Eine flotte Reflektion

Spät Nachmittags.
Telefon. „Mondkind wo bist Du?“ „In der ZNA – wo sonst…?“ „Ich komme mal vorbei, ja…?“
Mein Oberarzt gabelt mich auf und nimmt mich mit in den Pausenraum der Oberärzte um die Ecke. Ich habe ihm gestern Abend noch eine Mail geschrieben. Nach der Rückmeldung der Ergotherapeutin.

„Mondkind ich hätte Dir sagen können, dass das passiert…“ „Aber wieso denn?“, frage ich. „Er war doch da in der Konstellation nicht Patient, ich habe doch extra dort gefragt, weil er ja deren Kollege war. Dass ich aus seinen Psychiatern und seiner Therapeutin nichts heraus bekomme, war mir ja klar.“ „Ja aber Mondkind, das machen die nicht. Ich komme doch aus der Psychiatrie, ich weiß das. Das läuft immer so, die grenzen sich immer ab…“ Ich denke eine Weile nach. „Und Mondkind, dreh es doch mal um“, fügt er hinzu. „Die reden nicht mit Angehörigen über ihre Patienten und auch nicht mit Patienten über ihr Personal. Und für die bist Du eine Patientin…“ „Das habe ich nicht bedacht…“, gebe ich zu. Stimmt, habe ich echt vergessen. Dass ich für die ja nur eine durchgeknallte Verrückte bin. Obwohl ich dazu sagen muss, dass er die Mail nett formuliert fand. Na ich weiß nicht. Vielleicht finde ich es nur nicht nett, weil ich absolut Null mit so einer Antwort gerechnet habe, aber glauben wir mal, dass sie nett ist.
„Ich frage mich nur, ob sich niemand ernsthafte Gedanken über die Menschen macht, die dann zurück bleiben. Ob das wirklich menschlich ist zu sagen: Okay wir müssen uns abgrenzen, weil es ja schließlich nur unser Job ist und was mit Dir auf einer privaten Ebene passiert, ist uns völlig egal. Auch wenn wir helfen können – aber das verdammte Psychiatrie – System lässt es leider nicht zu.“
Wir einigen uns, dass ich das einfach lasse, auf der Ebene zu forschen. Das hat keinen Sinn und wird mich nur noch weiter destabilisieren.

Er lehnt sich zurück.
„Mondkind, wenn er Dich nur ein bisschen kannte, hätte er wissen müssen, dass das das Schlimmste war, das er Dir antun konnte. Ohne ein einziges Wort zu gehen.“

Und irgendwie wünschte ich, dass er jetzt aufstehen und mich einfach mal in den Arm nehmen würde. Stattdessen merkt er nur an, dass wir mal wieder etwas mehr Zeit zum Quatschen hätten, wenn ich etwas eher in sein Büro kommen könnte. „Aber das ist mit der Notaufnahme natürlich schwierig“, sagt er. Was für eine Erkenntnis. Fast hätte ich gesagt, dass genau wegen dieser Unplanbarkeit die Notaufnahme ein unabhängiger Faktor zur Destabilisierung ist – mit dem Seelsorger wird es ja nun auch nichts mehr – aber ich spare mir das Kommentar.

Manchmal glaube ich, dass er da oben jetzt ein bisschen auf mich aufpasst. Vielleicht hoffe ich es auch nur. Vielleicht musste einer von uns gehen, damit der andere überlebt? Vielleicht sind das auch nur Hirngespinste.

Ich habe heute mit meinem zuständigen Oberarzt geredet, dass ich nächste Woche zur Therapie gehen darf in der Mittagszeit. Irgendwie ist mir das auch unangenehm, dass er da so drin hängt. Aber ich frage mich auch, was ich der Therapeutin erzählen soll. Wahrscheinlich will sie ja erstmal wissen, was sonst noch so in meinem Leben passiert ist. Wofür ich keinen Kopf habe. Aber was soll ich langsam noch zum Freund erzählen? Ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll. Ich weiß es nicht mehr. Ich kann einfach nicht mehr. Aber das sage ich ihr besser nicht. Aber was sage ich ihr dann?
Und ich glaube, alles was ich bräuchte wäre jemanden, der abends wartet, bis ich unter den Tränen eingeschlafen bin, das ohne ein Wort mit aushält und dann die Decke über mich legt. Und mich einfach nicht alleine lässt mit all dem Wahnsinn.

Mondkind

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