Schnipselchen der Woche
Samstagmorgen.
Kaffee und Sofa.
Die Woche sacken lassen.
Eigentlich könnte ich ein ganzes
Buch schreiben. Über die letzte Woche. Chaos auf der Station mit absoluter
Unterbesetzung, Fortbildung, private Sorgen und ein Telefonat mit dem
Kliniktherapeuten… - mehr als nach Hause kommen und ins Bett fallen war nicht
drin.
Daher nur ein paar Eindrücke als
zusammenhangslose Schnipselchen aus der Woche…
***
Dienstag.
Dienstag.
Ich sitze an meinem Schreibtisch;
versuche meine To – Do – Liste zu sortieren. Fachliche Fragen muss ich gut
überlegen und sammeln – der Herr Oberarzt ist nämlich nur noch heute da und hat
dann für den Rest der Woche Urlaub. Und heute Nachmittag ist irgendeine interne
Teambesprechung.
Plötzlich öffnet sich die Tür und
der Oberarzt kommt rein. „Sag mal Mondkind – in diesen Konferenzen geht es auch
immer darum, wie wir mit neuen Mitarbeitern umgehen – hast Du eigentlich so
etwas wie eine Einarbeitungsmappe bekommen, wo man ein paar Zettel ausfüllen
muss?“ „Naja… - ich habe eine Mappe…“, entgegne ich. „Und wo liegt die?“ „Zu
Hause… - irgendwo… Aber da ist nichts zum Ausfüllen drin. Nur ein paar Zettel,
die eine Kommunikation zwischen der Verwaltung und der Sekretärin beinhalten,
in der es um Passwörter geht. Und bei der man am Ende darauf kommt, dass der
neuen Mitarbeiterin ihr Passwort bekannt sein müsste… - also total hilfreich“,
erkläre ich.
Er knurrt vor sich hin und
erklärt, dass er mal zur Sekretärin geht und schaut, ob er etwas findet. Dann
könnten wir darin zumindest noch ein paar Kreuze machen und er könnte sie
mitnehmen in die Teambesprechung.
Ich sehe ihn an diesem Nachmittag
nicht mehr. Aber was er da für eine Mappe meint, würde mich schon
interessieren. Und ob andere die bekommen haben. Oder ob das wieder so die
Auffassung ist – Mondkind kann eh alles.
***
„Mondkind – warum ist diese Patientin noch hier? Die ist knallrot in meinem Belegungsplan, die muss irgendwo hin…“ Der vertretende Oberarzt ist mit seinen Liegetagen noch viel schlimmer. „Was soll ich denn machen?“, setze ich zur Verteidigung an. „Ich habe sie versucht zu den Internisten zu verlegen – die haben sie nicht genommen. Die Kardiologen waren hier und meinten, wir sollen sie auf die Palliativstation stecken. Und so sehr, wie ich auch jeden Sterbenden auf die Palli legen würde, weil ich da gearbeitet habe und weiß, wie würdevoll man dort mit den Patienten umgeht – aber sie stirbt noch nicht. Sie ist „nur“ kardial dekompensiert.“ „Ja, aber dann ist sie nichts für uns…“, sagt der Oberarzt. „Ich weiß, aber was soll ich machen?“. „Die Internisten anrufen. Und es geht ausdrücklich um „Übernahme““, entgegnet er. „Ich will sie hier heute Nachmittag nicht mehr sehen…“, ergänzt er.
„Mondkind – warum ist diese Patientin noch hier? Die ist knallrot in meinem Belegungsplan, die muss irgendwo hin…“ Der vertretende Oberarzt ist mit seinen Liegetagen noch viel schlimmer. „Was soll ich denn machen?“, setze ich zur Verteidigung an. „Ich habe sie versucht zu den Internisten zu verlegen – die haben sie nicht genommen. Die Kardiologen waren hier und meinten, wir sollen sie auf die Palliativstation stecken. Und so sehr, wie ich auch jeden Sterbenden auf die Palli legen würde, weil ich da gearbeitet habe und weiß, wie würdevoll man dort mit den Patienten umgeht – aber sie stirbt noch nicht. Sie ist „nur“ kardial dekompensiert.“ „Ja, aber dann ist sie nichts für uns…“, sagt der Oberarzt. „Ich weiß, aber was soll ich machen?“. „Die Internisten anrufen. Und es geht ausdrücklich um „Übernahme““, entgegnet er. „Ich will sie hier heute Nachmittag nicht mehr sehen…“, ergänzt er.
