. Und irgendwann verdüstert sich ihre Miene. Ich habe den Rücken ein wenig an die Wand gelehnt, schaue an ihr vorbei gegen die Wand, die in solchen Situationen schon so oft verschwommen in meinem Blickfeld war.

Die Therapeutin erklärt, dass das ja bei mir nun nicht neu sei, aber dadurch, dass ich mich tagtäglich im Krankenhaus mit Tod und Sterben auseinander setze (insbesondere auch, weil ich die Palliativstation mit betreue), erhält das Thema eine gewisse Brisanz. Und dann sei ich ja auch objektiv betrachtet vielen Belastungen ausgesetzt. Lange Arbeitszeiten, Familienproblematik, Doktorarbeit und hohe Ansprüche an mich selbst. Und was ist die Lösung? Ablenkung vom Grübeln durch einen Ausgleich. Ich weiß nicht, wie oft wir dieses Thema schon hatten. Und immer wieder renne ich hier gegen die Wand. Denn ich bin einfach müde. Die ganze Sache würde erfordern, sich aktiv mit Möglichkeiten auseinander zu setzen, eine Entscheidung zu treffen, was ich gerne machen würde, die dann auch noch umsetzen und dabei nach Möglichkeit auch noch Freude empfinden. Und das bei einem Menschen, der es gerade nicht mal schafft, beim Verlag anzurufen und zu fragen, wo das Buch (war übrigens eine Empfehlung meiner Therapeutin zur Selbsthilfe; also wäre schon wichtig), das seit zwei Monaten bestellt ist, denn nun abgeblieben ist.
Wie soll das gehen? Ich kann einfach nicht mehr. Ich weiß, dass es sich sehr nach Jammern anhört und man doch nur „einfach mal machen muss.“ Aber ich kann wirklich nicht mehr.

Die Thematik wird doch nochmal auf die Klinik gelenkt. Denn wie es weiter gehen soll, das weiß keiner so richtig.
Die Therapeutin sagt, dass es auch die Möglichkeit Klinik gibt. Ich erkläre ihr, dass ich das tatsächlich schon in Betracht gezogen habe, weil ich einfach nicht mehr weiß, wie ich das aushalten soll. Ich habe letzte Woche wirklich alle Register gezogen (wer ruft schon bei der Telefonseelsorge an…?) und obwohl es ja sogar dieses eine Gespräch zwischen Tür und Angeln gab, hat es nichts gebracht. Ich habe einfach noch nicht weiter gedacht, als bis heute. Ich erkläre ihr, dass der Neuro – Oberarzt mir gesagt hat, dass ich für die Neuro keinen Urlaub mehr brauche – wir finden andere Regelungen. Eine Möglichkeit wäre, dass ich eine Woche in die Klinik gehe, einfach mal um ein bisschen Abstand zu bekommen und ein bisschen Ruhe in die Sache zu bringen. Dann könnte ich eine Basis finden, von der aus ich weiter machen kann und vielleicht habe ich dann wirklich genug Kraft, um mich mal aktiv um Ablenkung zu bemühen.
Aber hier meint sie, dass eine Woche wohl eher nicht reicht. Wenig ist in meinen Augen immer noch besser als nichts, aber das wäre halt die einzige Möglichkeit, die ich für mich gesehen hätte.

Am Ende reden wir noch darüber, was ich machen kann, wenn es wirklich nicht mehr geht. In die Klinik gehen – obwohl man dahin halt auch eine Stunde mit dem Zug fährt und dann noch irgendwie durch die Stadt muss – keine Ahnung, was es da für Verbindungen gibt.
Diese Diskussion ist im Prinzip auch nicht zielführend, weil ich ihr nicht sagen kann, dass ich es wohl nicht schaffen würde, das alleine alles zu organisieren und dann noch selbst dahin zu fahren. Ich bin ja sowieso in ungewohnten Situationen ein Hasenfuß und betrete viele öffentliche Gebäude tatsächlich nur, weil ich das muss.
Und selbst für mich etwas niedrigschwelligere Hilfen sind nächste Woche nicht zu bekommen. Der Neuro – Oberdoc, der eingeweiht ist, ist im Urlaub. Und der Seelsorger (obwohl ich noch nicht weiß, was ich davon halten soll), auch. Es geht ja nicht mal darum die ganzen brenzligen Themen mit quasi Kollegen zu besprechen, sondern dass überhaupt wer da ist. Manchmal gibt das schon genug Sicherheit.

