Lange und chaotische Tage


Donnerstagmorgen.
Der Wecker klingelt. Gefühlt natürlich viel zu früh. Ich schlurfe ins Bad und schaue auf die Uhr auf der Ablage über dem Waschbecken. Viertel vor fünf zeigt sie an. Was ist da schon wieder los… - stehen geblieben? Vorsichtshalber schaue ich auch nochmal auf mein Handy. Auch viertel vor fünf… - aber der Wecker zeigt es kurz vor 6 Uhr.
Eigentlich ist es ein Funkwecker und ich weiß auch nicht, was er gelegentlich hat, aber manchmal ist er zeitlich nicht orientiert. Ich lege mich nochmal hin, aber schlafen kann ich nicht mehr.

Am Morgen teilen wir wieder die Station durch zwei und beginnen unsere Visite vorzubereiten. Als wir nach der Frühbesprechung gerade auf der Rolltreppe stehen, klingelt das Telefon. Eine andere Klinik kann einen meiner Patienten genau jetzt übernehmen, wo sie doch gestern noch gesagt hatten, dass das frühestens Anfang nächster Woche geht. Gestern Abend haben wir den Patienten auf eine periphere Station im anderen Gebäude verlegt – mit „schnell“ ist also mal gar nichts.
Statt meine Visite vorzubereiten, kümmere ich mich also um den Brief und darum, dass noch eine CD im anderen Gebäude gebrannt wird und bitte den Kollegen einen Transport zu organisieren.
Bis kurz nach 10 Uhr ist der Patient dann zwar verlegt, aber ich habe noch nicht mal alle meine Patienten gesehen.

Bis 12 Uhr haben wir die Oberarztvisite nicht mal halbfertig, müssen aber erstmal schnell in die Röntgenbesprechung düsen. Nachdem die Radiologen wieder in epischer Breite die Befunde der Woche vorgestellt haben, machen wir unsere Oberarztvisite fertig.
Und danach ist auch schon die monatliche Stationsbesprechung. Bisher habe ich da eigentlich nur Streitereien erlebt und war immer angespannt wie ein Flitzebogen, wenn ich da raus kam. Diesmal wurde aber die Zusammenarbeit sowohl von ärztlicher, als auch von pflegerischer Seite als „gut“ bewertet und die Pflege hat mich tatsächlich als sehr engagiert hervorgehoben. Das ist doch mal schön. Weniger schön war, dass am Ende der Besprechung ein Protokoll – Führer für die nächste Sitzung festgelegt werden musste und nachdem die Pflege sich schon das letzte Mal beschwert hat, dass die Ärzte das noch nie gemacht haben, schaut der Oberarzt mich eindringlich an, nimmt meine Hand und hebt sie nach oben. Na klar – jetzt badet die Mondkind den hier seit Monaten schwelenden Konflikt aus, dass die Ärzte nie das Protokoll schreiben. Super Idee, Herr Oberarzt. Es gibt da wohl ein Dokument im Intranet  - das könne ich dann ja mal suchen. Das macht logischerweise die neue Mitarbeiterin, die ohnehin jeden Tag bis 19:30 Uhr auf der Arbeit hängt. Eventuell habe ich da aber Urlaub, habe ich festgestellt. Wir werden es sehen…
Nach der Stationsbesprechung ist die Therapiebesprechung und danach ist es schon halb vier. Die „to – do – Liste“ ist noch lang und wird dann bis in den Abend abgearbeitet. Eigentlich hatte ich wenigstens mal die Wäsche abhängen wollen… - war dann wohl nichts. 



Freitag.
Mitten in der Nacht ist mir siedend heiß eingefallen, dass ich ein MRT für einen Patienten angemeldet habe, der eine Kontrastmittelallergie hat. Aber ich weiß nicht mehr, ob es wirklich als allgemeine Kontrastmittelallergie oder als Jodallergie deklariert war. Da ich nicht mitten in der Nacht auf der Station anrufen kann, beschließe ich in der Früh eher auf die Arbeit zu gehen und das zu prüfen – der Patient hat sein MRT nämlich schon um acht Uhr.
Zu früh kommen ist allerdings auch nie eine gute Idee, dann wird man nämlich schon früh auf dem Flur abgefangen mit „Mondkind, bist Du schon im Dienst? Ich brauche eine Nadel…“
Nachdem die Sache mit der Kontrastmittelallergie geklärt ist, ist es schon zu spät um ins Nachbargeböude zur Frühbesprechung zu gehen. Ich beschließe also, da zu bleiben. Und bin – wie irgendwem dann in der Frühbesprechung auffällt – die einzige verfügbare Neurologin im neuen Gebäude. Deshalb habe ich auch ein paar Minuten später den Oberarzt in der Leitung: „Mondkind, Du bist jetzt gerade zur Ärztin in der Notaufnahme befördert worden. Geh mal dahin – da müsste ein Patient warten.“ Netter Versuch Herr Oberarzt – ich bekomme trotzdem augenblicklich Herzrasen.  Im Endeffekt handelt es sich um Kopfschmerzen seit sehr langer Zeit – unter erschwerten Anamnesebedingungen, weil die Patientin aus dem Ausland kommt. Als der Oberarzt der Notaufnahme kommt, ist die Patientin schon auf dem Weg ins CT. „Mondkind, Du kannst schon mal lernen – Du musst ja hier bald die Notaufnahme vertreten…“ Im Dezember ist die Kollegin zwei Wochen nicht da – ich hoffe, sie entscheiden nicht, die unerfahrenste Assistenzärztin in die Notaufnahme zu stecken. Zuzutrauen wäre es ihnen aber.