Am Nachmittag lege ich mir alle
internistischen Diagnosen zurecht, formuliere daraus nochmal eine
Fallvorstellung und rufe den Internisten an. „Ich glaube, da gibt es irgendwo
einen Haken, aber schick sie…“, erklärt er. Ich drücke auf den roten Hörer und
lasse das Telefon auf den Tisch fallen.
Assistenzarztdasein ist manchmal
echt blöd. Warum können die Oberärzte das nicht unter sich klären?
Mit den Angehörigen habe ich viel
geredet in den letzten Tagen. Es ging darum, ein Konzept für die häusliche
Versorgung aufzustellen; darum, wie mit der Patientin zu verfahren ist, wenn es
ihr akut schlechter geht. Es ging – weil der Vorschlag halt zwischendurch kam
und ich das dann schon besprechen muss – um eine mögliche Verlegung auf die
Palliativstation. Und zwischendurch darum, immer wieder Worte der Hoffnung zu
finden, ohne die Situation zu beschönigen.
Als die Patientin schon auf der
Inneren ist, kommen die Angehörigen nochmal runter und klopfen vorsichtig im
Arztzimmer an. Sie bringen ein kleines Dankeschön mit.
Manchmal hat dieser Job doch
Sinn. Und wenn ich nur anderen Menschen ein ganz kleines bisschen in
schwierigen Zeiten geholfen habe.
***
Apropos schwere Zeiten… - dann ist da ja noch der Patient mit seiner Post – Stroke – Depression. Oft liegt er nachmittags mit Tränen in den Augen im Bett. „Gib ihm mal Mirtazapin“, sagte der Oberarzt auf der Visite. Nur leider sind Antidepressiva auch keine Wunderheilmittel und führen – wenn überhaupt – erst nach einigen Tagen zu einer Stabilisation der Stimmung.
Apropos schwere Zeiten… - dann ist da ja noch der Patient mit seiner Post – Stroke – Depression. Oft liegt er nachmittags mit Tränen in den Augen im Bett. „Gib ihm mal Mirtazapin“, sagte der Oberarzt auf der Visite. Nur leider sind Antidepressiva auch keine Wunderheilmittel und führen – wenn überhaupt – erst nach einigen Tagen zu einer Stabilisation der Stimmung.
Also knie ich jeden Nachmittag
neben dem Bett, höre zu und erkläre dem Patienten von vorne, dass das Gehirn
nach dem Schlaganfall noch recht erschüttert ist – das aber kein Grund ist,
jetzt den Kopf in den Sand zu stecken. Das Gehirn knüpft neue Verbindungen und
der Patient kann in der Reha lernen mit seinen Einschränkungen umzugehen. Und
mit viel Übung wird er auch wieder Lebensqualität zurück gewinnen. Es wird besser
– auch wenn er das jetzt noch nicht glaubt. Und verständlicherweise mit der
Situation völlig überfordert ist.
***
Eigentlich hätten wir Fortbildung am Mittwochmittag. Aber mit der halben Station an den Hacken, Gesprächen, die ich noch führen muss und Verlegungen bin ich vollständig eingespannt.
Eigentlich hätten wir Fortbildung am Mittwochmittag. Aber mit der halben Station an den Hacken, Gesprächen, die ich noch führen muss und Verlegungen bin ich vollständig eingespannt.
Der Kollege steht in der Tür.
„Mondkind, gehst Du zur Fortbildung?“. Ich überlege. Der ehemalige Chef hält
sie und nicht zu erscheinen, könnte ein negatives Licht auf mich werfen.
Der Oberarzt rast hinter dem Kollegen
zur Tür herein. „Nein, die Mondkind geht nicht zur Fortbildung. Ich habe sie
schon entschuldigt – die soll sich jetzt erstmal um ihr Zeug kümmern. Ein
bisschen Elektrophysiologie kann ich ihr auch beibringen…“
Ja okay… - hat sich das also
erledigt…
***
Zwischendurch mal in die Mails schauen.
Zwischendurch mal in die Mails schauen.
