Therapieplatzsuche und Erinnerungen
I can't say this to your face
But I know you hear
I'll see you
again
I feel you walk beside me
I know I'll see you again
(Westlife – I’ll see you again)
„Bleib
nicht lange Mondkind“, sagt die Kollegin. „Soll ich die Tür zu machen?“
„Ja
bitte“, entgegne ich.
Sie
ist kaum ins Schloss gefallen, als ich die ersten Tränen in den Augen habe.
Was
für ein Tag. Frühbesprechung, EEG – Fortbildung, Dienstplan – Besprechung,
Chefarztvisite.
Und
zwischendurch telefoniere ich mir die Finger wund. Was Chefs erzählen klingt
immer ganz gut – funktioniert aber eigentlich nie. Irgendwann landet man auf
dem Boden der Tatsachen. Mittlerweile wissen wir: Auch die Anbindung an die Institutsambulanz,
die der Psychosomatiker vorgeschlagen hatte, funktioniert nicht ohne
monatelange Wartezeit – mindestens drei werden es. Und obwohl wir miteinander
gesprochen haben, müsste ich trotzdem erst mit einem Therapeuten ein
Vorgespräch führen, dann auf die Warteliste und dann würde ich nochmal einen
anderen Therapeuten bekommen. Wie oft soll ich diese verdammte Geschichte noch
erzählen? Wir sind hier nicht beim Kaffeeklatsch. (Und abgesehen davon macht
mir diese Institutsambulanz – in der ja Therapeuten in Ausbildung arbeiten - auch
ein bisschen Bauchschmerzen. Ich will nicht gemein sein, aber ich finde, ich stand
diesem Psychotherapiesystem lange genug als Übungsobjekt zur Verfügung und
förderlich war das für mich nicht. Langsam brauche ich mal Jemanden, der weiß
was er tut…)
Die
potentielle Bezugsperson war damit nicht einverstanden und hat mich
aufgefordert nochmal mit der Sekretärin des Psychosomatikers zu reden. Habe ich
dann gemacht. Er kann das Verfahren dort nicht ändern, hat mir aber
vorgeschlagen, dass ich mal bei seiner Frau anrufen könnte, die Therapeutin in
meinem Wohnort ist. Haken: Sie arbeitet nur zwischen 10 und 14 Uhr – das ist
nicht unbedingt kompatibel mit meinen Arbeitszeiten – eigentlich so überhaupt
nicht. Ein Blick auf meine Liste von Therapeuten, die mir der Chef von unserer
psychosomatischen Klinik am Standort einst mitgegeben hatte verrät – ich habe
sie damals abtelefoniert. (Komischerweise hat es beim Namen von diesem
Psychosomatiker überhaupt nicht geklingelt bei mir). Das war eine derjenigen,
die man genau 20 Minuten am Tag anrufen konnte. Eine der Ersten von der Liste, mit
der ich gesprochen hatte und die so wenig Kapazitäten hatte, dass sie das auch
abgelehnt hat, mich auf irgendeine Liste zu schreiben. Keine Ahnung was
passiert, wenn ihr Mann mit ihr spricht. Aber man kann keine Zeit generieren,
wo keine ist…
Aber
drei Monate Wartezeit mindestens... - in drei Monaten ist lange Frühling. Ich
habe das heute mal vorgerechnet und irgendwie hat mich das fast erschlagen. Im
März letztes Jahr ging das los, dass es dem Freund so schlecht ging. Er war in der Psychiatrie,
bis oben hin voll gestopft mit Medikamenten und dieser Mensch, mit dem man so
wunderbare Gespräche führen konnte, war nicht mehr der Mensch, den ich kannte.
Nach 10 Minuten war die Konzentration am Ende, ich habe nur noch gehört: "
Ich glaube, ich werde dement und wenn ich dement werde, dann willst Du nichts
mehr von mir wissen. Spätestens dann suchst Du Dir einen Assistenzarzt und dann
bin ich nicht mehr interessant für Dich." Er hat nicht mitbekommen, wie
sehr das weh getan hat. Wie ich wochenlang auf der Parkbank gesessen habe
während dieser Telefonate, nach Worten gesucht habe, die aufbauend und stärkend
sind. Wie ich versucht habe, das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken, weil
es so immens weh getan hat, ihn so sehr zu verlieren.
Ich weiß, dass er stockdepressiv war. Aber da war dieses grundlegende
Vertrauen, dass ich ihn wieder bekomme. Ich habe nie daran gedacht, dass er
wirklich daran sterben könne. Nie. Nicht ein einziges Mal. Dieses Szenario gab
es nicht.
Und nebenbei ist mir damals täglich die Notaufnahme um die Ohren geflogen, ich
hatte so sehr Angst - morgens beim Aufstehen schon - den Patienten nicht
gewachsen zu sein. Aber ich konnte ihn nicht damit behelligen, dass ich
eigentlich auch nicht wusste wohin mit mir und meiner Angst. Ich habe bis heute
Sorge, dass ich zu wenig für ihn da war, weil es auch für mich eine schwierige
Zeit war. Ich habe versucht ihn zu sehen. Mich zu bemühen. Aber es hat einfach
nicht gereicht.
Ich weiß es nicht, was das dieses Jahr für ein Frühling werden soll. So viele
Tage, die schwer werden. Sein Geburtstag, der Tag unseres letzten Telefonates,
das offizielle Sterbedatum, der Tag, an dem seine Mum mich angerufen hat...
Und ganz passend hat man jetzt die Idee, mich im März wieder in die Notaufnahme zu stecken. Das Krankenhaus ist eine Katastrophe im Moment. Vielleicht nehme ich das nur so war, weil ich komplett überfordert mit dem Gesamtpaket bin im Moment, aber Planung existiert da einfach nicht. Derzeit bin ich auf der Stroke Unit eingeteilt, wo ich seit Anfang des Jahres genau 10 Tage gearbeitet habe, aktuell bin ich auf einer Station, auf der ich nicht sein sollte und laut eines im Untergrund existierenden Rotationsplans, den keiner beachtet, sollte ich derzeit in der Notaufnahme sein. Das wird dann immer wieder angesprochen, dass man sich ja schon daran halten wolle.
Ich
kann das aber nicht. Spätestens das wird mich hier raus hauen. Ich kann nicht
ein Jahr später auf demselben Arbeitsplatz sitzen, wieder wochenlang jeden
Morgen schon vor der Arbeit eine Stunde geweint haben, weil ich so sehr Angst
habe und wissen, dass ich es vor einem Jahr einfach vergeigt habe, für den
Freund da zu sein. Es kann nicht alles sein, wie es gewesen ist, nur ohne ihn.
Ich
denke immer, irgendwie müsste es doch auffallen, das man eine Mondkind nicht so
emotional foltern kann. Aber das fällt nicht auf.
Zwei
Tage noch, am Wochenende Dienst und viele Telefonate zwischen Hoffnung und Realität und dem Wissen, dass ich hier auf dem letzten Loch pfeife.
Und
nicht Aufgeben zwischendurch. Aber wie soll man nach allem den Glauben
behalten, dass es am Ende okay werden wird? Kann es okay werden?
Sorry für das Durcheinander... - ich bin einfach... - müde...
Mondkind
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