Ein unverhofftes Licht
Ich
sitze im Auto. Auf dem Beifahrersitz. Nachdem wir ewig draußen gestanden haben in dem Versuch, ein
Fahrrad zu reparieren, ist mir kalt geworden. Ich kuschele mich tiefer in meine
Jacke, ziehe den Schal enger um den Hals und bemerke langsam die Wärme der
Sitzheizung.
Und
ich merke noch etwas.
Freies
Atmen.
Stille
in mir. Frieden.
Es
ist okay. Endlich.
So
lange habe ich gewartet. Auf einen Moment Pause von diesem Wahnsinn. Zumindest
mal ein paar Minuten atmen zu können. Nicht alle Kraft und Aufmerksamkeit dafür
zu verbrauchen, das mühsam aufgestellte Gleichgewicht zu halten.
Das
ist, als würde sich für einen Augenblick ein Schalter umlegen. Der all diesen
Schmerz, der dafür sorgt, dass ich innerlich zerfressen werde, für den Moment
ausschaltet. Für einen Augenblick habe ich die Möglichkeit, das Augenmerk auf
andere Dinge zu richten. Andere Dinge zu spüren.
Gerade
ist da ganz viel Dankbarkeit, das erleben zu dürfen. Dort in diesem Moment
sitzen dürfen. Sicher zu sein. Diese Ruhe spüren.
Zu
der Erkenntnis gelangen, dass die Welt neben all dem Schmerz so wundervoll ist.
Dass ich so viel erleben und tun darf. Dass ich nicht nur mir selbst, sondern
auch so vielen anderen Menschen helfen darf. Dass mir so viel Dankbarkeit
entgegen gebracht wird dafür, dass die Menschen mir mehr oder weniger
gezwungenermaßen in einem Moment von Hilflosigkeit, ihr Leben anvertrauen, das
in dem Moment so fragil ist.
Dass
diese Welt so laut und bunt und verrückt sein kann, dass ich darin noch meinen
Platz finden und Teil davon sein darf. Dass es noch so viele Menschen geben
kann, die meinen Lebensweg kreuzen und ihn bereichern können.
Ein
unbeschreibliches Gefühl, das sich kaum in Worte fassen lässt. Ein kurzer
Moment von Glück vermutlich.
Und
während der Fahrer des Autos über den Fahrradladen redet, zu dem wir gerade unterwegs
sind merke ich, dass ich eigentlich gar nicht sterben möchte. Weil es doch so
okay und so gut sein kann, wenn es mal nicht schreit in mir.
Wenn
diese guten Momente ein bisschen länger anhalten würden, die Tiefs nicht ganz so tief und
so lang und so dunkel wären und es in diesen Zeiten nicht permanent weh tun
würde… - vielleicht könnte das Leben so schön sein. Vielleicht…
Und
auch, wenn es nur für den Moment ist. Aber die Situation reißt das Ruder.
Zumindest jetzt gerade. Vielleicht ist dieses Dazwischen grätschen das, was
ich jetzt gerade brauche. Ein Aufrütteln. Ein „Hey, es ist noch nicht zu spät…“
Zum
ersten Mal macht das hier alles Sinn. Fühlt es sich richtig an, hierher
gekommen zu sein. Vielleicht nicht immer in dem Ausmaß – aber das sind die
Momente, auf die ich gewartet habe. Es war der Plan, dass genau das mir die
Stabilität gibt, die ich so sehr brauche.
So
oft falle ich völlig unvorbereitet und unkontrolliert in irgendwelche Löcher.
Heute war es mal das Gegenteil.
Vermutlich
hält das genau so lange, bis es nächste Woche wieder die Diskussion um die
Dienstpläne gibt, die Stroke Unit wieder mal Schuld daran ist, dass die nicht
frei gegeben werden können, der Chef tobt und diese Spannungen direkt ans Team
weiter gegeben werden. Wenn da wieder mal gegensätzliche Welten aufeinander
prallen, die nie hätten in einem Atemzug existieren sollen. Und auch wenn ich
sehr viel mache – aber das Dienstplan – Problem kann ich nicht lösen. Weil ich
weiß, dass diese Dienste, auf die mich keiner vorbereitet, unmittelbare
Auswirkungen auf die Zeit haben, die noch vor mir liegt. Und bis ich mir sicher
bin, dass ich das überleben kann, ist jede Woche, die damit noch verschont
werde, auch eine Woche mehr leben.
Und
als ich viel später auf meinem Sofa sitze und versuche die letzten Stunden
zwischen den Zeilen einzufangen, spüre ich neben viel Dankbarkeit auch
Unsicherheit. Es ist fast beängstigend, wie ein solcher Moment die Dinge
wendet. Ich war im Anschluss so produktiv, wie seit Wochen nicht mehr. Habe die
Sonne gefühlt, den Frieden in mir.
Alles
Hinweise dafür, dass ein Konzept von „Nachbeelterung“ grundsätzlich vermutlich schon
die richtige Idee wäre. Und gleichzeitig grätscht immer dazwischen: „Mondkind,
Du bist erwachsen… - das geht nicht…“ Ich habe schon vor Jahren geschrieben,
dass sich das anfühlt, als sei ein Teil von mir auf diesem Lebensweg einfach
stehen geblieben. Der wollte nicht weiter gehen, ohne eine Familie zu haben.
