Von Wurzeln, einem Funken Glück und Frieden

Morgens auf der peripheren Station.
Ich stelle fest, dass man sogar das Klebchen von meinem Fach schon entfernt hat. Da war man ja sehr schnell. Während ich noch gar nicht weiß, ob die das jetzt ernst meinen mit mir und der Stroke Unit.

Frühbesprechung.
Jeder tut so, als sei das eine absolute Selbstverständlichkeit, dass ich jetzt – ohne ein Wort mit mir darüber zu wechseln – auf der Stroke Unit bin. Ich nehme das mal zur Kenntnis. Packe meine Sachen auf der Station und trabe rüber in den Neubau. Ich weiß noch nicht, wie ich das finden soll. Dann also zurück zu den Wurzeln meiner Neuro - Karriere

Stroke Unit.
Erstmal werde ich aus dem großen Arztzimmer in das kleine Arztzimmer verbannt, in dem noch eine andere Kollegin sitzt. Im großen Arztzimmer ist einfach kein Platz mehr frei. Auch der PC funktioniert erstmal nicht – deshalb muss ich mich zunächst mit der EDV auseinander setzen. Es ist viertel vor 10, bis ich überhaupt arbeiten kann. Zum Glück geht die Visite etwas später los; bis dahin habe ich dann auch fix meine Patienten ausgearbeitet. Wenn man auf der peripheren Station etwas richtig gut gelernt hat, dann ist das, schnell zu sein.

Die Visite läuft wie geschmiert, nach der Visite frage ich bei der Bezugsperson noch kurz nach, ob er am Nachmittag eine Ecke Zeit hat. Hat er. 16 Uhr sagt er.

Gegen Mittag treffe ich den Oberarzt der Notaufnahme. „Mondkind…“, hält er mich auf, „ist das jetzt okay für Dich, dass Du hier bist…?“ „Naja… - ich war ein bisschen überrumpelt, aber es ist in Ordnung“, sage ich. Ich weiß immer noch nicht recht auf wessen Mist das gewachsen ist und möchte mich nicht in die Nesseln setzen. „Also Mondkind, das war die Idee von [dem SU – Oberarzt] und mir. Wir brauchten noch jemanden von drüben hier und wollten gerne Dich haben. Außerdem finden wir hier das Klima besser für Dich…“ „Aha“, entgegne ich und frage mich still, ob die langfristige Idee ist, mich halbwegs wehrlos in die Notaufnahme zu befördern. „Was ist denn jetzt mit der Epilepsie?“, frage ich. „Naja, das müssen wir da drüben jetzt erstmal etablieren; zunächst müssen wir dafür eine Oberarztstelle besetzen und dann kann dieser Oberarzt auch einen Assistenten bekommen. Das kannst Du dann machen.“ „Okay, das ist ein Deal“, sage ich.

Später treffe ich den Chef auf dem Flur. „Mondkind, alles klar bei Dir? Passt es so für Dich?“ „Ja“, entgegne ich. „Der Oberarzt wollte Dich unbedingt wieder hier haben; da habe ich Dich rüber geholt…“, erklärt er.
Schlingel. Wurde mein Urlaub doch eiskalt von ihm ausgenutzt… 

Na wer erinnert sich an Brian das Brain?

 

16 Uhr.
Die Bezugsperson kommt mir mit dem Schlüssel in der Hand klappernd auf dem Flur entgegen und sammelt mich gleich ein.

Büro.
„Na das war jetzt aber ein bisschen plötzlich alles…“, erkläre ich. „Hatten wir nicht darüber gesprochen…?“, fragt er. „Naja… - wir hatten von Februar oder März in der Notaufnahme gesprochen, aber nicht von Januar und Stroke Unit…“ „Ah okay… - naja, dann eben Januar…“, sagt er. Ich lache nur.
Dann wird es etwas ernster. Zuerst mal geht es um das Familiendrama. „Ich glaube, das geht schon Dein ganzes Leben so, mit dieser Familiendynamik…“, sagt er. „Ja…“, sage ich etwas gedehnt. Und dann erklärt er, dass er stolz auf mich ist, dass ich es diesmal geschafft habe nicht durch das halbe Land zu fahren, sondern meine Hilfe aus der Ferne angeboten habe, soweit es eben möglich ist – aber die Grenzen soweit gezogen habe, dass das Drama meiner Mutter nicht zu meinem eigenen Drama wird. „Naja, ein schlechtes Gewissen habe ich schon“, erkläre ich. „Das ist auch in Ordnung Mondkind. Aber Du bist jetzt hier. Und nicht irgendwo in der Studienstadt.“