Der Oberarzt hat geschrieben… -
aus dem Urlaub. Ein Erinner – mich. Kopf à
Tischplatte. Ich sollte mich ja noch um einen Termin für einen Patienten im
ambulanten Zentrum kümmern. Nachdem ich kurzzeitig tatsächlich überlegt hatte
das zu vergessen, hatte ich die Unterlagen zusammen gesucht und mit einem
Anschreiben dorthin gefaxt – einfach so einen Termin bekommt man da nämlich
nicht. Der Oberarzt hatte einfach nur etwas von „erniedrigten Thrombozyten“
gemurmelt und ich hatte mich schon gefragt, wieso das jetzt einer onkologischen
Ambklärung bedarf. In der Mail steht die Fragestellung dann ein wenig genauer.
Wenn es nicht Herr Oberarzt wäre,
würde ich mich da nicht so zum Affen machen. Aber weil er es ist… - nehme ich
den Telefonhörer, rufe da nochmal an und bitte die Arzthelferin noch einen
Zettel mit den vom Oberarzt erwähnten Stichpunkten zu dem Fall zu legen.
***
Donnerstagabend ist nochmal Fortbildung. In einer Gaststätte 200 Meter entfernt von meiner Wohnung. Und als ich um die Ecke auf den Hof einbiege, sehe ich den ersten Weihnachtsbaum des Jahres. Ein seltsamer Stich ins Herz. Bin ich bereit für den Dezember? Für den schwierigsten Monat des Jahres?
Donnerstagabend ist nochmal Fortbildung. In einer Gaststätte 200 Meter entfernt von meiner Wohnung. Und als ich um die Ecke auf den Hof einbiege, sehe ich den ersten Weihnachtsbaum des Jahres. Ein seltsamer Stich ins Herz. Bin ich bereit für den Dezember? Für den schwierigsten Monat des Jahres?
Irgendwie noch nicht.
Die Fortbildung ist anstrengend,
aber nicht nur was die fachliche Weiterbildung, sondern auch was den neuesten
Klatsch und Tratsch des Campus angeht, sehr lehrreich. Hinterher sitzen wir
noch mit dem Chef in der Runde. Da kann man sich schwer abseilen. Aber um kurz
nach 22 Uhr geht es wirklich nicht mehr. „Mondkind, gehst Du schon…?“ „Naja… -
ich muss noch ein bisschen schlafen vor morgen früh…“, entgegne ich.
***
Freitag. Ende der Woche. Denkt
man.
Da die Chefarztvisite am Dienstag
ausgefallen ist, wird sie heute nachgeholt. Wir sind zu Zweit auf der Station,
gestern haben wir die halbe Station entlassen und sie anschließend prompt
wieder aufgefüllt. Ich habe am Abend zuvor vier Lysen bekommen, die ich mir
auch noch alle kurz angeschaut habe, um heute Morgen einen ungefähren Plan zu
haben, wo es Schwierigkeiten gibt.
Mein letztes freies Bett wurde in
der Nacht mit einem jungen Patienten aufgefüllt, der einen Krampfanfall bei
bekannter Epilepsie hatte. Bis Anfang der Woche war er auf der Epilepsiestation
gewesen, hatte zu Hause die Medikamente nicht genommen und schon haben wir den
Salat.
Bei meinem morgendlichen
Streifzug durch die Zimmer, um die Scores zu erheben, hält mich die Schwester
auf. „Mondkind, der Patient möchte seine Medikamente nicht nehmen. Kannst Du
nochmal mit ihm sprechen?“
Ich knie mich neben das Bett.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Patient offenbar immer noch etwas postiktal
verwirrt ist und mich anschaut, wie ein Eichhörnchen wenn es blitzt, wie die
Ergotherapeutin das später am Tag so schön formulieren wird.
„Was ist das Problem mit dem
Medikament?“ frage ich. Er schaut mich lange an. „Wofür soll ich das denn
nehmen?“, fragt er. „Naja… - Sie hatten heute Nacht einen Krampfanfall und das
Medikament soll Ihnen helfen, das Gehirn ein bisschen zur Ruhe zu bringen. In
der Messung der Gehirnströme zeigt sich, dass das Hirn immer noch feuert und
die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Krampfanfalls dadurch recht hoch ist. Und
das wollen weder Sie noch ich – oder nicht?“ Der Patient zuckt mit den
Schultern.
Ich nehme den Becher mit der
Tablette vom Nachttisch. „Was meinen Sie – können wir uns darauf einigen, dass
sie die erstmal nehmen und wir dann im Lauf des Morgens überlegen, was wir mit
der Medikation machen?“, frage ich. Der Patient schaut mich an und fängt an zu
zittern. Offensichtlich ist er völlig überfordert. „Was macht Ihnen jetzt so
viel Angst bei dem Medikament?“, frage ich. Schweigen.
