Ärger auf der Arbeit, Lebenspause und Therapiesuche

Manchmal muss man sich ja einfach mal so richtig auskotzen.
In früheren Zeiten hätte ich jetzt erstmal den Freund angerufen und hätte ihm so lange vom heutigen Tag erzählt, bis die Worte aufgebraucht wären. Und dann hätte er wieder gesagt: „Mondkind, ich finde Du solltest woanders arbeiten.“ Aber da es den Freund nicht mehr gibt und alle anderen Menschen sich auch recht rar gemacht haben in meinem Leben, muss das eben jetzt mal auf dem Blog erfolgen.

Urlaubsplanung. Erstes Problem. Wer in den letzten Monaten mitgelesen hat, hat sicher mitbekommen, dass ich schon seit Anfang Januar ständig ungefragt in den Urlaub gesteckt werde. Damit kann ich halt überhaupt nichts anfangen, insbesondere, wenn es Freitag heißt: „Mondkind, nächste Woche bleibst Du zu Hause.“
Jetzt hat es mal eine Woche gegeben, die ich wirklich haben wollte, weil Besuch geplant war. Das wäre die nächste Woche gewesen. Der Besuch und ich haben uns schon Anfang Januar zusammen gesetzt und überlegt, wann wir beide eine Woche Urlaub nehmen und es stand von Anfang des Jahres an auf dem „Urlaubswünsche – Plan“ im Arztzimmer auf der Stroke Unit. Dann haben sich später noch andere Menschen eingetragen, obwohl eigentlich klar war, dass es nicht realisierbar ist. Aber diese anderen Menschen verlassen auch die Klinik und müssen Resturlaub abbauen. Trotzdem hätte man mich zumindest mal fragen können.
In den letzten beiden Wochen war es immer Theater. Erst hieß es, dass ich zumindest drei Tage bekomme, dann hieß es, ich solle mir keine großen Sorgen machen, ich bekomme die ganze Woche. Und heute hieß es dann: Ich bekomme nur zwei Tage. Aber der Besuch kommt aus dem Norden und das macht – wenn die Reise einen Tag mit dem Auto dauert – einfach keinen Sinn.
Natürlich ist auch der Besuch jetzt enttäuscht und ich war irgendwie auch nicht auf die Notaufnahme nächste Woche eingestellt, sondern hatte mich vorsichtig gefreut mal wieder mit dem Auto ins Umland zu kommen. Ob es gerade hilft, weiß ich nicht, aber hätte ja sein können.
Und ich ahne schon, spätestens übernächste Woche heißt es wieder: „Mondkind, Du musst zwei Tage Urlaub nehmen. Weil halt gerade Platz im Urlaubsplan ist – nicht weil Du willst.“

