Neue Therapeutin und Osterplanung

Mittwoch. 17 Uhr. Ich ziehe die Tür des Arztzimmers hinter mir zu.
Wann war ich denn das letzte Mal um 17 Uhr fertig mit der Arbeit?
Die letzten zwei Tage vor Ostern wurde ich aufgrund von Personalmangel von der Notaufnahme auf die Kurzliegerstation versetzt. Aber auch die ist nur noch halb voll und der Plan ist, vor Ostern so viele Patienten wie möglich zu entlassen.
Meine Kollegin hat gute Laune, draußen scheint die Sonne und es wird viel gelacht heute. Und doch ist es ein bisschen, als stünde ich neben mir. Zwar irgendwie physisch dabei, aber gedanklich und emotional weit weg.

Ich stelle kurz meine Sachen zu Hause ab und laufe noch eine Runde um die Stadtmauer.
Höre die Menschen auf den Straßen. Spüre die Wärme der Sonne auf mir. „Mondkind es ist viel zu warm – und das Ende März…“ Ich könnte schwören, dass ich Dich höre. „Und ich war in der [Studienstadt]. Die Züge sind voll trotz Corona, es läuft fast, als wäre alles normal.“ Nochmal Du. Das hast Du mir letztes Jahr um die Zeit ständig erzählt. Die Verzerrung zwischen dem, was im ersten Lockdown erlaubt war und dem was stattgefunden hat im Westen des Landes. 

Es sind diese Momente, die so friedlich aussehen, in denen Du am Meisten fehlst

Therapiestunde von Montag.
Ich weiß es nicht. Ich weiß es echt nicht. Ich hatte noch bei keiner Therapeutin so ein schlechtes Gefühl. Erstmal erzählt sie mir, dass sie nächstes Jahr im Mai ohnehin aufhört und wenn zwischendurch die Hütte brennt, dann ist auch nicht sie die Ansprechpartnerin, sondern die Psychiatrie. Irgendwelche Krisen außerhalb der Reihe werden da nicht gehändelt. Und so überhaupt und generell – nach den zwei probatorischen Stunden müssen wir die Therapie jetzt beantragen – dafür muss ich erstmal zum Hausarzt - und bis dahin sei halt gesetzlich eine Pause vorgeschrieben und ob wir den nächsten Termin hinkriegen vor seinem Geburtstag, an dem ich auch noch meinen ersten Nachtdienst habe, ist ihr relativ egal.
Und dann erzähle ich – aber eigentlich könnte ich auch mit der Tür reden; das wäre ungefähr dasselbe. Nur bin ich hinterher von meinen eigenen Ausführungen so aufgewühlt, dass ich lange brauche, um zur Ruhe zu kommen. Die „Post – Therapie – Cafè – Dates“ mit dem Freund fehlen sehr.
Es bringt einfach Null. Da kommt überhaupt keine Resonanz.

Der Oberarzt hat sich ein Update gewünscht und das bekommt er auch, obwohl es eigentlich keinen Sinn macht, über diese Stunde zu schreiben, weil es auch keine Erkenntnisse gab.
Er meint, ich muss jetzt eben zum Hausarzt – Dienstag ist der einzige Tag, an dem sie länger offen haben, also muss ich morgen telefonieren und hoffen, dass die jetzt keinen Urlaub haben – dann müssen wir das beantragen und dann soll ich das machen bis nächsten Mai. „Mondkind, gibt es eine Alternative?“, fragt er. „Nein…“, entgegne ich. „Also… - das ist eben Tiefenpsychologie. Da kommt wenig Resonanz… Das ist ja keine Lebensberatung, sondern Therapie…“ „Aha…“, knurre ich. Was auch immer das dann bringen soll. Dieser ganze Terminstress für einfach nichts.
Und ich will mich auch gar nicht so sehr auf sie einlassen. Ich habe immer noch zu knacken an den letzten Verlusten von Frau Therapeutin und Herrn Kliniktherapeuten, die ich beide sehr vermisse und in spätestens einem Jahr werde ich sie ja verlieren. Aber mit den anderen beiden war es eben zumindest streckenweise wirklich konstruktiv und ganz viel Sicherheit. Bei ihr gibt es weder das Eine, noch das Andere.
Vielleicht mag mir irgendwer erklären, wie Tiefenpsychologie funktioniert... - ich verstehe das nicht.

