Von Winter, Wind und Therapie - Ideen
Hey,
na wie ist die Lage… ?
Ich war heute spazieren. Bei uns sieht es aus wie im Märchenland.
Wirklich. Wunderschön. Wenn es nur nicht so kalt wäre.
Deshalb gab es heute Morgen erstmal einen Kaffee und ein Nutellabrötchen – dazu musste ich erstmal welches kaufen. (Kleiner Schwenk am Rand: Letztens ging es im Arztzimmer darum, dass einige Kollegen jetzt Abnehmen mittels Hypnose versuchen. Da meinte ein Kollege ganz frech: Die Mondkind sollte besser mit zur Hypnose gehen, um zuzunehmen.“ Also darf ich mir wahrscheinlich öfter ein Nutellabrötchen zum Frühstück genehmigen…).
Ansonsten habe ich die Stille der Natur genossen, mir anschließend – um warm zu werden – einen Kakao gekocht, werde bis morgen Abend ein bisschen lesen, Podcasts oder Musik hören, Mandalas malen, kochen, viel zu viel Kaffee trinken und ein bisschen Haushalt machen. Und dazwischen sicher noch öfter als mir lieb ist mit Kopfhörern auf den Ohren und Tränen in den Augen auf dem Wintergarten liegen.
Ab Donnerstag stehen anderthalb Wochen Arbeit + zwei erste Dienste am Wochenende auf dem Programm – keine Ahnung, wie ich das machen soll in dem Zustand. Ich fürchte… - einfach los legen.
Ich weiß gar nicht, was mich hier so raus gehauen hat, ehrlich gesagt.
Vielleicht die Erkenntnis, dass nach sieben Monaten wirklich nichts geblieben
ist? Und selbst mit den einzigen beiden verbleibenden Personen, mit denen ich
auch vorher privaten Kontakt hatte – dem Seelsorger und der potentiellen Bezugsperson
– ist es schwierig geworden und gerade bei der potentiellen Bezugsperson glaube
ich nicht, dass das noch lange Zukunft hat.
Vielleicht ist es, dass ich mir gerade eben so sehr eine Familie
wünsche, zu der ich einfach mal fahren kann, die mich ein paar Tage in ihre
Mitte nimmt und das eben einfach nicht geht?
Vielleicht hat es mich zu sehr irritiert, dass auf meinem Schreibtisch
die letzten Tage ein Prospekt von einer der verbreitetsten Selbsthilfegruppen
in Deutschland nach einem Suizid im Angehörigenkreis liegt und ich realisiert
habe, dass das wegen genau Dir dort liegt?
Vielleicht, weil mich das nervt und beunruhigt und ich mir auch ein
bisschen Sorgen mache, dass die potentielle Bezugsperson sich so distanziert
hat? Liegt das Problem bei ihm oder bei mir? Geht es ihm selbst nicht gut?
Der Seelsorger hat gestern so liebe Worte gefunden. Erklärt, dass Du
noch irgendwie da bist, nur eben anders. In einer anderen Gestalt. Ein bisschen
wie der Wind. Der auch immer da ist und doch spürt man ihn nicht immer, wenn
man sich nicht drauf konzentriert.
Ich muss das nicht so pragmatisch sehen und glauben, dass Du irgendwo
unter der Erde liegst und gerade bitterlich erfrierst. Stell Dir vor – ein Mensch
komplett eingeeist. Erfroren. So wie das Leben vor sieben Monaten. Da muss ich
schon wieder weinen.
Er hat gesagt, dass Du jetzt mehr sehen kannst. Dass Du mir verzeihen
würdest. Die Fehler, die ich und wir gemacht haben. Und die dafür gesorgt
haben, dass wir nicht so zueinander gefunden haben, wie wir es uns beide
gewünscht haben. Der Seelsorger hat gesagt,
dass Du nicht mehr eifersüchtig wärst, wenn ich irgendwann nochmal einen
Freund finde. Er hat gesagt, Du würdest wollen, dass ich trotzdem irgendwie
glücklich werde. Ich vergesse Dich ja nicht deshalb.
Aber ich weiß nicht. Ob das stimmt. Also… - wer weiß das schon. Wie
das so abgeht, wenn man stirbt.
