Von Klinikrotation und den alten Plänen des alten Lebens
Eine… - erkenntnisreiche und anstrengende Woche neigt sich dem Ende - naja, noch nicht ganz; Sonntag habe ich Dienst, wenn auch keinen "ersten Dienst".
Am Freitag wurde endlich der Rotationsplan für das restliche Jahr
heraus gegeben. Nachdem es in den ersten zehn Wochen des neuen Jahres nur Chaos
gab. Ich werde in der ZNA bleiben. Bis Mai war mir das eigentlich klar. Aber… -
das wäre ja zu schön. Bis November werde ich jeden Tag in der Notaufnahme
sitzen.
Jeder der mich ein bisschen kennt weiß, wie sehr ich die Notaufnahme
hasse. Und das ist nicht zuletzt – neben der Angst vor - für mich nicht händelbaren
Notfällen - auch dem absolut unplanbaren
Charakter geschuldet. Ich bin generell eher Jemand, der gern alles schon drei Wochen im
Voraus plant, aber auch Termine einplanen wird so absolut unmöglich. Mal nach
der Arbeit beim Seelsorger vorbei, der nicht verstehen kann, dass ich . wenn um
halb fünf am Nachmittag ein akuter Schlaganfall kommt - nicht das Stethoskop
fallen lassen kann, weil wir einen Termin haben. Auch mit dem
sozialpsychiatrischen Dienst wird es schwierig – als ich mal ein paar Wochen
Frühdienst hatte dieses Jahr ist die Sozialarbeiterin dort extra etwas länger
geblieben, aber das kann ich ihr nicht zumuten, wenn ich am Ende den Termin
nicht schaffe.
Ich glaube, das war auch das große Problem letztes Jahr in der
Notaufnahmezeit und einer der Gründe, warum das Stück für Stück weiter dekompensiert ist. Da
bricht einfach das letzte, fragile Stückchen Helfersystem weg und jeder schiebt
mir noch die Schuld in die Schuhe mit einem „Na wenn Sie keine Termine machen
und einhalten können, ist es Ihr Problem.“
Normalerweise hätte ich heute, als ich den Plan gesehen habe, die
Wände hochgehen müssen. Zumal ich irgendwie nicht wirklich geglaubt habe, dass „mein“
Oberarzt mich zurück auf die Stroke Unit geholt hat, um mich auf lange Sicht
neun Monate in die Notaufnahme zu stecken. Aber irgendwie ist es ein stilles
Akzeptieren geworden. Mehr als Überleben ist es ohnehin nicht aktuell. Und
überleben – wenn man dabei keine großen Ansprüche hat – wird man es schon
irgendwie.
In den „alten Zeiten“ hätten der Freund und ich wahrscheinlich den
ganzen Abend telefoniert und er hätte mich wieder auf den Teppich bringen
müssen.
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Zentrale Notaufnahme... - immer online |
Überhaupt… - die alten Zeiten. Ich war heute kurz bei „meinem“
Oberarzt, um den Termin bei der Psychologin nochmal zu besprechen. Viel Zeit
hatte er nicht. Er grenzt sich immer mehr ab, schiebt die Schuld, dass es alles
nicht funktioniert, mir in die Schuhe. Findet das völlig in Ordnung bei einer
Psychologin zu sitzen, die mir die Hälfte der Sitzung erzählt, dass sie
eigentlich keine Zeit habe, weil es ja wohl irgendwie alternativlos sei. Und
wenn sie möchte, dass ich die ganze Liste der Psychologen nochmal
durchtelefoniere, dann sei es meine Aufgabe das zu tun. „Wenn ich ein Buch über
diese Tage meines Lebens hätte schreiben wollen, hätte ich das getan. Ich kann
die Geschichte nicht noch ein einziges Mal erzählen“, lässt er nicht gelten.
Und um das Auto müsste ich mich auch kümmern. Er ist ein bisschen wie mein
Vater geworden. Da fällt auch in jedem zweiten Satz das Wort „müssen“.
Er kann nicht akzeptieren, dass die Arbeit in der Notaufnahme und die
Nachwirkungen vom Suizid des Freundes so viel Kraft aus mir heraus saugen, dass
ich abends aktuell nicht noch zur Fahrschule gehen kann. Ich freue mich, wenn
ich auf der Arbeit nicht weine. Das ist der Maßstab.