„Passen Sie auf – ich will Sie
jetzt nicht komplett überfordern. Ich gehe jetzt mal weiter und komme in 10
Minuten nochmal. In der Zeit können Sie sich etwas sammeln und dann reden wir
nochmal darüber…“, erkläre ich. „Ist das okay?“ „Ja…“, kommt ganz zaghaft.
„Chefarztvisite Mondkind… - Du
hast keine Zeit für so etwas“, raunt es in mir aus dem Off. Habe ich auch nicht.
Aber was soll ich machen? Nach 20 Minuten ist dann zumindest die Tablette drin.
Das fehlte mir jetzt heute Morgen gerade noch. Generalisierter Krampfanfall auf
der Station.
Der Frieden währt aber nicht
lang. Keine 20 Minuten später ruft das EEG an. „Mondkind – ich habe hier gerade
den Patienten im EEG – der zieht sich die Haube sofort wieder runter, er will
das nicht…“ „Naja, aber so wie der gerade drauf ist, kann er auch gut und gerne
im Status sein“, entgegne ich. „Wir brauchen das EEG.“ „Ja, aber dann müssen
Sie kommen“, entgegnet die MTA. Also muss ich da nun hin. Stehe daneben, rede
mit Engelszungen auf ihn ein und nach einer weiteren halben Stunde sitzt er ruhig
mit der Haube auf dem Kopf und verkabelt auf dem Stuhl.
Und ich… - ich habe noch eine
Stunde Zeit, um die verbleibende halbe Station zu visitieren und mich auf den
Chef vorzubereiten.
Chefarztvisite. Revival.
„Mondkind, der Patient mit seiner Epilepsie ist hier falsch. Der muss hier weg.
Der war doch drüben auf der Epilepsiestation – verleg ihn dahin…“ Immer noch
postikal verwirrt.
Also telefoniere ich nach der
Visite. „Mondkind – unser Epilepsie – Spezialist ist krank. Da wird nichts
passieren, wenn Du ihn hierher verlegst. Wir sind dünn besetzt. Und dann
meckern die Patienten wieder, wenn hier nichts an Diagnostik läuft. Das musst
Du erst mit ihm besprechen. Und wenn er dann immer noch will, dann kann er
kommen.“, höre ich von der Kollegin, die gern mal hysterisch wird, wenn es um
Verlegungen geht. Ich beschließe es mit Ehrlichkeit zu versuchen. „Ich weiß,
dass Eure Station von der Besetzung her ein Nadelöhr ist. Ich habe nur das
Problem, dass mein Oberarzt ihn unbedingt von der Station haben will und Du mir
im Prinzip sagst, dass Du ihn nicht nehmen kannst. Was soll ich jetzt machen –
er kann sich nicht zwischen den Stationen in Luft auflösen. Und ich bin ehrlich
zu Dir – er war vorhin schon drauf und dran sich gegen ärztlichen Rat zu
entlassen – ich kann nicht versprechen, dass das nicht eskaliert. Aber sollte
das passieren, ist es ja nun eigentlich egal, ob es von hier aus oder von Eurer
Station passiert. Ich schreibe Dir auch den Brief, wenn er geht…“
„Ja okay, dann schick ihn…“
Kurz nach 17 Uhr. Ich habe
eigentlich seit einer halben Stunde Feierabend. In der Notaufnahme steppt
allerdings der Bär; der Spätdienst und der Dienstarzt sind dort und ich bin die
einzige Ärztin auf der Station. „Mondkind, wir haben eine neue Patientin mit
Blutung und der Ehemann ist sehr schwierig. Ich weiß, Du hast Feierabend, aber
kannst Du nochmal kurz mit ihm sprechen.“
Eigentlich wollte ich pünktlich
nach Hause, weil ich um 18 Uhr einen Telefontermin mit dem Kliniktherapeuten
habe, aber was soll man machen?
Ich gehe in das Zimmer.
