Betroffen, aber kein Opfer

Ich wünschte, da wären noch Worte übrig.
In meinem Kopf.

Ich weiß nicht, was das für eine wahnwitzige Idee war.
Irgendwann nach seinem Tod.
Diejenigen die durch einen Suizid sterben, die geben  das, was sie in den Suizid getrieben hat nur weiter und verzehnfachen es dabei. Habe ich mal gelesen.

Ich weiß nicht, wie ich geglaubt habe, uns beide tragen zu können. Vielleicht hatte ich das Gefühl, ich muss diese Aufgabe annehmen, weil es sonst keiner tut.

Ich bin kein Opfer von irgendetwas – soweit gebe ich den Menschen um mich herum Recht.
Aber ich bin betroffen von etwas.
Ich bin betroffen davon Angehörige eines besten Freundes zu sein, der sich umgebracht hat.

Ich wüsste gern, warum so viele Menschen sich das so einfach machen. Warum sie einfach wegschauen oder urteilen und das damit als erledigt bertrachten und nicht merken, dass dieses Alleingelassen sein danach vielleicht genauso schlimm ist, wie der eigentliche Todesfall.
„Merkst Du nicht, dass Du Dir da etwas zusammen konstruierst, das es so nie gegeben hat?“ Nein, ehrlich gesagt. Und wer will das beurteilen? Wem steht es zu eine Verbindung zu beurteilen, von der die beiden Menschen die sie hatten, am Besten wussten. „Du suchst Dir das Leid aus“. Meine Güte, ich habe ihn nicht gebeten, sich umzubringen. Ich halte es aus, das trifft es eher.

In solchen Fällen ist es normalerweise einfacher, die Menschen hochkant aus dem Leben zu schmeißen. Das hat die Meisten getroffen, letztes Jahr. Und da ist mir auch die Familie egal. Meine Mum hat letztens wieder einen Kommentar gebracht – jetzt erkundigt sie sich bei meiner Schwester nach mir. Soll sie. Die Menschen müssen anfangen zu denken, bevor sie sprechen.

Es ist nicht okay, erst die Beziehung werten zu lassen, um dann vom Umfeld eine Erlaubnis zum Trauern zu bekommen. Es ist nicht okay, sich anhören zu müssen: „Ja Mondkind, das war jetzt aber schon ein halbes Jahr.“ Es ist nicht okay, dass die anderen meinen alles besser zu wissen und die meisten – wenn nicht alle von denen – nie in einer Situation waren, in der ich bin. Es ist nicht okay, mich als psychisch völlig gestört darzustellen, weil ich eben davon betroffen bin. Als müsste alles, was aus meinem Mund kommt eine verzerrte Wahrheit sein, weil das einfacher ist es so darzustellen, als die Realität anzunehmen.

Die potentielle Bezugsperson ist da eine absolute Ausnahme, die mir auch gerade alle Kräfte raubt. Normalerweise hätte ich den Kontakt schon im Sommer abbrechen müssen. Aber er ist eben die potentielle Bezugsperson… - nichts würde mir aktuell mehr weh tun, als das. Jetzt hat er erstmal zwei Wochen Urlaub, danach habe ich ein paar Tage Urlaub und es ist ohnehin ein ungeschriebenes Gesetz, die Leute in ihrem Urlaub in Ruhe zu lassen - es sei denn, es ist ausdrücklich etwas anderes vereinbart. Wahrscheinlich wird es Mitte Februar, bis wir uns das nächste Mal hören und sehen.

Alles was es bräuchte, sind keine großen Belehrungen, keine große psychotherapeutische Aufarbeitung mit Menschen, die das mutmaßlich auch noch nicht erlebt haben und von daher auch nur Müll reden; die Meisten jedenfalls – haben wir ja auch gesehen. Alles was es bräuchte, wären diese „Heizungsmomente“. Einfach nur mit wem an der Heizung sitzen und einen Tee trinken und spüren, dass dieser Schmerz irgendwo für den Moment gerade zwischen uns beiden schwebt.

Manchmal denke ich mir, vielleicht muss man so richtig konsequent sein. Vielleicht muss man wirklich alle Zelte abbrechen und irgendwo völlig von vorne beginnen. Irgendwo, wo niemand die Mondkind von früher kennt. Ich habe lange dafür gekämpft an diesem Ort sein zu dürfen, aber es konnte niemand wissen, was dazwischen kommt. Vielleicht geht das hier nicht mehr.
Und vielleicht muss man dann mit völlig neuen Menschen von vorne anfangen. Ein ganz neues Leben. In dem man mit Sicherheit wieder jahrelang kämpfen muss, bis die Dinge so an ihren Platz fallen, wie ich das gern hätte.

„Wenn Sie mal wieder in der Studienstadt sind…“, kam letztens. Der war gut... Gibt es einen Grund, warum ich dort sein sollte? Warum ich alleine in der Altstadt stehen sollte, den Blick auf den Fernsehturm gerichtet in dem Wissen, dass wir so oft an dieser Promenade entlang gelaufen sind? Warum sollte ich der Uni einen Besuch abstatten? In der wir so oft – wirklich so oft – zusammen im Uno – Café saßen, meistens nach meiner Therapie. Und warum sollte ich auf dem Klinikgelände vorbei gehen, das nach all den tragenden Erfahrungen die ich dort hatte in den schlimmsten Stunden nur Unverständnis für mich übrig hatte? Man hätte mich auch hier nicht in Watte packen müssen, aber man hätte mir Raum geben können.
Ich vermisse die Erfahrungen alle sehr, aber es kann sie nicht mehr geben. Da bleibt nur noch der Schmerz an diesen Orten übrig.

Wer weiß, wann ich da nochmal stehen werde...
 

Vielleicht… - ist diese Idee, dass ich unsere Vergangenheit jetzt auf meinen Schultern tragen muss, aber auch ein bisschen Selbstgeißelung. Wer sagt, dass es mit dem Tod vorbei ist? Wer sagt, dass wir nicht zusammen am Rand der Sterne tanzen können irgendwo jenseits dieser Welt? Wer sagt, dass ich die nächsten Jahrzehnte kämpfen muss für uns beide? Vielleicht können wir wieder zusammen kämpfen. Irgendwo in einer anderen Welt. Und vielleicht ist es da viel schöner.

Ich würde Dir gern sagen, wie groß die Löcher im Herz sind. Wie sehr Du hier fehlst. Wie sehr Du immer noch in meinem Tun bist. Erst gestern habe ich wieder einen Brief bekommen, von dem ich nicht weiß, was ich damit soll. Ich hätte ihn Dir abfotografiert, geschickt und „Was soll ich damit?“ drunter geschrieben mit einem ratlosen Smiley. Und Du hättest mich angerufen und mir das erklärt.
Du und ich gegen die Welt. Verzeih mir, dass ich nicht alleine gegen die Welt kämpfen kann.  Wie soll etwas, das schon zu Zweit schwierig war, allein möglich sein? Man kann über sich hinaus wachsen. Aber nicht für immer.

Und am Ende ist es unmöglich diesen Schmerz, der das Herz zerreißt, in Worte zu packen.

Mondkind

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