Zwangspause

"Es ist gut so, wie es ist."
Das ist ein Satz, den ich mich so oft kaum traue, zu schreiben. Dahinter steht ein Gefühl, dass ich mich kaum traue wahrzunehmen. Diesen Luxus. Unbeschwert durch die Tage gehen zu können. Denn kaum ist es ausgesprochen, ändert sich das.
Und jedes Mal ist es doch erschreckend, wie schnell die Überforderung, Schwere und die Leere zurückkommen, diese Hilflosigkeit gegenüber sich selbst. Wo man doch mit jedem guten Tag hofft, dass man all das ein Stückchen von sich weg schiebt und glaubt, dass dieser Weg erst zurück gegangen werden müsse, ehe es mich wieder überfallen könnte.

Man hat befunden, wir sind zu viele Ärzte. Das ist eigentlich kaum nachzuvollziehen, wenn wir täglich Überstunden machen, aber wenn das von oben entschieden wird, dann ist das so. Demzufolge werden jetzt nacheinander wieder Kollegen ins zwangsfrei geschickt. Diese Situation hatten wir schon einmal, nur war ich damals fest in der Notaufnahme eingeplant und da der Arbeitsplatz dort nicht sehr beliebt ist, war keiner daran interessiert, dass ich gehe.
Jetzt ist es anders. Jetzt bin ich die Erste, die ins frei geschickt wird. Also habe ich am Freitagnachmittag erfahren, dass ich in der nächsten Woche zu Hause bleiben muss.

Ich kann das nicht mehr. Ich kann nicht mehr zu Hause sitzen und Däumchen drehen. Wahlweise wie ein unruhiger Tiger die Wohnung auf und ab laufen oder apathisch in der Ecke liegen, immer mit der Frage beschäftigt: Wie konnte das passieren?
Wie konnte ich den Freund gehen lassen, wie konnte ich das nicht merken, wieso war ich nicht für ihn da, was hätte ich anders machen können? Wie wäre das, wenn er noch hier wäre, wie würde unser Zusammenleben aussehen, wie wäre das, wenn die Wohnung nicht jeden Tag leer wäre, wenn ich nach Hause käme?
Das habe ich den halben Dezember gemacht. Die Arbeit ist so eine willkommene Abwechslung von diesem ganzen Gedankenkarussell, insbesondere, wenn man im Frühdienst in Ruhe vor sich hin arbeiten kann.Wahrscheinlich haltet Ihr mich einfach für richtig durchgeknallt, dass ich lieber arbeiten gehe, als mir das anzutun... - aber es ist so. Ich kann meinen Kopf nicht aushalten.

Und dann war ich doch gerade so froh, die Bezugsperson ansprechbar und in der Nähe zu haben. Was einfach unfassbar viel Druck raus nimmt. Das wäre einfach mal noch eine Woche weiter gegangen, bevor ich in den Spätdienst in der übernächsten Woche gegangen wäre. (Natürlich stand die übernächste Woche als Urlaubswoche nicht zur Debatte, weil keiner diesen Spätdienst machen möchte, in den man mich ja auch einfach ohne Rücksprache eingetragen hat). Spätdienst ist bei der aktuellen Arbeitsmoral sehr unleidlich; da arbeitet man dann doch lieber auf der peripheren Station, als auf der Stroke Unit. (Oder eben auch gar nicht). In der Woche danach haben wir eine oberärztliche Vertretungssituation, das ist auch immer Stress.
Also… - aus zwei ruhigen Januarwochen ist mal eine ruhige Januarwoche geworden und die ist genau jetzt zu Ende.


 

Und dann brauche ich diesen Urlaub eigentlich unbedingt. Aber nicht jetzt. Und er geht halt vom Jahresurlaub ab. Da wäre mir unbezahltes Zwangsfrei sogar lieber, wenn ich dafür im Sommer frei hätte, wenn ich es wirklich brauche.
Es gibt so viel zu tun. Die Einrichtung der Wohnung ist da mal zweitrangig (auch wenn man nach über einem Jahr langsam wirklich mal Lampen an der Decke haben sollte), aber ich muss endlich mobil werden, als Vorraussetzung mich um Therapeuten kümmern; das geht so langsam nicht mehr. Es wird mal mindestens ein Jahr, und mit hoher Wahrscheinlichkeit noch mehr Zeit vergangen sein, bis ich hinsichtlich des Themas mit dem  Freund, sicher therapeutisch aufgehoben bin. Denn wenn die Bezugsperson mich nicht gerade zwingen wird (und vielleicht nicht mal dann), werde ich nicht nach einem 9 bis 12 – Stunden Arbeitstag zur Fahrschule gehen oder alle möglichen Therapeuten für Erstgespräche abklappern. Dafür reicht die Kraft einfach nicht. So etwas geht nur im Urlaub. Den man eben haben muss, wenn nicht gerade totaler Lockdown ist.

Es macht mich so wahnsinnig. Dieser Zustand hier. Und dass davon einfach kein Ende absehbar ist. Die Bezugsperson und ich werden uns auch nur noch selten sehen diesen Monat.

Die Bezugsperson war heute schon ganz lieb, auch wenn er nicht viel retten kann.
Ich darf nächste Woche auch auf der Arbeit vorbei kommen und mal eine Runde durch die Funktionsbereiche drehen; ein bisschen Doppler lernen wäre schon mal noch eine Option. (Aber es wird sich natürlich jeder wundern, was ich da in meinem Urlaub treibe...)
Er hat mir auch erklärt, dass es keine „Verjährung“ für die Geschichte mit dem Freund gibt. Ein Trauma bleibt ein Trauma. Egal, wann man anfängt das zu behandeln. Und kein (guter!) Therapeut werde mir sagen: „Naja Frau Mondkind, jetzt sind Sie ja schon so lange alleine zurecht gekommen, dann müssen Sie das jetzt für den Rest Ihres Lebens auch schaffen.“ Und trotzdem wäre ich sehr dankbar, wenn irgendwann zeitnah mal jemand mit mir diesen Kopf sortiert, damit ich ihn mir nicht täglich an denselben Wänden einrenne.

Und manchmal… - manchmal kann ich den Freund so erschreckend gut verstehen. Da kämpft man wochenlang um das Licht. Und dann, kaum dass es da ist, passiert wieder etwas, dass es innerhalb von Sekunden geht. Da könnte man durchaus mal auf die Idee kommen: Ich kann das mit diesem Leben einfach nicht mehr. Es lohnt sich einfach so gar nicht. Dieser ständige Kampf gegen die Ohnmacht. Für ein „es ist okay“. Das immer nur ganz kurz „hallo“ sagt, ehe es wieder verschwindet und mich in der Dunkelheit zurück lässt. Bis wir irgendwann wieder kurzzeitig das Licht sehen und nie aufhören werden zu hoffen, dass es dieses eine Mal bleibt.

Mondkind

 

Bildquelle: Pixabay

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