Erst kurz vor zehn bin ich wieder im Arztzimmer und habe schon wieder keinen meiner Patienten vorbereitet. Dann klingelt das Telefon – und die Sekretärin des Betriebsarztes ruft mich an. Ich hatte ja gedacht, dass sie mich vielleicht vergessen, wenn ich mich da nicht aktiv melde. Das wäre für keinen gefährlich, ich habe noch eine gültige Bescheinigung von der Uni bis nächsten Sommer. Ich habe nur ein kleines „Betriebsarzttrauma“, nachdem ich vor dem PJ zu der Ärztin an der Uni musste. Wahrscheinlich ist deren Berufsleben ziemlich langweilig, wenn sie aus einer Depression mit Klinikaufenthalt, der damals mehr als ein halbes Jahr zurück lag, so ein Fass aufmachen. Auf jeden Fall musste ich ihr alle Fragen beantworten unter der Androhung, dass sie mich sonst so nicht arbeiten lassen kann. Heute ärgere ich mich immer noch darüber, dass ich das zugelassen habe, dass eine wildfremde Person so in meinem Leben herum wühlt, die dafür einfach nicht ausgebildet ist, sondern sich eher auf der Ebene „Hobbypsychiater“ bewegt. Und dann auch noch unter Kollegen…  Aber ich hatte einfach so Angst, dass sie mich nicht in den Ort in der Ferne gehen lässt und damit alles einstürzen lässt, für das ich jahrelang gekämpft habe. Die Psyche ist nicht so einfach. Und so ein ungestümes darin herum Stochern hilft keinem und ist auch höchst unprofessionell. Und abgesehen davon ist das auch irgendwie bezeichnend, dass die meisten Psychiater das eher nicht so hinbekommen mich halbwegs ernst zu nehmen, aber so eine Betriebsärztin sich mal eben das Recht heraus genommen hat, mich fast aus dem Verkehr zu ziehen. Und damit kann ich erst recht nicht leben, auch wenn ich "zwangsumtopfen" nach wie vor als einzige Möglichkeit betrachte, weil ich nicht freiwillig die letzten funktionierenden Säulen einstürzen lassen werde. Wenn das Menschen sind, denen ich vertraue, oder die ich schon jahrelang kenne, ist das etwas anderes. Aber sie kannte ja auch die ganze Situation nicht und wusste nicht, dass mein Oberarzt immer Bescheid wusste und damals auch noch schützend die Hand über mich gelegt hat. Irgendwer sagte mir hinterher mal, die müssten da Berge von Papier ausfüllen und sind da meist nicht so ambitioniert, das zu tun. Also baue ich diesmal darauf. Das lasse ich nicht nochmal mit mir machen.
Es stresst mich trotzdem jetzt gerade unglaublich und ich möchte das lieber heute als morgen hinter mich bringen.

Die Visite wird heute wieder ständig wegen Notfällen unterbrochen und wir sind erst kurz vor halb 2 fertig. Die To – Do – Liste ist lang und ich bin einfach schon unfassbar erschöpft.
Spät am Abend schreibe ich noch lange an einem Brief. Und als der fast fertig ist, stürzt das Programm ab – und natürlich habe ich zwischendurch nicht gespeichert. Zu viel am späten Abend nach einer langen Woche für eine Mondkind. Der Oberarzt steht gerade im Türrahmen. „Mondkind – geh nach Hause. Komm morgen früh und schreib dann den Brief. Das wird jetzt nichts mehr… Du hast diese Woch wirklich sehr viel geleistet.“ Danke Herr Oberarzt...
Also gehe ich um kurz vor sieben Uhr. Das ist die früheste Uhrzeit in dieser Woche.

Zu Hause versuche ich noch das Fahrrad zu reparieren. Ein Kollege hatte mir empfohlen zu versuchen, die Kette mit einem Schraubenzieher zu befreien. Ich bastle lange daran, aber schließlich gelingt es mir. Jeder „Vorfall“ schwächt das Fahrrad mehr und das hintere Kettenblatt schaltet mittlerweile gar nicht mehr, aber zumindest fahren kann man gerade mal wieder damit.

Putzen wird dann wohl morgen früh nichts, einkaufen werde ich morgen Nachmittag und dann heißt es morgen früh wieder „ab in die Klinik“.

Die ganze psychische Situation wackelt auch immer noch ziemlich – vielleicht kommt dazu am Wochenende noch ein Blogpost. Jetzt bin ich wirklich zu müde, um das genauer aufzurollen. Auf jeden Fall gibt es nächste Woche vielleicht mal wieder ein paar neue Erkenntnisse und ich bin verwirrt davon, was Frau Therapeutin eigentlich von mir möchte. Aber dazu morgen oder übermorgen mehr.

Ich hoffe, die Woche meiner werten Leser war etwas ruhiger…
Mondkind

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