Oha ja, „schwierig“ ist gar kein
Begriff. „Was ist jetzt der weitere Plan?“ „Wie helfen Sie denn jetzt meiner
Frau – Sie können sie doch nicht einfach nur ins Bett legen, Sie müssen doch
etwas machen?“ (Dabei liegt sie bei Weitem nicht „nur“ im Bett…) „Ihre
Kompetenz in allen Ehren – aber gibt es auch eine Klinik, die besser ist?“ Der
Herr ist vollkommen aufgelöst und ziemlich passiv – aggressiv. Zumindest
vermittelt der Kittel offensichtlich die Notwendigkeit ein bisschen Distanz zu
halten, ansonsten würde er sich auf ein Küken im Job wie mich, mit Sicherheit
nicht einlassen.
„Kommen Sie mal mit“, erkläre ich
und nehme ihn mit ins Arztzimmer, wo wir mehr Ruhe zum Reden haben. Obwohl laut
Dokumentation der Oberarzt alles schon erklärt hat, führe ich nochmals aus, was
das Problem seiner Frau ist, warum wir nicht zaubern können und es ihr
plötzlich wieder gut geht und dass sie einfach in einem sehr kritischen Zustand
ist, wir aber gut auf sie aufpassen und alles therapeutisch Mögliche tun, um
ihr zu helfen und darüber hinaus schon mit den Neurochirurgen in Kontakt stehen.
„Meinen Sie, Sie können sich ein bisschen darauf einlassen uns zu vertrauen,
dass wir Erfahrung mit solchen Patienten haben und wissen, was wir tun?“, frage
ich, nachdem er mich ständig unterbricht und unterschwllig Vorwürfe erhebt.
„Naja, ich bin ein misstrauischer Mensch“, entgegnet er. „Das merke ich“,
antworte ich. „Das steht uns und vor allem Ihnen, gerade ein bisschen im Weg…“
„Sie haben doch ein CT gemacht – kann ich die
Bilder mal sehen?“, fragt er. „Die haben die Radiologen noch nicht bei uns ins
System gestellt – ich habe Sie aber drüben schon gesehen“, erkläre ich so
souverän wie möglich. Natürlich sind die im System. Ich habe sie auch schon an
meinem PC gesehen und wenn ich ihm jetzt zeige wie ernst es ist, dreht er
völlig durch.
„Meine Frau ist ja transplantiert
– die braucht um Punkt 20 Uhr ihre Medikamente“, unterrichtet er mich. „Okay –
das lässt sich einrichten. Haben Sie den Medikamentenplan?“ „Wir sind hier nur
auf Urlaub“, entgegnet er, als sei das eine Rechtfertigung keinen
Medikamentenplan für Notfälle mitzunehmen, wenn es so wichtig ist. „Und haben
Sie Angehörige oder Nachbarn, die den mal aus der Wohnung holen und ihn
abfotografieren können?“, frage ich. „Nein“, entgegnet der Ehemann. Ich
versuche ihren nach der Transplantation behandelnden Arzt anzurufen, aber es
ist Freitag nach 17 Uhr. Was ich nicht weiß ist, dass die in der Notaufnahme
auch schon mit Hochdruck daran arbeiten. „Sie müssen irgendetwas machen“,
erklärt der Ehemann. „War Ihre Frau in letzter Zeit im Krankenhaus?“, frage
ich. „Ja, vor ein paar Jahren…“, entgegnet er. „Hat sich seitdem etwas an der
Medikation geändert?“, frage ich. „Nein, ich denke nicht“, entgegnet er. Ich
suche die Nummer des Krankenhauses, rufe über die Pforte an und lasse mich mit
der Notaufnahme mit dem diensthabenden Kollegen verbinden. Er sucht nach Briefen
und findet neben ein paar Ambulanzbriefen einen mit einem Medikamentenplan.
„Können Sie den bitte ganz schnell her faxen – die Patientin braucht in zwei
Stunden die Medikamente.“ „Ja, mache ich…“, sagt der Kollege.
Jetzt habe ich zumindest ein
Stein im Brett beim Ehemann.
Um kurz vor 18 Uhr ruft mich der
Arzt der Patientin an. Er ist nett, liefert viele wichtige Informationen aber
sehr ausschweifend. Mein Blick fällt immer mal panisch auf die Uhr. Wenn der
Herr Klinik – Therapeut anruft und die Leitung belegt ist, wird er es sicher
nicht fünf Mal versuchen. Wenige Minuten vor 18 Uhr legen wir auf.
