Sieben Monate

Hey Du,
na, wie geht es Dir? Sieben Monate.
Heute vor genau sieben Monaten hat sich alles geändert. Die Tragweite dessen was da passiert ist, war mir so lange nicht bewusst. Vielleicht nicht mal, als ich aus der Klinik entlassen wurde.

Wie tanzt es sich am Rand der Sterne? Und gibt es da etwas wie Wetter? Das war nämlich bei uns in den letzten Tagen ziemlich crazy. Erst hat es geschneit und danach tagelang geregnet – so lange, bis das Tal unter Wasser stand. Man kommt im Moment nicht mehr in den Park, zu „unserer“ Bank. Ich frage mich, wie es dort aussehen wird, nach der kleinen Flut. Und auf die Arbeit muss ich jetzt einen Umweg über das Nachbardorf fahren. 

Dass dieser kleine Bach vor meiner Haustür das Tal so sehr unter Wasser setzen kann, hat mich erstaunt. Erschreckt. Fasziniert. Und auf eigenartige Weise beruhigt. so grausam es auch aussehen mag: In ein paar Wochen wird der Frühling kommen. Die Bäume werden wieder blühen. Die Wiesen grün sein.Vielleicht ist das das Leben. Irgendwann kommt der Frühling. Immer.

 


Es ändert sich nicht mehr viel hier. Ich bin unglaublich erschöpft – so wie die vielen Monate davor. Mein liebster Ort ist das Bett – wenn man nämlich ausnahmsweise mal schläft, muss man nicht mehr fühlen. Man wacht einfach ein paar Stunden später auf und ist ein paar Stunden näher dran, an was auch immer; an irgendeiner Verbesserung, auf die man immer noch still hofft.
Ich genieße im Moment meine letzten Tage auf der Stroke Unit. In den nächsten Tagen werde ich mutmaßlich wieder in die Notaufnahme rotieren. Aber ich sehe es alles sehr viel gelassener. Du leistet halt, was Du kannst. Und wenn Du Glück hast, reicht es denen. Wenn Du Glück hast, kommst Du ein bisschen früher nach Hause und kannst ein bisschen früher im Bett verschwinden. Aber eigentlich ist es alles auch egal, wenn es keine Ansprüche und keine Pläne mehr gibt.

Im Moment reicht es scheinbar, was ich dort leiste. Ich habe letzte Woche Post von der Personalabteilung bekommen mit einem Anschlussvertrag.

Aber möchte ich hier bleiben? Ich habe das in den letzten Tagen in meinem Kopf hin und her gedreht. Ich bin so heimatlos geworden über die Zeit. Weil Heimat nicht an Orten hängt – und noch nie hing. Sondern an Menschen. Und die verliere ich alle. Mit der potentiellen Beuzgsperson lief es ja zwischenzeitlich mal ganz gut. Ich war echt glücklich mit der Entwicklung – was mir auch grundsätzlich gezeigt hat, dass ich da nicht ganz für umsonst gekämpft habe. Aber mit allen Personen, die ich kannte, bevor Du gestorben bist, werde ich nie wieder zusammen finden.

Die letzten Tage waren hart. Genau am gleichen Tag – es war schon ein seltsames Timing – hat der Herr Kliniktherapeut endgültig einen Schlussstrich gezogen und die potentielle Bezugsperson kam wieder damit um die Ecke, dass ich mir hier irgendetwas zurecht lege und selbst für das Leid verantwortlich bin. Dabei würden mir die Leute so viel mehr helfen, wenn sie nicht ständig irgendetwas, das ich sage, interpretieren würden. Wenn sie nicht ständig Dinge sagen würden, die das Herz noch mehr verletzen. Die Leute würden mir so viel mehr helfen, wenn sie einfach wertfrei meine Worte hören und mich dann in den Arm nehmen würden. Wenn sie so hilfreiche Dinge tun würden, wie sich mit einem Tee zu mir zu setzen und mir einfach nur das Gefühl vermitteln würden, dass ich mit meinem Erleben nicht irgendwie „über“ bin. Dass ich niemand bin, den man irgendwie los werden, oder woanders hin schieben muss, weil sie jetzt durchgeknallt ist. Die Leute würden mir so viel helfen, wenn sie mich spüren lassen würden, dass ich in irgendeine Mitte gehöre.
Vielleicht könnte ich es dann schaffen. Vielleicht könnte die Seele dann ein bisschen heilen.

Ich stehe zwischen den Welten. Zwischen den Alten und den Neuen und den nie gekannten. Manchmal denke ich mir, vielleicht sollte ich einfach mal nach Berlin gehen für ein paar Jahre. Einfach so, weil ich es eben kann. Ein Leben fern der alten Welten und Brücken. Aber wenn ich nicht ganz so verrückt denke: Ich überlege im Moment ein halbes Jahr zurück zu kommen in die Studienstadt, um meine Doktorarbeit fertig zu machen. Ich weiß nicht mal, ob das einfach so gehen würde mit dem Vertrag, was der Chef sagen würde – es war einfach nur eine Idee, weil es die letzte Chance wäre, diese Arbeit zu retten.
Aber dadurch habe ich so viel nachgedacht über die Studienstadt. Erinnerungen eingefangen, kurz bevor sie die Hirnwindungen herunter gefallen sind. Ich vermisse uns so sehr.

Und ich weiß nicht, ob ich überhaupt verinnerlicht habe, dass ein kurzzeitiges Zurückgehen mir auch nicht das Leben wieder bringt, das ich kannte. Du kommst nicht zurück, die Freunde nicht, die alten Sicherheiten von Ambulanz und Psychiatrie. Ich weiß nicht, ob ich das ertragen kann zu spüren, dass eine Stadt, in der ich mir mühevoll ein paar Ankerpunkte aufgebaut habe, zeitgleich mit Dir zusammen gefallen ist. Die Stadt könnte jede sein. Ich würde an allen Orten von vorne anfangen.

Dein Licht brennt hier weiterhin jeden Tag. Ich höre so oft unsere alten Sprachnachrichten. Manchmal können sie ein bisschen die Sehnsucht stillen, während sie mir das Herz zerreißen.
Ich setze noch tapfer einen Fuß vor den anderen. In einer Welt, von der ich nie geglaubt hätte, dass ich darin bestehen könnte. Ich verspreche, das so lange zu tun, wie es ertragen kann. Ich verspreche, dass ich gegen das Vergessen von unserem „wir“ kämpfe. Ich verspreche, dass ich Deinen Schatten immer auf meinen Schultern tragen werde.  Egal, wohin ich gehe. Du wirst immer mein Freund sein. Und Du wirst immer fehlen. Bis ans Ende meiner Zeit.

Ganz viel Liebe
Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen