Ein katastrophaler erster Dienst

Sonntagnacht. Knapp fünf Stunden vom Klingeln des Weckers entfernt.
Erster Dienst der wie vielte?
Keine Ahnung.

12 Stunden rennen.
Ohne zwischendurch mal etwas essen oder trinken zu können.
Obwohl das irgendwann vor lauter Angst auch nicht mehr funktioniert hätte.

Fälle, die einfach scheiße waren. Anders, kann man es nicht sagen.
Eine, die eigentlich mit einer hypertensiven Entgleisung bei den Internisten lag. Plötzlich wird sie komatös. Die Internisten behaupten, sie habe vorher gekrampft. Ob das wirklich so war… ? Und dann stehe ich da mit einer komatösen Patientin im Schockraum und denke darüber nach, wer sie jetzt intubiert, wenn aus ihrem Würgen ein Erbrechen wird und die Schutzreflexe ausfallen. Die Anästhesistin, die Hintergrund hat, braucht 25 Minuten in die Klinik.

Nur wenig später wartet meine erste Thrombektomie auf mich. Das war immer meine Horrorvorstellung. Dass ich meine erste Thrombektomie im Dienst erlebe. Wie sind die Abläufe genau? Wann rufe ich wen genau an? Ich denke mir etwas bei dem was ich tue, aber nicht das, was der Oberarzt sich denkt. Also geraten die Abläufe ein wenig durcheinander, obwohl die Thrombektomie an sich gut funktioniert.
Aber da habe ich meinen Oberarzt verloren. Er ist sauer auf mich. Und jetzt arbeitet man mal stundenlang mit einem Hintergrund, dem man gefühlt nicht mehr unter die Augen treten kann.

Da wird der Patient mit der peripheren Fazialisparese, den ich auch noch punktiere, was tatsächlich sehr vorbildlich klappt, zur Nebensache.

Am Abend macht die Patientin nach der Thrombektomie Probleme mit ihrem Herz. Sie war rhythmisch schon total durcheinander, als sie mit dem Rettungsdienst zu uns kam, aber jetzt springt sie zwischen absoluter Arrhythmie und langsamen Sinusrhythmus, schiebt dazwischen immer wieder präautomatische Pausen, die eine Asystolie von einer Monitorlänge bilden.
Wenn die jetzt stirbt, bringt mein Oberarzt mich um. Ich glaube, dann werde ich meinen Job verlieren. Wir rasen rüber auf die Kardiologie und holen einen kardiologischen Kollegen rüber, der mir erklärt, dass ich keine Angst mehr haben muss, dass sie nicht mehr anspringt. Aber mit ein paar Medikamenten können sie wir wieder in den Sinusrhythmus stabilisieren.

 

Einmal in die Hand nehmen, atmen und einfach weiter machen. Sich erinnern an einen Menschen, der irgendwann mal an mich geglaubt hat. In dessen Büro ich lange sicher war.

Wenn man es wenigstens als „Scheiß – Dienst“ abhaken könnte.
Mein Oberarzt sieht die Schuld primär bei mir. Unser letztes Telefonat heute dreht sich darum, dass ich wohl auch jetzt noch nicht mit den Diensten zurecht käme und man sich da etwas überlegen muss. Dieser Dienst muss Konsequenzen haben.

Die Übergabe morgen wird noch lustig. Der Chef wird wahrscheinlich toben. Und hinterher werden alle Oberärzte zusammen sitzen und darüber sinnieren, dass die Mondkind einfach unfähig ist.
Wie ich nach der kurzen Nacht, falls ich heute überhaupt irgendwann zur Ruhe komme, den Tag morgen schaffen soll… - das überlegt sich besser die Mondkind von morgen früh.

Und manchmal denke ich mir irgendwie: Ich hab’s versucht. Ich habe es wirklich versucht. Obwohl ich das gar nicht wollte, vor einem Jahr. Weil ich genau vor Tagen wie heute so unendlich viel Angst hatte. Und glaubt mal nicht, wie oft ich heute Tränen in den Augen hatte, wie oft mein Herz so sehr gerast hat, dass es weh getan hat. Aber ich hab’s versucht und es geht nicht. Zwischendurch hat man das gedacht, aber am Ende geht es doch nicht.
Und vielleicht gibt es irgendwo anders doch noch einen Platz, an dem der Freund und ich wieder gemeinsam am Fluss stehen können. Er bei mir und ich nicht mehr in dieser Krake von Arbeit gefangen, der ich nicht mal gerecht werde. Vielleicht müssen wir in eine andere Welt gehen, um nochmal ein „wir“ zu erleben. Befreit von diesem Leben, das irgendwie nichts wird.

Und so ganz nebenbei: Bis ich wieder im Büro des Oberarztes sitzen kann, bis wir wieder reden können, werden nach dem heutigen Tag Wochen bis Monate vergehen. Falls das überhaupt nochmal passiert. Und vielleicht… - vielleicht konnte es diese zwischenmenschliche Nähe, dieses Aufgefangenwerden in einer Mitte nur noch ein Mal geben. Und vielleicht war das an Weihnachten. Ich hab’s einmal gespürt. Und gespürt, dass diese kleine, große Mondkind – Idee funktioniert hätte, wenn die Umstände anders gewesen wären.
Aber das ist vorläufig tatsächlich mein geringstes Problem. Obwohl auch temporärer Bezugspersonen – Verlust immer schwer ist. 

Ich weiß nicht, was die jetzt mit mir machen, jobtechnisch. Da ist sie wieder, die Angst vor der Brücke. Die Angst den Job zu verlieren. Die Angst vor dem Nichts in der Welt. Ich habe Keinen mehr, der hinter mit steht. Die Angst irgendwann doch daran zu sterben. Weil das ja eigentlich immer klar war. Ich jahrelang gekämpft habe, aber manchmal ist es so, dass Bemühen nicht reicht. 

