Erster Spätdienst


Erster Spätdienst.
Mondkind hat doch nicht ernsthaft geglaubt, danach die Finger still halten zu können. Als sei da nicht viel zu viel Gedankenwirrwarr, das man nochmal verschriftlichen müsste. Sich von der Seele schreiben müsste. Um zur Ruhe zu kommen. Ein bisschen zumindest.
Verzeiht meine mangelnde Kreativität in den späten Abendstunden.

Der Morgen ist geprägt von geschäftigen Treiben. Seit über einem Monat habe ich vor, zur Apotheke zu gehen und heute schaffe ich es tatsächlich mal. Leider gibt es das Medikament natürlich nicht, aber wenigstens ist es mal ein Anfang. Außerdem schreibe ich dem Versicherungsmakler und der Wohnungsmaklerin. Auch schon mal ein Fortschritt. Ich müsste da nur eigentlich auch weiter dran bleiben.
Und ich versuche mich davon zu überzeugen, dass ein Spätdienst schon nicht mein Untergang werden wird.

All den Mut, den ich mir selbst versuche zuzusprechen, schaffen Andere allerdings innerhalb weniger Sekunden kaputt zu machen.             
Ich habe die Kollegen bestimmt sieben Mal gefragt, ob es wahrscheinlich ist, dass ich in die Notaufnahme muss. Ob die Notaufnahme – Ärztin Dienst hat und somit an einem der beiden Tage frei nach Dienst ist. Nein, das sei nicht der Fall, sagte man mir. Ich werde da schon nicht hin müssen. Außer, die Notaufnahme platzt aus allen Nähten. Außer, irgendwer ist krank. Aber die Gefahr läuft immer im Hintergrund; damit muss ich leben. Sonst hätte ich diesem Tausch heute und morgen Spätdienst zu machen, niemals zugestimmt – so lieb, wie ich sonst auch bin.

12:30 Uhr. Ich sitze im Arztzimmer. Die anderen sind noch nicht ganz fertig mit der Visite, aber nach wenigen Minuten schiebt sich das ganze Team in den Raum.         
„Mondkind – Dein erster Spätdienst“, begrüßt mich der Herr Oberarzt. „Kann man sagen, ja…“, entgegne ich. „Sag mal Mondkind – musst Du eigentlich in die Notaufnahme?“, fragt er. „Nein, ich denke nicht…“, gebe ich zurück. „Ist die Notaufnahme – Ärztin da?“, fragt der Oberarzt in die Runde. „Heute hat sie Dienst und morgen hat sie frei nach Dienst…“, erklärt eine Kollegin. „Dann ist morgen Dein Notaufnahme – Debüt“, erklärt Herr Oberarzt.    
Und ich… - ich spüre nur noch Herzrasen. Und, wie mir unglaublich warm wird. Das war so nicht abgesprochen. Und der Herr Oberarzt, der kennt mich doch. Vor einem Jahr hätte er so etwas nie gemacht. Er weiß doch, was er da in meinem Kopf zündet. Und schaut ganz konzentriert weiter auf den Diagnostik - Bildschirm, während ich mich bemühe, mir nichts anmerken zu lassen.
Ich könne mir das ja heute Nachmittag mal anschauen – sagt der Herr Oberarzt.
Er könnte doch wenigstens irgendetwas dazu sagen, das signalisiert: „Hey Mondkind – mach Dich nicht verrückt, ich bin ja auch noch da…“ Aber das macht er nicht. Und irgendwie… - macht mich dieser Umgang mit mir langsam wirklich wütend. Die anderen wissen genau, dass ich ein Mal kurz schaue wie ein Esel und mich dann doch notgedrungen geschlagen gebe. Und vermutlich funktioniert es am Ende auch irgendwie. Aber muss man Jemanden von dem man weiß, dass er psychisch angeschlagen ist im Affenzahn und ohne vernünftige Einarbeitung so in alle Situationen rein schmeißen? Ja, ich verstehe das mit dem Personalmangel. Aber am Ende glaube ich nicht, dass einer von denen wegen meinen Ängsten eine schlaflose Nacht hat. Oder sich überhaupt irgendwelche Gedanken darüber macht, wie es mir damit geht.
Es gab mal Zeiten, in denen das anders war in diesem Haus mit diesem Oberarzt und ich glaube, deshalb tut es auch so weh

Wenig später klingelt schon wieder das Telefon: „Mondkind, kannst Du in die Notaufnahme kommen – ich würde gern Mittagspause machen…“           
Zunächst wartet dort eine MRT – Aufklärung auf mich – sonst sind alle Patienten gerade versorgt und warten auf ihre Diagnostik . Bis dann plötzlich alle Telefone Sturm klingeln. Ich weiß gar nicht, wo die alle stehen und wie man die alle ausschaltet. Stroke – Angel. Kaum, dass ich fünf Minuten da sitze. Ich hoffe schwer, das Diensthandy der Notaufnahme – Ärztin klingelt auch und sie mir sagt, was verdammt noch mal ich tun soll.          
Wenig später klingelt mein Telefon: „Mondkind, da kommt ein Stroke Angel…“ Ach nee… „Kannst Du schon mal ein CT anmelden?“ „Ja würde ich gern“, gebe ich zurück, „aber wie nehme ich sie denn ins System auf…?“ „Oh Mondkind, ich würde gern noch schnell zu Ende essen – schaffst Du das?“ Und dann bittet sie mich fünf Mal den Bildschirm zu aktualisieren und wie von Zauberhand erscheint sie irgendwann in unserer Ambulanz – Disposition und ich kann das CT anmelden.

