Verpuffen
Ich setze den ersten Fuß vor die Tür.
Hole einmal tief Luft.
Und noch während ich einatme, bleibt mir die Luft fast im Hals
stecken.
Es riecht nach… - Frühling.
Mein Weg führt mich durch die Saalewiesen.
Vorbei an den letzten Residuen des Winters, die in diesen Temperaturen
unbarmherzig dahinschmelzen.
Die Gedanken hängen zwischen dem Freund und mir, irgendwo zwischen
Hoffnung und Verzweiflung und der Sorge, dass das hier alles nichts wird. In
der Angst, dass das letzte Aufbäumen, der letzte Versuch Hilfe auf meinem Weg
zu bekommen, scheitert. Weil es organisatorisch nicht geht, weil ich nicht mit der Therapeutin zurecht komme - allzu viele Kapazitäten für "die Chemie passt nicht" habe ich ja nicht.
Letztes Jahr in den ersten Tagen des Frühlings haben der Freund und ich viel telefoniert.
Es waren die letzten Tage, die normal waren. Er und ich und unsere kleine Welt,
unsere Zukunftsideen. Zielgerade. Nach so langer Zeit.
Saalewiesen. Um die Psychosomatik herum. Auf dem Rückweg an der
Stadtmauer entlang. Ich bin diesen Weg nie alleine gegangen. Immer mit ihm am
Telefon. Immer.
Und jetzt gerade ist es ein neues Level von Einsamkeit. Die mich fast
zerreißt. Kaum atmen lässt. Die Das Herz schmerzen und die Luft in den Lungen
knapp werden lässt.
Es gibt so Vieles, das ich gern sagen würde.
Die Gedanken bleiben hängen beim Oberarzt. Manchmal habe ich das
Bedürfnis Dinge laut zu sagen. Der Freund hat sie verstanden. Immer. Wusste was
ich fühle. Konnte das nachvollziehen. Keine unangebrachten Kommentare, keine
unnötigen, langen Erklärungen. Es war, als wären unsere Gehirne zusammen
aufgewachsen.
Oberarzt. Jetzt ist er der Empfänger der Verknüpfungen zwischen dem
Gestern und dem Heute und Dingen, die er wohl niemals lesen sollte. Weil es
eben niemanden sonst gibt. Vor einem Jahr hätte er solche Mails nicht bekommen.
Aber er ist wie ein Empfänger, der das Gesagte wegen eines Störsignals nicht
versteht.
Und damit kommt es wieder zu der bekannten Ambivalenz zwischen uns,
nach der man fast die Uhr stellen kann. Immer wenn es gerade mal kurz okay
wird, ich das Gefühl habe, dass er endlich zumindest mal zuhört, kommt wieder
etwas. Und dann ist es jedes Mal wie damals, nachts auf dem Boden im Bad der
Psychiatrie.
Wenn zwischen seinen Sinneswandeln mal nur knapp 24 Stunden liegen,
dann verletzt das immer sehr. Gestern Abend musste ich mir wieder anhören, dass
ich so klinge, als habe ich die Apokalypse überstanden, nebenbei die Welt
gerettet und würde nun wie ein Phönix aus der Asche auferstehen. Er hat mir ein
egozentrisches Kreisen um mich selbst vorgeworfen, in dem ich sonst nichts und
niemanden anderen sehen würde.
Na ich weiß nicht. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das
Unverständnis dieses Menschen für meine Situation... - nicht zu übertreffen
ist. Keine Ahnung. Im Moment würde ich mir eigentlich nur wünschen, dass er
mich in den Arm nimmt und ein bisschen festhält und hier nicht den
Hobbypsychiater spielt, der völlig außerstande ist, die von ihm selbst
ausgelösten, emotionalen Krisen aufzufangen.
Die Sonne steht mittlerweile schräg, trifft auf meine müden, feuchten
Augen.
Und manchmal – so wundervoll wie diese Welt auch ausschauen kann –
würde ich gerne gehen dürfen. Ich glaube, ich werde nirgendwo fehlen. Es gibt
keinen Menschen mehr, der mich wirklich gern als Teil in seinem Leben hat. Aber
ich trage die Verantwortung für uns beide auf den Schultern. Meine kann ich
abgeben. Es ist nicht schlimm, wenn eine Mondkind vergessen wird. Aber seine… -
seine kann ich nicht abgeben, ohne ihn zu fragen.
Mondkind
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