 

Mondkind

Kommentare

  1. Liebe Mondkind,
    dein Job ist die Hölle. Die Unterstützung, die du erfährst, ist ein Witz. Eure Personalsituation desaströs.
    Ich wünschte, du könntest dich von diesem Katastrophisierungsdenken und der "In-den-Staub-werfen-vor-den-Obrigkeiten"-Bereitschaft loslösen, aber das wird vermutlich erst in einer Therapie klappen. Du wirst deinen Job nicht verlieren. Die könnten es sich nicht erlauben, dich gehen zu lassen, vor allem, weil man so mit dir umspringen kann.
    Du machst dich für den Job kaputt. Warum?!

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    1. Liebe Mondkind,
      ich stimme meiner Vorkommentator/in zu, dein Job ist die Hölle. Nie werden sie dich entlassen, wer macht dann die Drecksarbeit?
      Ich hab neulich mit meiner Ergotherapeutin gesprochen, sie meinte, alle die mit über 40 in Therapie zu ihr kommen sind im Job unglücklich, Mobbing, bösartige Chefs, übler Stress.... und wenn ich jetzt zu arbeiten beginne - was einem Wunder gleicht, ich sollte mit Mitte 20 berentet werden - dann soll ich mir was zu MEINEN Bedingungen suchen - und genau das hab ich gemacht, auch Sachen abgelehnt. Jetzt hab ich ein super Team, Aufgaben, die mir Spaß machen und werde auch noch für meinen Bereich gut bezahlt. Gleichzeitig ergibt sich mittlerweile, dass ich mich noch nebenberuflich selbstständig machen kann.
      Deine Ängste sind völlig irrational, geprägt von deiner Kindheit. Jemand mit einem absolvierten, bestandenden Medizinstudium landet nicht unter der Brücke. Und auch in deinem Bereich muss es Jobs geben, die nicht so mörderisch sind. Wem willst du was beweisen? In deinem Text klingt schon wieder die Suizidalität durch und die ist und bleibt ein Problem von dir - auch unabhängig von der Katastrophe mit deinem Freund. Ich kann dir nur sagen, achte dringend mehr auf dich, du lässt dich verheizen. Du musst für nichts büßen und bist niemandem etwas schuldig. Schon gar nicht, weil du den "Makel" hast, psychisch krank zu sein. Dein Arbeitgeber müsste eigentlich dich eher noch in Schutz nehmen.

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    2. Hey Ihr beiden,
      Danke erstmal für Eure Kommentare...

      Naja, mittlerweile habe ich mich auch zumindest ein bisschen beruhigt. Und verdränge gerade, dass ja ein nächster Dienst kommen wird.
      Es ist halt irgendwie schwierig, wenn man so sehr eingetrichtert bekommen hat, dass der Wert der eigenen Person ausschließlich an der Leistung hängt und dann so ein Mist passiert und dann auch noch unter den Augen der potentiellen Bezugsperson. Das ist einfach so anstrengend auf der Arbeit immer im Hinterkopf zu haben, dass alles gut laufen muss, damit er noch mit mir spricht. Und die Konsequenz, wenn es schlecht läuft ist, dass er nicht mehr mit mir spricht. Oder ich mir das zumindest einbilde, ich meide ihn jetzt einfach mal, weil ich nicht glauben kann, dass er sich mit so einer Mondkind gerade abgeben möchte.

      Manchmal glaube ich, ich müsste noch ein Mal mutig sein. Und noch ein Mal alles über Bord schmeißen. Und - wie Ihr schon sagt - wirklich einen anderen Job suchen. Der besser zu mir passt. Vielleicht sollte ich es einfach mal in der Psychsomatik versuchen und wenn es nicht klappt, dann ist es so. Aber irgendwie... - wo immer ich die Möglichkeit hatte auf mein Gefühl zu hören, hat es auch geklappt. Weil das eben irgendwie "ich" war und da auch eine andere Motivation dahinter steht, als wenn ich ständig nur das Gefühl habe Dinge tun zu müssen, weil sie von anderen erwartet werden.

      Ich glaube halt, dass dieser entscheidende Punkt hinsichtlich des Katastrophendenkens ist, dass ich wirklich absolut keinen Rückhalt habe, auf den ich zählen kann. Was immer auch passiert, ich bin alleine. Ein Stück weit war ich sicher schon immer so, dass ich die Dinge katastrophisiert habe, aber da ist auch immer direkt der Gedanke: "Egal was passiert, Du musst es alleine händeln können." Und damit meine ich nicht mal, dass mir jemand etwas abnehmen sollte, sondern dass ich einfach jemanden habe, der mit motivierenden Worten zur Seite steht oder auch einfach mal auffangen und da sein kann, wenn etwas vor die Wand fährt. Und dieses Wissen, alles alleine aushalten und managen zu müssen, ist schon schwierig.

      Mit der Suizidalität... - ich weiß es nicht. Die Menschen glauben ja gerne mal, dass ich nach dem Tod des Freundes "geheilt" davon sein müsste. Aber ob und wie ich je davon los komme... - ich weiß es nicht, ehrlich gesagt. Vielleicht muss ich einfach lernen, damit zu leben. Das meinte eine Pflegerin in der Psychiatrie mal zu mir. Dass sie ein paar Leute kennt, die in der gleichen Situation sind, aber gelernt haben, damit zu leben. Bis dahin dauert es aber vermutlich noch...

      Mondkind

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