Lange kann ich nicht bleiben – dann muss ich zum Betriebsarzt. (Hätte ich gewusst, dass ausgerechnet heute mein erster Spätdienst ist, hätte ich das auch anders gemacht...) Der Zeitpunkt ist im Übrigen super ungünstig. Ich fühle mich gerade so überfordert und habe immer noch  Herzrasen – wenn er mich jetzt über die Psyche ausfragt, drehe ich durch. Selbstbewusste Miene aufsetzen. Kann ich ja. Aber irgendwie auch manchmal ein bisschen traurig, so komplett undurchschaubar zu sein, wenn es sein muss.
Im Vergleich zu dem, was die an der Uni  von mir wollten, ist das heute absolut nichts. Nur ein paar wenige Fragen. „Haben Sie aktuell Beschwerden?“ „Sind irgendwelche schweren Erkrankungen bekannt?“ (Ist eine Depression ne schwere Erkrankung… - für den Augenblick nein. Alle Psychiater mal kurz weg hören, aber ich setze mich nicht freiwillig in die Nesseln.). „Nehmen Sie gerade Medikamente?“ Ähm… - ich glaube Antidepressiva sind so fast Homöopathie… - also nein. (Okay, ich gebe es zu, ganz schlechter Witz, bitte kein Beispiel nehmen…) Und dann noch „Wie groß und schwer sind Sie?“ Und die Info, dass der Titer bei Hepatitis B ausreicht. „Wir rufen Sie dann in drei Jahren wieder an…“ Also ganz gechillt. Gaaaannzz anders, als in der Studienstadt.
Wenigstens eine Sache, die heute mal kein Problem ist…

Den halben Nachmittag hänge ich dann noch in der Notaufnahme, um zumindest ein bisschen etwas aufzuschnappen, bevor ich da morgen arbeiten muss. Ich habe so Angst… - bei einem Stroke Angel zählt jede Minute und ich kann noch nicht mal die Logistik…

Später muss ich dann aber doch rüber auf Station. Das Alltagsgeschäft wartet. Nadeln legen, Aufklärungen, aber wenigstens hat mir keiner eine Lumbalpunktion übrig gelassen. Man freut sich ja schon über Kleinigkeiten. Und Angehörigengespräche. Ich habe von den meisten Patienten keine Ahnung und kann die spezifischen Fragen der Angehörigen nicht beantworten. Am Anfang versuche ich noch, mir möglichst alles durchzulesen, aber schnell fällt mir auf, dass ich dann gar nicht mehr fertig werde und die Angehörigen auch nicht freundlicher werden, wenn sie lang warten müssen. Also beginne ich irgendwann darauf zu verweisen, dass ich "nur" der Spätdienst bin und auch nur Auskunft nach dem, was die Akten sagen, geben kann, weil ich auf der Visite frühs nicht dabei war. Dann schlage ich vor, die Angehörigen sollen doch morgen auf der Station anrufen oder - wenn sie das einrichten können - eher kommen.
Vermutlich ist das für beide Seiten sehr unbefriedigend. 

Am Abend bekommt natürlich ausgerechnet unsere langzeittransplantierte Patientin Fieber. Ich lasse nichts anbrennen und nehme sofort Blutkulturen und eine Urinkultur ab und lasse außerdem ein Labor anfertigen. Das Fieber ist schnell im Griff, aber das Labor macht mich nicht glücklich. Erhöhte Entzündungsparameter. Normalerweise würde ich ohne entsprechende Klinik keine Antibiose beginnen, aber bei Immunsupprimierten dürfte die Lage anders sein. Aber wen ruft man jetzt an? Es ist keiner da, außer mir. Und der Hintergrund ist glaube ich nicht für die Stroke Unit gedacht, zumal der über seine normale Durchwahl glaube ich auch nicht erreichbar ist.
Ich bespreche es noch kurz mit dem Dienstarzt. Bei ihrer zierlichen Statur und ihrem schlechten Allgemeinzustand, ist allerdings jede Form von Antibiose im Prinzip kontraindiziert. Wir beschließen daher erstmal abzuwarten. Wohl ist mir nicht dabei. Ich hätte es eigentlich lieber gehabt, wenn irgendein Oberarzt drauf schaut. Aber der Dienstarzt hat zumindest auch mehr Erfahrung als ich und wenigstens lastet das Problem nicht ganz allein auf meinen Schultern.
Das ist die Patientin, mit deren Ehemann ich am Freitag noch so lang das zweifelhafte Vergüngen hatte und der mir fast das Telefonat mit dem Therapeuten gesprengt hat. Er hat sich recht beruhigt, aber wohl irgendwie Vertrauen explizit zu mir aufgebaut. Er fragt mich nach seiner Durchwahl und ob er die dem behandelnden Arzt der Frau weiter geben dürfe. Ich erkläre, dass ich auch morgen erst am Mittag da bin und gebe ihm die Nummer. Ich hoffe, das ist kein Fehler.

Wenn man im Spätdienst ein Problem hat, dann hat man auch Eines. Und zwar ein Gewaltiges…
Ich übergebe alle meine Sorgenkinder am Ende des Abends dem Dienstarzt und habe insofern Glück, als dass auch er ein sehr lieber Mensch ist und eher zu viel als zu wenig macht. Ob das richtig ist, weiß ich nicht – aber was ich jetzt abends machen soll mit meinen Patienten, auf die man ein Auge haben muss, weiß ich nicht.  

Finally...


Jetzt schnell ins Bett und morgen früh steht dann Wiederholung aller wichtigen Dinge für die Notaufnahme an… Und dann hoffe ich, dass ich da ohne emotionalen Zusammenbruch durch komme.

Ihr werdet von mir hören…
Mondkind

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