Und dann geht es um den Freund.
„Mondkind, ich glaube, Du warst ihm nie so nah, wie Du ihm jetzt bist…“, erklärt er. „Ich glaube auch … - und manchmal fühle ich mich sehr schlecht deswegen…“, gebe ich zurück. „Mondkind – es ist alles gut, so wie es ist. Lass ihn dort, lass ihn bei Dir."
Es geht eine Weile darum, dass unsere Beziehung ein ständiges Drehen umeinander war. Dass wir nicht so richtig zusammen gefunden haben. Zumindest nicht auf allen Ebenen. Wir waren emotional so sehr miteinander verbunden, aber ich konnte mir keine körperliche Nähe vorstellen. Und das war immer und immer wieder der Dreh- und Angelpunkt. Ich musste ihm diese Grenze setzen, weil die Beziehung sonst in eine Richtung gegangen wäre, in der ich sie nicht hätte führen können. „Und deshalb hatten Ihr vielleicht auch immer wieder Angst Euch zu verlieren…“, erklärt er. „Dadurch, dass das jetzt weg fällt, kannst Du ihn ganz nah an Dich dran lassen. Und das werdet Ihr jetzt für immer so haben…“ Ich denke eine Weile darüber nach. „Naja… - nur tut diese Nähe auch sehr weh. Und… - dafür, dass ich jetzt diese Nähe habe, ist sein Leben drauf gegangen…“ „Ja aber Mondkind das war seine Entscheidung. Jeder hat die Chance zu leben ein Mal. Die kann man nutzen, oder auch nicht…“
Es geht nochmal um die Diskrepanz. Zwischen seinem offiziellen Sterbedatum und unserem letzten Kontakt. „Mondkind, das ergibt für mich noch kein Bild. Wenn man Dich anrufen würde, Du würdest nachts um drei zu irgendwem fahren und Dich kümmern, wenn es sein muss. Das passt hinten und vorne nicht, was da gelaufen ist. Da muss etwas viel Tieferes dahinter stecken.“ Lange Pause. „Vielleicht war ich einfach massiv überfordert mit der Situation…“, sage ich. „Vielleicht wolltest Du ihn auch einfach gehen lassen…“, sagt er. Ich weiß es nicht. Darüber muss ich mal nachdenken.

Aber manchmal reicht es einfach nur zu hören: Es ist okay. Es ist okay, Grenzen in der Familie zu setzen, es ist okay, diesen Schmerz zu fühlen, es ist okay, den Freund so nah bei mir zu haben und auch nach sechs Monaten noch nicht ein winziges Bisschen loslassen zu können.
Es ist mein Leben, niemand kann mir vorschreiben, wer darin eine wie große Rolle zu spielen hat.Und vielleicht… - ist das ein kleines bisschen Frieden.

Im Anschluss muss ich mit dem Wechsel des Hauses noch ein paar administrative Dinge erledigen – unter anderem mein altes Telefon in der alten Neuro abgeben und mir ein neues Telefon organisieren. Als ich meinen Datenmüll ins große Arztzimmer bringe, treffe ich noch eine Kollegin, quatsche noch kurz mit ihr und dann kommt „mein“ Oberarzt nochmal dazu. „Ich muss das heute Nacht erstmal aufladen, der Akku war so leer, dass es sich erst nicht mal einschalten ließ und ich schon kurz dachte, es sei kaputt“, sage ich gerade zu ihr. „Na das ist doch mal ein Zeichen…“, wirft er ein. „Ja, sie kommt mit leeren Akkus und geht irgendwann mit einem vollen Akku…“, sagt die Kollegin.
„Und jetzt geh nach Hause Mondkind“, sagt er und zieht mir die Kapuze meiner Sweatjacke über den Kopf.
Auf dem Flur reden wir noch kurz über Fortbildungen. „Mondkind, ich finde, Du solltest die Notarztfortbildung machen…“, sagt er. „Sind Sie verrückt – ich auf einem Rettungswagen – ich werde sterben da…“, erkläre ich. „Du musst ja nicht sofort Notarzt machen. Aber für die eigene Sicherheit. Und in einem Jahr… - reißt Du Dich dann um die Dienste; dann machst Du drei pro Woche…“ „Ich glaube nicht…“, entgegne ich, wir lachen beide. Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter, dann trennen sich unsere Wege.

Ich hoffe, es hält eine Weile. Länger als bis zu einer Chefarztvisite morgen oder einem ersten Dienst übermorgen. Aktuell ist in der Notaufnahme seit drei Tagen der Teufel los…
Ja, die Bezugsperson ist ein Schlingel. Aber manchmal ein Guter. Ich hätte mich selbst wahrscheinlich nicht für die Stroke Unit entschieden. Aber er ist näher dran. Ich sehe ihn täglich. Und solange wie die Arbeit läuft, läuft es zwischen uns auch.
Gerade ist es gut so, wie es ist. Und das aus dem Mund einer Mondkind. 

 

Und während ich gerade Deine Kerze angezündet habe, kommt mir in den Sinn: Es sind nie die schweren Momente, in denen das Fehlen groß wird…
Ich hätte es so gern geteilt. Diesen Tag heute. Diese Augenblicke von Licht. Die doch so wunderschön sind.

Mondkind

Kommentare

  1. Hey liebe Mondkind,
    ich glaube, du wärst eine tolle, unglaublich menschliche Notärztin (das ist leider sehr, sehr selten!), auch wenn das vorerst vielleicht nur ein kleines Gedankenspiel ist.
    Das schöne am Rettungsdienst ist, dass du in einem Team arbeitest und nicht alleine bist, auch wenn du die höchste Qualifikation am Einsatzort besitzt.
    Als Notärztin hast du ja auf einmal mit allen Fachdisziplinen zu tun, aber die sind bei weitem nicht so tiefgehend wie in der Klinik :)

    Liebe Grüße aus dem Rettungsdienst

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    1. Ein Hallo an den Rettungsdienst...!
      Was hier immer für Leute mitlesen...

      Danke fürs Mutmachen... Manchmal verfluche ich mich ja echt, immer so ein Hasenfuß zu sein. Als ich damals angefangen habe Medizin zu studieren, wollte ich eigentlich unbedingt in den Rettungsdienst. Deshalb habe ich meine erste Famulatur auch in der Anästhesie gemacht. Und irgendwann habe ich dann festgestellt: Ich und Rettungsdienst... ? Habe ich das bis zum Ende gedacht...? Vermutlich nicht...

      Aber wer weiß... - vielleicht werde ich die Angst ja noch irgendwann überwinden...

      Mondkind

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