„Ganz ehrlich“, beginne ich irgendwann, „Wenn da nicht die Neuro wäre, dann wäre es mir sowas von egal was hier passiert. Hauptsache das hört auf. Und ich weiß, dass ich mich viel zu sehr an der Neuro festhalte, aber das war einfach in den letzten beiden Jahren der rote Faden, der mich irgendwie über die Zeit gezogen hat. Das kann ich jetzt einfach nicht gefährden. Und der Neuro – Oberdoc ist auch im Urlaub, bis ich komme. Und dann kommt er zurück und hört erstmal, dass ich auf unbestimmte Zeit nicht da bin… - das geht nicht. Er hat mir einfach so viel ermöglicht…“
Ich versuche mich noch zusammen zu reißen und nicht zu weinen, weil wir ohnehin schon überziehen. „Ich weiß, dass ich sie einfach völlig nerve…“, füge ich hinzu. Und ich glaube, ich nerve sie wirklich.

Am Ende beschließe ich zu fahren. Auch wenn ich weiß, dass die Woche unglaublich hart wird. Wenn man da einmal zu tief drin ist, ist das eine Abwärtsspirale, denn alles was einen wieder hochbringt, braucht entweder viel eigene Kraft, die ja gerade nicht mal für die simpelsten Dinge reicht, oder viel Hilfe von anderen Menschen.
Beides habe ich nicht.
Ich will nicht wissen, wie ich mich fühle, wenn ich Sonntagmorgen im Bus sitze. Wohl wissend, dass sich ein Ort, der zumindest sicher wäre, sich immer weiter entfernt und ich am Ende des Weges 12 Stunden brauchen werde, um zurück zu fahren. In akuten Situationen auch unmöglich.
Aber ich kann nicht eine Woche vor der Neuro aufgeben. So manches Mal frage ich mich, warum die Befürchtungen immer wahr werden müssen. Aber jetzt ist es so und jetzt muss ich darum kämpfen, es zu schaffen. Es hätte vieles anders laufen können, insbesondere nach dem Examen – aber das ist jetzt auch müßig, sich den Kopf darüber zu zerbrechen.

Die Therapeutin bleibt noch kurz am Tisch sitzen. Normalerweise steht sie immer zuerst auf und ich bin unsicher, was sie jetzt von mir möchte. Ich lege das Tuch um meinen Hals und ziehe die Jacke an. Und sie sitzt immer noch.
Und plötzlich wird mir klar, dass sie wahrscheinlich noch nachdenkt. Weil sie weiß, dass ich keine andere Wahl habe, als jetzt zurück zu fahren.
Mein Herz beginnt zu rasen wie verrückt. Sie sieht unglaublich ernst aus. Und irgendwie sind es zwei Seiten in mir, die da gegeneinander rennen. Die eine Seite, die sagt: „Mondkind, wenn das jetzt in der Klinik endet – das verzeihst Du Dir nie.“ Und die andere Seite, gibt es auch noch. Die sich wünscht, dass sie jetzt sagt, dass sie mich nicht gehen lässt. Wahrscheinlich würde ich komplett zusammen brechen, aber ein bisschen erleichtert wäre ich schon auch, dass das an dieser Stelle erstmal alles ein Ende hat. Denn ich selbst hätte die Entscheidung für die Klinik heute nicht treffen können.
Aber sie lässt mich gehen. Ich soll ihr Montag schreiben, ob ich wieder heil angekommen bin.

Der erste Weg führt mich ins Labor, obwohl nach 36 Stunden auf den Beinen auch erstmal ein Kaffee eine Idee gewesen wäre. Schreiben. Das muss jetzt gerade sein.
Neben mir das Handy. Die whatsApp – Nachrichten stapeln sich. Und ich weiß nicht, wo ich jetzt hin fahre. Ich weiß, dass das wieder einen schlechten Eindruck auf die Freunde macht, sie solange warten zu lassen. Aber ich kann es gerade nicht.
Jetzt ist der Punkt gekommen zu überlegen, wie es weiter geht. Es hat so viel Geklungel gegeben in den letzten Tagen – irgendwelche Menschen werden definitiv enttäuscht werden.

Ich habe immer nur bis zur Therapiestunde gedacht. Weiter nicht. Vielleicht, weil ich irgendwo gehofft habe, dass sie diesen eine – Woche – Klinik – Deal mitmacht. Und dadurch habe ich mir das jetzt alles nicht einfacher gemacht. Aber es wird Zeit, zumindest einfach erstmal irgendetwas zu tun. Jetzt erstmal zum Hauptbahnhof zu fahren. Und dann weiter sehen. Und am Sonntag völlig automatisiert in diesen Bus zu steigen.

Mondkind

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