Das zweite Problem ist die massive Unterbesetzung und dass es mittlerweile an allen Ecken kracht. Gestern hatte eine Kollegin ersten Dienst, die immer in ihren ersten Diensten etwas überfordert ist. Das ist okay, das verurteile ich gar nicht. Ich bin schließlich auch überfordert. Aber ich versuche dabei fair zu bleiben.
Heute Morgen in der Frühbesprechung hat sie sich wohl nämlich sehr aufgeregt und weil es ja schließlich einen Schuldigen für Scheiß – Dienste geben muss hat sie einfach mal behauptet, dass ich ihr überhaupt nicht geholfen habe, als sie mit fünf Patienten gleichzeitig in der Notaufnahme gestanden hätte. Das hat dazu geführt, dass mein Oberarzt mich heute im Spätdienst (ich war ja nicht da in der Frühbesprechung) erstmal zur Seite genommen hat und mit mir geschimpft hat. Von wegen man müsse kollegial zusammen arbeiten und ich würde irgendwann auch mal in der Notaufnahme stehen und müsse auch daran denken. Hallelujah, glaubt er ernsthaft ich lasse da jemanden wissend mit fünf Patienten in der Notaufnahme? Er kennt mich aber sehr schlecht…
„Zuerst mal – sie saß bis 20 Uhr im Arztzimmer und hatte bis dahin zwei Rückenschmerzen – Patienten; einen hat sie aufgenommen, den anderen nach Hause geschickt. Ich habe sie gefragt, ob sie damit Hilfe braucht, sie hat gesagt nein. Ich habe ihr gesagt, wenn sie vor in die ZNA geht und irgendetwas ist, soll sie anrufen. Und von mir aus kann sie auch anrufen, wenn sie einen Patienten hat und einen Doppler braucht und es zeitlich nicht schafft; es ist mir egal, ich mache es. Aber meine Aufgabe ist es sicher nicht im 30 – Minuten – Takt in der Notaufnahme anzurufen und zu fragen, ob ich helfen kann. Ich biete mich immer beim Dienstwechsel an und sage immer, dass man mich gern anrufen kann. Aber ich drehe auch nicht Däumchen auf Station. Gestern hatten wir eine Patientin, die sich hier akut verschlechtert hat und dann noch einen Patienten mit plötzlicher Anisokorie, da muss ich mich auch noch kümmern und kann nicht ständig im System schauen, wie viele Patienten genau in der ZNA sind. Und bis gestern Abend um 22 Uhr hatte sie nicht fünf Patienten gleichzeitig; da war ich nämlich noch da, weil ich sogar eine Überstunde gemacht habe, weil natürlich allen Patienten um 21 Uhr pünktlich die Nadeln raus gefallen sind und ich ihr die Stationsarbeit nicht übrig lassen wollte.“ „Ja aber Mondkind, Du musst darüber reden, was Du arbeitest.“ Ja klar, soll ich dann demnächst in der Frühbesprechung erzählen, dass ich so gütig war und noch Nadeln gelegt habe? Das ist Kollegialität, wenn man weiß, dass der erste Dienst noch die ganze Nacht durchhalten muss.
Hinsichtlich der angesprochenen fünf Patienten glaubt mein Oberarzt mir trotzdem nicht, läuft mit mir nach vorne in die ZNA und analysiert in unserem "heiligen Buch" genau, wann wer gekommen ist. Um auch festzustellen: Es gab nie fünf Patienten gleichzeitig und bis meine Arbeitszeit vorbei war, waren es zwei.
Aber es ist einfach zum Kotzen. Ich habe noch nie meine Arbeit nicht gemacht. Oder habe einfach zugeschaut, wie den Kollegen die Station um die Ohren geflogen ist. Und heute Morgen hat der Chef genau das über mich gehört. Und dann vergessen alle ganz schnell Mondkinds sonst bekannte Gewissenhaftigkeit. Wenn man einen Schuldigen braucht und sich gerade niemand besser anbietet, weil ich gerade nicht da bin, dann werde eben ich das. 

 

Ansonsten wollte ich morgen nochmal bei der Therapeutin anrufen, bei der ich letztens war. Ich habe darüber nicht mal einen Blogpost verfasst, weil der Termin so schlecht war, dass sich das nicht gelohnt hat. Aber wie sagt der Oberarzt nicht so schön: „Mondkind, das ist alternativlos.“
Jetzt hat sie ja nur Zeit zwischen 10 und 14 Uhr; der ursprüngliche Plan war ja, dass ich nach der Visite dahin gehen kann und nachmittags mit der Stationsarbeit dann eben später anfange als die anderen – aber mit der ZNA ab nächster Woche bis November ist der Plan ja hinfällig. „Dann muss Dich eben der Spätdienst ablösen, dann kannst Du halt erst danach.“ „Dann kann ich mit ihr ja erst Termine ab 13 Uhr machen. Also zwischen 13 und 14 Uhr“, erkläre ich. „Das wird sie direkt wieder als Grund nehmen, dass das mit mir alles ungünstig ist…“ „Du kannst sie ja fragen, ob Du jetzt kündigen sollst, oder wie sie sich das vorstellt.“ Ich verrolle die Augen.
Abgesehen davon ist es auch ein Unterschied, ob man nach dem Termin Notaufnahme oder Station machen muss. Ich habe ja gelegentlich mit dem ehemaligen Herrn Kliniktherapeuten oder Frau Therapeutin telefoniert während der Arbeitszeit. Da hat man hinterher immer nochmal kurz Zeit, die wichtigsten Eckpunkte vom Gespräch zusammen zu fassen, um abends die Stunde nochmal zu rekapitulieren. In der Notaufnahme wird es natürlich nichts.