Um kurz nach 18 Uhr klingelt das
Telefon. Das wird dann wohl Herr Kliniktherapeut sein. Ich gehe dran. „Ja
Mondkind, ich bin es nochmal“, sagt der Oberarzt, der schon im Auto auf dem Weg
nach Hause sitzt. Nee, oder? Nicht sein Ernst. Es gibt einen Spätdienst. Warum
ruft er mich an? Warum glaubt er überhaupt, dass der Frühdienst nach 18 Uhr
noch da ist?“
„Gibt es noch Fragen?“, fragt er,
nachdem er das gesagt hatte, das er los werden wollte. Oh ja, es gibt ne Menge
Fragen, aber ich brauche eine freie Leitung. „Nein, gibt es nicht“, entgegne
ich. „Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende“, sage ich, um das Gespräch zu
beenden.
Der Spätdienst rast auf die
Station. Shit… - ich habe überhaupt keine Zeit, um mit dem Therapeuten zu
telefonieren, aber es ist wichtig. Ich bin noch dabei, dem Kollegen kurz alles
zusammen zu fassen, als das Telefon schon wieder klingelt. „Falls noch etwas
ist – das ist die Nummer des Arztes der Patientin, der ist noch bis 20 Uhr
erreichbar – ich kümmere mich sonst selbst in einer Stunde weiter um den Fall““,
erkläre ich und schiebe dem Kollegen einen Zettel unter die Nase, ehe ich auf
den grünen Hörer drücke. „Danke Mondkind, ich glaube ich muss Dir nächste Woche
Pralinen mitbringen…“, erklärt der Kollege.
„Der Herr Klinik – Therapeut“,
meldet sich der Mensch in der Leitung.
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Ich mag diese Tee - Buch - Pausen - Momente... Am Wochenende... |
***
Eigentlich hatte ich das Telefonat mit dem Therapeuten etwas vorbereiten wollen. Schon seit Tagen. Aber es war nur Stress und ich war froh, wenn ich zwischendurch mal ein wenig schlafen konnte.
Eigentlich hatte ich das Telefonat mit dem Therapeuten etwas vorbereiten wollen. Schon seit Tagen. Aber es war nur Stress und ich war froh, wenn ich zwischendurch mal ein wenig schlafen konnte.
Ich rase schnell in Richtung Bereitschaftsraum
und versuche mich ein wenig auf mich selbst zu konzentrieren.
Rollenwechsel innerhalb von
Sekunden.
Plötzlich muss ich nicht mehr die
starke, allwissende Ärztin sein, die die Angehörigen auffängt, beruhigende
Worte findet, heute selbst mehr psychologisches Feingefühl, als ärztliche
Kompetenzen an den Tag legen muss – plötzlich darf meine eigene
Zerbrechlichkeit ans Licht kommen.
Normalerweise lege ich solche
Gespräche auch ans Ende des Tages, wenn ich hinterher direkt Zeit habe, die
Schlüsselerkenntnisse zusammen zu fassen, ehe sie wieder zwischen den
Hirnwindungen verloren gehen. Aber heute klappt das offensichtlich nicht
Was ich sehr schätze an dem Herrn
Klinik – Therapeuten ist, dass es keine Tabu – Themen gibt. Nicht so, wie die
Therapeutin, die mir immer wieder klar macht, was alles nicht so sein darf. Bei
ihm darf ich sagen, dass es in meiner Planung noch keinen Januar gibt. Und es
kann nur die Angst vor allem, was da im Job noch auf mich zukommt, sein. Es
kann weniger real sein, als es sich für mich anfühlt. Aber es ist gerade
bedrohlich für mich. Und das in die Mitte von uns beiden zu stellen, ist schon
unglaublich entlastend. Da trägt Jemand mit. Zumindest für den Moment.
Der Herr Kliniktherapeut kehrt
die guten Momente heraus. Sagt, dass ich dankbar sein kann, dass es die gibt.
Sie als Geschenk interpretieren soll. Und dass jedes Tief nach einem guten
Moment eigentlich nur „Kritiker – bedingt“ ist. Und trotzdem fällt es so
schwer, die guten Momente wirklich „nur“ als „gute Momente“ zu sehen, wenn das
alles ist, was ich habe, um es der Negativität entgegen zu setzen. Aber er hat
ja Recht.
„Ich denke, der Namen des Herrn
Oberarztrs wird in der nächsten Zeit noch öfter fallen, oder?“, fragt er.
„Ich glaube schon, ja…“, sage ich
leise. Scheiße man… - ich wünschte auch, die Dinge wären anders gelaufen und er
würde nicht so viel mittragen, ohne das zu wissen.