Jetzt vor einem Jahr hatten wir die letzten guten Wochen zusammen.
Wussten nicht, dass es die letzten guten Wochen für ein ganzes Leben sein
werden. Bevor es Dir so schlecht ging. Bevor man einfach gar nicht mehr
hinterher kam, so schnell, wie es mit Dir bergab ging.
Das war furchtbar für mich, ehrlich gesagt. Und daneben musste ich so
tun, als wäre nichts, weil ja nicht mal jemand von uns wusste. Aber ich dachte…
- es wird gut am Ende. Es war immer gut geworden.
Ich hab die potentielle Bezugsperson ein bisschen genervt.
Hinsichtlich Therapeutensuche. Er redet zwar nicht viel mit mir aber naja… -
wir sind erwachsen. Wir müssen auch ab Donnerstag wieder zusammen arbeiten. Eine
konkrete Frage beantwortet er schon. Und langsam brauche ich einfach mal irgendeinen professionellen Rahmen. Es geht so einfach nicht mehr. Ich komme da nicht weiter.
Er hat mal in der Psychiatrie gearbeitet, ich glaube schon, dass er
Connections hat. Hat er auch, sagt er. Ist nur die Frage, ob es ohne Auto geht
und so lange wie Lockdown ist… Aber was der nächste Knackpunkt ist: Das wird
nicht über die Krankenkasse laufen können. Das haben wir ja jetzt lange genug
versucht.
Ich kann mich noch erinnern, darum ging es schon mal in einem Gespräch
kurz nach meiner Entlassung aus der Klinik. Wir haben hier unfassbar viele
psychosomatische Kliniken in der Gegend, keine Ahnung wie viele Kurorte – es gibt
genug Therapeuten. Viele von denen können nur nicht kassenärztlich abrechnen.
Also werde ich das – wen immer er jetzt auftreibt – selbst bezahlen müssen.
Deshalb hatten wir das damals auch erstmal nicht gemacht.
Die Idee war auch mal, ob ich nicht weniger Arbeiten gehe – vielleicht
so 70 oder 80 %, weil mich die Arbeit ja nun mal auch stresst. Aber wenn Du die
Miete bezahlen musst, ein Auto, Deine Therapie und Deine Lebenshaltungskosten…
- wird es damit nicht viel; das hatten wir dann auch beschlossen. Also er, mehr
oder weniger. Und er musste schon ein paar Jahre länger Finanzen jonglieren,
als ich.
Ich meine… - ich bin in der glücklichen Lage, dass ich mir das – wenn vielleicht
auch nicht so hochfrequent, wie ich das brauchen würde – irgendwie leisten
kann. Das können viele andere nicht. Aber Du musst mal bedenken, wie verrückt
das ist. Da arbeitest Du Dich an und in diesem Gesundheitssystem kaputt und
bekommst nicht mal eine Therapie von diesem Gesundheitssystem; also zumindest
nicht ohne zwei Jahre zu warten und bis dahin bin ich längst nicht mehr
arbeitsfähig, wenn das so weiter geht.
Ach so… und über das Einwohnermeldeamt habe ich mich auch super dolle aufgeregt die letzten Tage. Wenn wir so arbeiten würden, wie die Leute da… - Hallelujah… naja, ich erzähle es Dir ein anderes Mal, auf jeden Fall habe ich jetzt echt Stress deswegen. Aber wer weiß… - vielleicht habe ich an dem Tag an dem ich da hin muss auch wieder Zwangsurlaub – dann löst sich das Problem von selbst…
Soweit erstmal. Ich gehe jetzt Wäsche aufhängen im Keller. Im
Wintermantel…
Ich hoffe, Du erfrierst nicht. Ich hoffe es einfach. Ich hoffe der
Herr Seelsorger hat Recht. Keine Ahnung, wie er so überzeugt von dem sein kann,
was er da spricht. Aber er hat es studiert. Schwaches Argument vielleicht, um
sich blind darauf zu verlassen. Vielleicht möchte ich ihm auch einfach glauben. Weil
es das alles ein mini – bisschen einfacher macht.
Ganz viel Liebe
Mondkind
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