Überhaupt glaube ich, dass auch dieses Bündnis zwischen ihm und mir
zerbrechen wird. Da ist immer weniger Verständnis füreinander und das ist ja
schon ein paar Mal seit dem letzten Sommer ziemlich eskaliert. Und irgendwie
muss man es ihm ja auch nachsehen. Er hat es acht Monate mitgemacht; länger als
irgendwer sonst. Es ist okay auf einer rationalen Ebene. Auch wenn mir das
natürlich jedes Mal das Herz bricht. Vielleicht geht es auch hier nur noch
darum, ein paar gute Momente zu sammeln und diejenigen, die es schon gab im
Herzen zu speichern und nicht mehr zu vergessen. Ich glaube, das Weihnachtsfest
vom letzten Jahr werde ich nicht vergessen und auch dieses damit verbundene
Gefühl, in irgendeiner Mitte sein zu dürfen, angenommen zu sein und die stille
Hoffnung, dass zumindest ein kleiner Teil des Mondkind – Plans doch noch
aufgeht.
Der Mondkind – Plan. Ich glaube das Vertrauen darin, dass auch eine
Mondkind einen Platz in einer zwischenmenschlichen Mitte finden kann war so niedrig
aber irgendwie doch da, dass ich die Nummer immer zweigleisig gefahren bin –
obwohl das auch zwei verschieden Geschichten waren, die im Bestfall unabhängig
voneinander hätten nebeneinander existieren können.
„Dann bin ich eben erstmal Dein Ersatz – Papa.“ Das war ein Satz, den
die potentielle Bezugsperson vermutlich nie hätte sagen dürfen, weil er so viel
was danach passiert ist, gestemmt hat. Zu dem Zeitpunkt habe ich mich schon
mehr als zehn Jahre nach einer intakten Familie gesehnt und das schien irgendwie
ein Teil – Schlüssel zu sein. Aber das erforderte das Studium durchzuziehen,
alle Prüfungen zu bestehen – egal wie schwer es wird und wie weit jenseits
meiner Grenzen es sich anfühlt. Und das erforderte den Ort zu wechseln und hier
runter zu ziehen. Ich dachte, so unmöglich, wie das auch erscheint - vielleicht kriegen wir das irgendwie hin. Aber er kann das einfach nicht. Und das muss er auch nicht, ehrlich gesagt. Es muss schon okay sein.
Und dann gab es den Freund. Die Idee einer Beziehung gab es früh, nur
hatte ich keinen Plan, wie Beziehungen funktionieren, ab wann man ein Bündnis
zwischen zwei Menschen „Beziehung“ nennen darf, wie viel körperliche Nähe dafür
im Spiel sein muss. All sowas. Es war Millimeterarbeit über die Jahre – aber nicht,
weil wir nicht ganz eng aneinander gegangen wären, sondern weil ich Angst
hatte, dass das was wir da machen den gesellschaftlichen Werten und Anforderungen
nicht standhält. Dass diese Beziehung eines Tages von so vielen Menschen
auseinander genommen und beurteilt, oft auch verurteilt wird, war und ist mein
persönlicher Alptraum.
Die Entscheidung hier runter zu ziehen war schwierig, weil ich lange das Gefühl hatte, dass es eine Entscheidung zwischen Plan A und Plan B werden würde. Aber der Freund war sowieso so ruhelos. Ist in all den Jahren ein paar Mal hin und her gezogen und hat irgendwann – und da sind mir Steine vom Herzen gefallen – eingeworfen, dass es ihm in der Studienstadt zu viel und zu einsam wird. Er möchte lieber wieder zurück in die alte Heimat, in den Süden, in die Richtung meiner späteren, ausgesuchten Heimat. Und dann würde er mit mir kommen; von da aus wäre es nicht mehr ganz so weit.
Am Ende fahren beide Ideen vor die Wand. Am Ende bleibt kein Freund,
kein Menschlein, mit dem ich abends auf dem Sofa sitzen kann, der mit mir gegen
die Welt kämpft. Und kein „Familienersatz“.
Am Ende bleibt ganz viel Einsamkeit. Heute kämpfe ich ziemlich alleine
gegen die Welt mit dem Freund auf meinen Schultern.
Und sehr oft würde ich gern die Mondkind von vor vier oder fünf Jahren
an die Hand nehmen, einfach nur ein Stück mit ihr gehen und ein winziges
bisschen von ihrer Hoffnung und von ihrem Mut nachspüren, von diesem
unterschütterlichen Vertrauen, dass irgendwann und irgendwie alles gut werden
würde.
Vielleicht höre ich deshalb aktuell so gern die alten Lieder aus den
alten Zeiten. Die noch ein bisschen das Gefühl von damals tragen. Es war nie so
richtig gut, das darf man auch nicht in einem sentimentalen Rückblick annehmen.
Aber es gab Hoffnung. Und damit ging bekanntlich fast alles.
Mondkind
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