Morgen Früh ist auch Dienstplan – Besprechung: ich bin aufgrund vom Spätdienst nicht da. Ich glaube, das wird so ungemütlich morgen früh, dass ich vielleicht ganz froh bin. Und dennoch habe ich große Angst vor dem, was ich sehe, wenn ich morgen da rein schaue. Ich glaube, ich kann mir schonmal versuchen zu sagen: „Das sind die Probleme der Mondkind vom nächsten Monat. Nicht die Probleme von heute.“
Ich denke, dass ich spätestens ab nächsten Monat auch Dienste unter der Woche machen muss, aber wenn man in der ZNA eingeteilt ist, heißt das halt 24 Stunden Notaufnahme. Wie man 24 Stunden durcharbeiten soll, ist mir noch ein absolutes Rätsel…

Aber… - um mal mit ein bisschen Frieden diesen Blogpost zu schließen – ich hatte letztens nochmal ein längst überfälliges Gespräch mit meinem Oberarzt.
Ich habe ihm erklärt, dass wir diese hobbytherapeutischen Aspekte gerade einfach nicht brauchen und mich das auch teilweise sehr verletzt, war er so sagt. Und dann hat er gesagt, dass er mich - als ich hier vor anderthalb Jahren angefangen habe zu arbeiten - als quirliges Mädchen kennen gelernt hat, die wissbegierig war und irgendwie zumindest teilweise auch Spass am Leben hatte. „Davon ist nichts mehr übrig Mondkind. Du hast aufgehört zu leben, als er gestorben ist. Die Arbeit zählt nicht, Du würdest selbst mit einem Blutdruck von 60/40 und einem Hb von 2,5 hier erscheinen, Du weißt was ich meine, das ist Deine Erziehung. Und das ist manchmal schwierig, das mit Dir auszuhalten. Ich könnte Dich manchmal wirklich schütteln, wenn ich lese, was Du schreibst. Ich möchte einfach nur, dass Du was tust."
Wir haben dann darüber geredet, dass es Leben auch einfach gerade nicht geben kann. "Jede Form von Glück das ich empfinden könnte, wäre ein Verrat gegenüber ihm. Wie kann ich leben und glücklich sein, wenn er das nicht mehr sein kann? Wie kann ich am Wochenende im Umland herum springen, wenn er das nicht mehr kann? Wieso kann ich die Sonne auf- und untergehen sehen, wenn er das nicht mehr kann? Es ist nicht fair. Und daran, dass eine Beziehung nicht funktioniert, sind immer zwei Schuld. Ich sage nicht, dass es allein meine Schuld war. Das wäre zu viel. Aber ich kann auch nicht sagen: Ich kann die Schuld ihm geben, weil es einfacher ist, weil er nicht mehr lebt. Das ist nicht in Ordnung."
Genau deshalb bräuchte ich die Therapie, sagt er. Naja... - mal sehen. Ob das mit dieser Therapeutin etwas wird… - keine Ahnung. Vielleicht sagt sie auch einfach nein. Da befürchte ich sogar noch eher, als dass ich mich gegen sie entscheide. Nach dem ersten Termin und mit dem ersten Eindruck kann ich sagen, dass ich mit allen, die ich bisher hatte, auf einer zwischenmenschlichen Ebene besser zurecht gekommen bin, als mit ihr. Aber vielleicht können wir noch etwas retten; es war ja erst der erste Termin. Aber manchmal vermisse ich den Herrn Kliniktherapeuten schon sehr. Er ist die Referenz – zumindest bis zum letzten Sommer – der schwer nachzukommen sein wird. 

Ich befürchte tatsächlich, so etwas werde ich nicht mehr finden.

 

So… - ich trinke jetzt noch kurz meinen Tee und gehe ins Bett.

Mondkind

Kommentare

  1. Hast du die Kollegin angesprochen?

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    1. Nein, habe ich nicht ehrlich gesagt. Es hat sowieso immer jeder für alles irgendwelche ominösen Gründe. Aber das hätte ich dennoch mal versuchen können; da muss ich Dir Recht geben.
      Ich bin einfach froh, wenn ich mit ihr nicht viel zu tun habe. Ich bin auch nicht die Einzige, die mit ihr nicht gut zurecht kommt.

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