Ansonsten machen sich die Kollegen langsam Gedanken über Ostern, wie man am Besten die Eier färbt und über gestaffelten Familienbesuch im Rahmen der geltenden Einschränkungen durch Corona.
Ich sitze still daneben und hoffe nicht gefragt zu werden. Ich glaube die Illusion eines Osterfestes gab es das letzte Mal, als meine Schwester und ich noch in der Schule waren. Und dann hatten meine Mama und meine Oma Ostersonntag spontan die Idee, dass sie ja einen Ausflug machen und wir brav lernen könnten. Haben sie dann auch einfach gemacht. Damals waren wir noch geschockt über so etwas, haben dann erstmal eine Weile zusammen geweint und dann den Rest das Tages ruhig weiter gelernt. Irgendwann wurde es normal, dass solche Dinge bei uns halt nicht gefeiert wurden.
Dieses Jahr arbeite ich Ostersonntag, Samstag ist schon wieder der Dritte eines Monats; das wird wahrscheinlich ein schwieriger Tag. Und sonst versuche ich, nicht zu traurig zu werden. Das Wetter soll ja doch ganz gut werden, vielleicht reicht die Kraft für ein paar ausgedehnte Spaziergänge. Ein paar größere Dinge, die man nicht jeden Tag macht wollen im Haushalt erledigt werden, ich wollte Blumentöpfe kaufen für die Tomaten, die in den Wintergarten sollen und ich werde versuchen viel zu schlafen, um irgendwie die Energiespeicher aufzutanken. Denn in der Woche danach heißt es die Notaufnahme ohne den Oberarzt zu rocken; das wird wieder mehr Energie brauchen als mir lieb ist.

Mondkind

Kommentare

  1. Ich denke nicht, dass es DIE Tiefenpsychologie gibt. Und auch nicht, dass Resonanz nur in VT möglich ist. Es mag unterschiedliche Arten und Ausprägungen von Resonanz geben, aber ohne Resonanzerfahrung ist (meiner Meinung nach!) keine Beziehung möglich. Auch keine therapeutische. Und irgendeine Therapie ist auch nicht unbedingt besser als keine. Therapien haben ja auch Nebenwirkungen...
    Andererseits gibt es natürlich unterschiedliche Verfahren, Therapeut*innen, Rahmenbedingungen und Konstellationen. Nachbeelterung und Krisenmanagement gewöhnt (übrigens in eine Mod. Analyse) habe ich nach einem unschönen Ende der Analyse fast ein Jahr gebraucht, bis ich das Gefühl hatte in der neuen TP angekommen zu sein. In einer vollkommen anderen therapeutischen Beziehung, die mir nun tatsächlich vorkommt wie ein Arbeitsbündnis und nur EIN Teil der "therapeutischen Arbeit" ist. Zusammen mit viel Eigenverantwortung, freundschaftlichen Beziehungen usw. Also anders. Aber auch hier habe ich das Gefühl, willkommen zu sein und dass gern mit mir gearbeitet wird. Das finde ich absolut notwendig...

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    1. Hi,
      Danke Dir erstmal für Deine Rückmeldung und das Teilen Deiner persönlichen Erfahrungen.

      Ich habe auch das Gefühl, dass es ohne Resonanz einfach nicht geht. Natürlich ist TP anders als VT, das habe ich mittlerweile schon begriffen (und auch im Studium mal irgendwann gelernt), aber es kann nicht sein, dass ich 50 Minuten gegen die Wand rede und hinterher total aufgewühlt bin und das auch einfach keiner auffangen kann. Der Verantwortung sollten sich Therapeuten schon bewusst sein.

      Ich kenne halt aus der Schematherapie auch dieses Nachbeelterungskonzept und das hat mir persönlich super viel gebracht. So ein Herr Kliniktherapeut, der selbst von der Ferne noch ein Auge auf mich hatte, der wirklich explizit gefragt hat: "Wie geht es denn der kleinen Mondkind?" - ich kann mich nicht erinnern, dass mich eine zwischenmenschliche Beziehung je so berührt hat, wie das.
      Da ist die neue Therapeutin natürlich ganz anders gestrickt.

      Ich glaube aber auch, dass ein Teil definitiv bei mir liegt. Ich habe einfach das Gefühl, ich kann aktuell keine Verluste von mir wichtigen Menschen ertragen. Und wenn ich da zulassen würde, das sie zu einer wichtigen Person in meinem Leben wird und dann - kurz bevor es zwei Jahre werden - sie wieder verliere, das ist zu viel. Da möchte ich mich von vorn herein schützen, wenn mir das gelingt.

      Keine Ahnung, wie das weiter geht. Mein Oberarzt hängt ja mit drin, er meint auch ein Wörtchen mitzureden zu haben und vielleicht hat er auch Recht und ich muss das einfach aushalten, aber ich finde sie auch einfach als Person nicht so sympathisch und da ja Studien gezeigt haben, dass das Verfahren eigentlich recht egal ist, solange die Chemie stimmt...

      Mondkind

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