Irgendwann zwischendurch wird die
Verzweiflung mal etwas lauter. „Wissen Sie – das ist ja irgendwie ein bisschen
die Frage, wie viel man aushalten muss. Alle behaupten immer, ich müsse endlich
mal aus meiner Opferrolle raus kommen, aber das ist doch irgendwie nicht
richtig. Wäre ich in der Opferrolle geblieben, wäre ich nicht dort, wo ich
heute bin. Ich habe immer – trotz aller Dunkelheit – für eine Zukunft gekämpft.
Und trotzdem frage ich mich, wie viel man aushalten muss. Wann bin ich
berechtigt, die Reißleine zu ziehen? Wann darf ich sagen, dass ich das so
einfach nicht mehr aushalte und eine Pause von dem Wahnsinn brauche?“
„Das ist eine gute Frage…“,
entgegnet er. Eine Antwort hat er auch nicht. Das Problem ist, dass „die
Reißleine ziehen“ am Ende immer Versagen ist. Mein Oberarzt wird mir
unterstellen, in der Opferrolle zu bleiben, der Chef wird mich als ungeeignet
für das Team einstufen. Weil alles was davor war, Selbstverständlichkeit ist.
Dass das schon alle Grenzen längst überschritten hat, sieht ja keiner. Weiß
keiner. „Mondkind – Deine Strategie in Beziehungen zu treten, ist Dein Kreisen
um Dich selbst…“, unterstellte mir der Oberarzt letztens mal. Für einen Teil
der Menschen mag das richtig sein, aber im Job bin ich eben doch die
selbstbewusste Ärztin, von der man nicht meint, dass das Leben und sie so auf
Kriegsfuß zueinander stehen.
Der Kliniktherapeut bekräftigt
mich aber zumindest darin, dass ich eine Menge erreicht habe, obwohl es mir
nicht gut ging.
„Und irgendwie wird mir langam
auch bewusst, was ich da alles weg schmeißen würde, wenn es jetzt einfach nicht
mehr weiter gehen würde“, erkläre ich, während ich mich im Spiegel betrachte.
Blauer Kasack, Kittel darüber, Telefon am Ohr und Stethoskop in der Tasche. Das
ist doch nicht Nichts. Und vielleicht – wenn irgendwann die Hoffnung und die
Stützen weg fallen, kann mich vielleicht das retten, was ich mir so lange
erarbeitet habe. Mein eigener Weg. Die Rückschau, auf diesen Hürdensalat, den
ich bewältigt habe.
Ehrlich gesagt fände ich die Idee
ab Mitte Dezember in die Klinik gehen, wie Frau Therapeutin das mal irgendwann
vorschlug, nämlich gar nicht so schlecht. Ich will dieses Drama nicht erleben
und eigentlich – wenn ich mir selbst etwas wünschen dürfte – dann wäre es, dass
ich den Jahreswechsel sicher verleben kann. Dass ich nicht Angst haben muss,
das nicht zu überleben.
Aber das wäre Versagen, oder?
Ich weiß nicht mehr, wie wir
darauf kommen, aber irgendwann reden wir darüber, was fehlen würde, wenn ich
nicht mehr da wäre. „Das wäre ein großer Verlust für alle Patienten“, erklärt
Herr Kliniktherapeut. Und von da aus – ich weiß nicht mehr wie – kommen wir
irgendwann auf ihn zu sprechen. Dass er froh ist, mich kennen gelernt zu haben
und dass er viel von mir gelernt (war es das Wort?) habe. Das verstehe ich nun
überhaupt nicht. „Naja… - sehr viel mehr, als dass ich Sie ungefragt mit Mails
bombardiert habe, habe ich nun auch nicht getan“, erkläre ich. „Sie haben
irgendwie eine besondere Art“, sagt er, als sei das eine Erklärung.
Zum ersten Mal höre ich das
nicht. Der Oberarzt sagte letztens „Mondkind, irgendwie schaffst Du es ja die
Leute dazu zu bringen, ganz viel für Dich zu tun…“, was sich irgendwie sehr
negativ anhörte. Und von der Pflege habe ich in der Klinik damals auch gehört,
dass ich irgendwie etwas Besonderes sei. Genau definieren konnte mir das noch
keiner. Und ich… - bin dezent überfordert damit. Denn außer, dass ich immer nur
ziemlich viel darüber rede, was alles nicht geht und dann funktioniert es am
Ende doch irgendwie, mache ich nun auch nicht. Eher erlebe ich mich selbst sehr
als Belastung für mein Umfeld.