Ohne Kind sein zu dürfen. Der andere Teil ist weiter gerast. Älter geworden,
hat sich den gesellschaftlichen Forderungen angepasst und diese Lücke zwischen
Innen und Außen wurde über die Jahre immer größer, bis sie heute kaum noch
händelbar ist. „Was soll ich machen, wenn ich eines Tages Ärztin bin und den
Menschen das gebe, das ich eigentlich von anderen Menschen brauche? Wie soll
ich diesen Spagat aushalten?“ Ich weiß nicht mehr wann das war, aber das war
schon vor Jahren Thema in der Therapie, dass das nahezu unmöglich wird.
Und
gleichzeitig fällt es mir schwer einzusehen, so viel zu brauchen. Menschen,
deren Job das nie gewesen wäre, ihre Zeit zu klauen. Sie so in die
Verantwortung zu nehmen, obwohl sie davon nichts wissen. Es macht Angst,
Bedürfnisse so eindeutig zu spüren; zu sehen, wie es mir dann damit auch besser
geht. Denn ich hatte ja nie etwas zu wollen und zu brauchen, solange wie die
Leistung nicht gestimmt hat. Und die stimmt ja gefühlt nie. Jedenfalls warte
ich immer noch auf den Moment, bis auf der Arbeit auffällt, dass ich eigentlich
nichts kann.
***
Und jetzt noch ein paar Eindrücke aus der letzten Woche.
Momente, die mich verwirrt haben, zum Denken bewegt haben.
*
„Mondkind, hast Du denn einen neuen Telefontermin mit der
Therapeutin…?“
„Nein…?“
„Warum – geht es Dir wieder so gut, dass Du ohne sie
zurecht kommst…“
„Naja… - sie hat gesagt, ich soll mich melden, wenn etwas
ist…“
„Wirst Du das tun?“
„Wird man sehen…“
Eine Freundin meint, sie will wohl Eigeninitiative sehen.
Das scheint das Lieblingswort von allen Therapeuten und Psychiatern zu sein –
ungeachtet dessen, ob Jemand das wohl kann oder nicht. Manchmal frage ich mich,
ob vielleicht nicht jeder die Antennen dafür besitzt, das zu spüren. Ich sehe
es doch meinen Omis auf der Station auch an, ob die sich wohl bei mir melden
wenn etwas ist, oder nicht. Und bei den Kandidaten die das nicht tun, schaue
ich spät nachmittags selbst noch mal rein und frage nach, ob alles in Ordnung
ist und sie Fragen haben. Wenn das nicht der Fall ist, sagen sie „nein“ und
dann ist die Sache in zehn Sekunden erledigt. Und wenn doch, ist es gut, dass
wir darüber reden. Dann spürt man zwischen den Worten die Dankbarkeit, dass sich
da wer kümmert. Für mich ist es nur ein Mal von meinem Bürostuhl aufstehen, ein
Streifzug durch die Zimmer, der so viel Sicherheit für die Patienten generiert.
Eine Mondkind wirkt wohl nicht so, als bräuchte sie feste
Termine, damit sie sich nicht tagelang damit beschäftigen muss, ob sie wohl
Jemandem auf dem Wecker geht, oder nicht. Es würde auf jeden Fall eine Menge
Energie sparen.
*
„Mondkind, Du musst mal die Perspektive wechseln. Du musst
in den Spiegel schauen.
Du bist ja nicht nur ein Anteil, Ihr seid ja sozusagen
Viele. Und Du musst einfach mal überlegen, welche Anteile Du da nach außen
präsentierst, dass Menschen auf die Idee kommen, Dich so schützen zu müssen.“
Ich schweige eine Zeit lang. „Aber… - es ist ja jetzt
nicht so, dass ich hier absichtlich irgendwelche Leute manipuliere…“, sage ich
zögerlich.
„Das habe ich auch nicht gesagt. Das ist mir schon klar,
dass das unbewusst ist. Du solltest nur überlegen, was Du nach außen hin
präsentieren möchtest. Deine ganzen Therapeuten und Ärzte sehen Dich ja nicht
arbeiten. Ich glaube, die haben keine Ahnung, was Du alles leisten kannst. Da
ist ja auch ganz viel Stärke in Dir drin…“
Puh ja… - Perspektivwechsel. Das ist ja gerade das
Problem. Es sieht nach Außen hin so gut aus. Und wahrscheinlich sieht das alles
noch viel besser aus, wenn man eine perfektionistische und engagierte Mondkind
beim Arbeiten erlebt. Schon die PJlerin in meiner ersten oder zweiten Woche
bescheinigte mir, dass man während des Arbeitens von meiner Unsicherheit gar
nichts mehr merkt.
Erstaunlich. Im positiven und im negativen Sinn. Denn das
heißt nicht, dass die vernachlässigten Anteile nicht nach der Arbeit noch mehr
um ihr Recht kämpfen. Nicht noch mehr vermitteln, dass es nicht okay ist. Dass
wir eben doch Bedürfnisse haben, auch wenn wir die am Liebsten nicht hätten.
Vermutlich ist es fast unmöglich, Menschen die mich auf
der Arbeit erleben klar zu machen, dass es im Innen ganz anders ausschaut.
Wenngleich mein Gegenüber nicht Unrecht hat, wenn er sagt, dass ich versuchen
soll mich mehr auf diese „guten Anteile“ zu fokussieren. Auch, wenn die anderen
nicht aufhören werden, umso mehr an die Tür zu klopfen, je weniger sie beachtet
werden.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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