Von Sinusvenenthrombosen und Antworten aus der Psychiatrie
Notaufnahme.
Nicht feierlich heute. Ich äußere mich zu COVID hier ja eigentlich
nicht; das sollen mal die Leute machen, die Ahnung davon haben, oder das
zumindest meinen. Aber nachdem die AstraZeneca – Impfung aufgrund einer
zeitlich im Zusammenhang damit stehenden Häufung von Sinusvenenthrombosen gestoppt
wurde (ob es da eine Kausalität gibt, soll ja gerade geprüft werden), kam heute
morgen schon der Koordinator des Impfzentrums auf mich zu und hat mir
eingeschärft, die Menschen ernst zu nehmen.
Mit einem solchen Patientenansturm habe ich aber tatsächlich nicht
gerechnet. Neben dem normalen Wahnsinn (um 10:30 Uhr kamen heute drei Stroke Angel
gleichzeitig mit Drehschwindel die ich durchs CT triagieren musste; bei einem
hat sich eine Blutung, bei einem anderen ein harmloser Lagerungsschwindel und
beim Dritten eine Neuritis vestibularis heraus gestellt) haben wir heute eben
hauptsächlich Sinusvenenthrombosen ausgeschlossen.
Im System waren heute fast alle Patienten grün hinterlegt – also neurologisch.
Zwischenzeitlich war es überhaupt nicht mehr händelbar; wir waren wirklich ein
paar Stunden abgemeldet; das kommt sehr selten vor.
Ich hatte keine Zeit etwas zu Essen oder zu trinken zwischendurch;
nicht mal, um aus dem Fenster zu schauen, ich habe keine Ahnung, wie das Wetter
heute war.
Aber irgendwann nimmt das Chaos immer ab. Und bis dahin muss man
einfach atmen.
Nachdem das Chaos auf der Arbeit dann halbwegs im Griff war, habe ich
mich viel zu spät auf den Weg nach Hause gemacht. Natürlich sofort, als ich das
Gebäude verlassen habe auf dem Handy mal in die Mails geschaut. Da war doch
tatsächlich eine Mail der Ergotherapeutin, der ich hinsichtlich des Freundes
geschrieben habe, in meinem Postkasten.
Ich war ungeduldig, aber habe mich trotzdem gezwungen erst nach Hause
zu gehen und mich aufs Sofa zu setzen, ehe ich sie lese.
Und dann… - wow. Ich hätte mit vielem gerechnet, aber damit nicht.
Guten Tag Fr. [Mondkind],
sicherlich kann ich mich noch an sie erinnern.
Ihr Verlust tut mir wirklich sehr Leid. Ich kann mir vorstellen, dass das für sie eine sehr schmerzhafte Zeit ist. Leider kann ich ihnen keine Auskünfte zu dem Patienten geben.
Ich möchte ihnen aber auf diesem Wege mein ausdrückliches Beileid aussprechen und Wünsche ihnen viel Kraft um sich gut um sich zu Sorgen.
Aber das… ? Sagt nichts. Gar nichts. Nicht mal, ob er schon zwischen dem Kommen und Gehen der vielen Menschen verblasst ist.
Ich weiß, dass der Freund sie sehr geschätzt hat. Und, dass er sehr stolz war, eben nicht mehr Patient zu sein, sondern in diesem Ex – in – Projekt wirklich eine berufliche Zukunft zu haben. Das hätte ihn sehr verletzt, dass er in diesem Zusammenhang einfach „Patient“ genannt wird.
Und er war da sehr auf meiner Seite.
Aber wie wir sehen, führt das alles zu nichts. Ich renne gegen Wände.
Seine Mutter redet nicht darüber, die Menschen die ihn kannten reden nicht
darüber, seine Freunde kenne ich nicht gut, außerdem hatte er wenige. Er hat
immer mal von dem ein oder anderen gesprochen, verteilt über ganz Deutschland –
ich kenne nur Vornamen, wer hätte geahnt, auf was man sich vorbereiten muss - wie soll ich an diese Menschen dran kommen?
Die Psychiatrie zu kontaktieren, in der er zuletzt war, wird tatsächlich
aufgrund von Schweigepflicht keinen Sinn machen.
Man kann in dieser Geschichte nicht puzzeln. Und ich kann nicht mit
dem Gedanken leben nie zu wissen, was da passiert ist. Ich kann mir das nicht
vorstellen. Und auch nicht ertragen, die letzten acht Monate waren ein
Alptraum. Aber der Versuch der Befreiung aus der Handlungsunfähigkeit bringt
eben auch nichts.
Natürlich kann ich nachvollziehen, dass niemand mehr in dieser
Geschichte herum rühren mag, weil sie auch einfach tragisch ist. Aber ich tue
doch niemandem etwas. Ich werfe niemandem etwas vor. (Kann ich auch schlecht,
wenn ich mich dafür schuldig fühle, was passiert ist). Aber kann bitte auch
einfach mal jemand an mich denken? Kann ich nicht ein Mal statt „ich will oder
kann dazu nichts sagen“, ein bisschen Menschlichkeit erfahren? Und die
Ergotherapeutin dort hat doch keine Schweigepflicht.
Kann nicht einfach mal jemand bedenken, dass meine Gedanken seit acht
Monaten nur enge Kreise um dieses Thema ziehen? Manchmal habe ich das Gefühl,
mehr Menschen als es zugeben wollen denken sich: „Wenn die mit so jemandem
befreundet ist, hat sie Pech gehabt; ich werde mir sicher nicht die Füße nass
machen.“
Ich weiß es nicht. Wie lange soll ich dieses Leben noch führen? Tagsüber jongliere ich die Notaufnahme und nachts mache ich mir Gedanken um das, was vom Leben noch übrig geblieben ist. Und das ist alles hochgradig sinnlos, wenn es keine Zukunft geben kann.
Und – nur so nebenbei bemerkt – die Psychiatrie dort ist natürlich im
Prinzip auch Geschichte. Jetzt, wo ich die Zusammenhänge dort erläutert habe,
würden die mich ohnehin im Leben nicht mehr behandeln und ich glaube, für mich
wäre das auch ein bisschen unerträglich.
Und dieser Ort war eben auch mal „Ersatzheimat“. Als es gerade keinen
Ort mehr gab, wo ich hin konnte. Da hängt auch emotional viel dran. Es gibt
tatsächlich keine Backups mehr. Der Herr Kliniktherapeut behauptete vor langer
Zeit mal, dass ich ja immer wüsste, wo ich hinkönnte im Notfall. Das ist lange
her und heute jenseits der Realität. Ich weiß nicht mehr wohin, wenn ich nicht mehr kann.
Mondkind
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