So richtig eine Lösung, wie ich
durch den Dezember kommen kann, finden wir nicht. „Im Prinzip ist mein Job als
Therapeut ja gar nicht so schwer", erklärt er. „Ich kann ja immer nur
Gedankenanstöße geben…“, sagt er.
Und das ist wahrscheinlich das
Problem. Ich bin selbst für mich verantwortlich und muss mich selbst einfangen.
Ich muss selbst leben wollen. Alle an mich heran getragenen Vorschläge
überhaupt an mich heran lassen und nicht im Stillen argumentieren: „Boa
Mondkind, nee. Das zu versuchen würde bedeuten, weiter Leben zu müssen und das
wollen wir doch auch nicht…“
Und dann ist es so ein seltsamer
Schwebezustand im Dazwischen. Irgendwie kann ich nach all den Jahren des
Versuchs ins Leben zu finden nicht loslassen, aber wirklich bereit zum Leben
bin ich auch nicht. Und dann stehen wir hier – bewegen uns weder vorwärts noch
rückwärts. Weil die Kraft und der Mut fehlt, Dinge wirklich nochmal zu ändern,
vollkommen über den Haufen zu schmeißen, vielleicht mit den Menschen, die mir
wichtig sind nochmal wirklich darüber zu reden, was machbar ist, gegebenenfalls
nochmal den Ort zu wechseln. Und andererseits existiere ich eben doch noch, nehme
die Schwere wahr, die Unentschlossenheit und verharre letzten Endes in der
Passivität.
„Brauchen Sie noch etwas?“, fragt
er. Standardfrage zum Schluss. Ähm… ja. Nur, darf ich etwas brauchen…? Ich
zögere ein wenig, ehe ich sage, dass es sehr nett wäre, wenn wir uns Mitte
Dezember nochmal sprechen könnten. Weil es dann wirklich schwierig wird.
Unterirdische Besetzung auf der Station, Spätdienste in der Notaufnahme,
Weihnachten vor der Tür und die Frage, wie ich den Jahreswechsel schaffen kann.
„Können Sie mir versprechen, dass
Sie es bis dahin schaffen?“, fragt er. „Ich hoffe es“, entgegne ich. Und bin
ihm dankbar, dass er nicht anfängt an der Aussage herum zu pfeilen, bis sie
therapeutisch passt.
Danach düse ich wieder zu meinem
Arbeitsplatz, beschäftige mich weiter mit der Patientin, fülle ein paar QS –
Bögen aus, korrigiere Briefe, dokumentiere und um kurz vor 21 Uhr kann ich
wirklich nicht mehr. Obwohl ich nicht fertig bin, aber wenigstens für Montag
sind die Briefe geschrieben.
Erst in der Nacht wird mir
einfallen, dass ich vergessen habe, etwas zu dokumentieren. Das ist wichtig für
die Visite, wer auch immer meine Patienten übernimmt. Da bekommt der Oberarzt
am Montagfrüh eine Mail in der Hoffnung, dass er da ist. Ich werde deshalb
heute nicht auf den Campus laufen.
***
So… - und jetzt? Eigentlich hätte
ich bis 13 Uhr mit dem Fahrrad im Fahrradgeschäft sein müssen. Aber ich musste
erst mal ein wenig zur Ruhe kommen. Einkaufen muss ich noch, die gesamte
Wohnung putzen (ich habe nicht mal den Geschirrspüler ausgeräumt, oder die
Wäsche abgehängt…) und mich auf meine beiden Spätdienste nächste Woche vorbereiten.
Ich weiß nicht, ob ich da in die Notaufnahme muss, aber ich sollte mir
zumindest mal meine Flussdiagramme für die wichtigsten Symptome anschauen.
Ansonsten muss ich mich um meine
Technik kümmern. Das Handyladekabel hat einen Wackelkontakt und der PC – Akku funktioniert
ohne Strom circa drei Minuten. Die Steckdosen sind immer noch nicht in der Wand…
joa…
Und… - ich habe ein Päckchen
bekommen. Von wem auch immer. Das muss ich noch heraus finden. Es lag keine
Karte oder dergleichen dabei – ich habe also keine Ahnung. Aber ich freue mich
darüber. Es ist sehr lieb – von wem auch immer…
Mondkind
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