Von Spätdiensten, Therapiegespräch und Kontaktaufnahme mit der Psychiatrie
Denn
alle deine Zweifel
Und
deine ganze Zuversicht
Trag
ich für immer bei mir
Ganz
egal was auch passiert,
Ich
will dir irgendwann in die Augen sehen
Und
dir sagen: „Schon okay“
(Max Giesinger - Deine Zweifel)
Und vielleicht wird es tatsächlich ein Stück einfacher, wenn man glaubt, dass wir uns irgendwann in einer anderen Welt nochmal sehen werden.
Sonntag
kurz vor 18 Uhr.
Ich
gehe den Berg hinter dem Campus hinab. Der Blick fällt auf die Suchtklinik, die
etwas unterhalb des Campus am Berg, mitten im Wald liegt. Dahinter ist die
Silhouette des nahe gelegenen Gebirges sichtbar. Die Sonne spielt zwischen den
Wolken ihr Schattenspiel und die an den Bergfüßen liegenden Dörfer versinken
abwechselnd in Licht oder Schatten.
Ein
schöner Blick. Nur, dass ich hier hatte rund vier Stunden eher entlang gehen wollen.
Aber es war viel los zum Sonntag auf der Station und kaum hatte ich einen Punkt
auf meiner To – Do – Liste abgearbeitet, kam ein Neuer hinzu. (Oder zwei…)
Morgen
beginnt dann also offiziell meine Notaufnahme – Zeit 2.0. Obwohl ich ja in den
letzten Tagen und Wochen schon ein wenig Einblick hatte. Ich hatte es ja voraus
gesagt: Der Spätdienst wird noch chaotisch werden mit unbesetzter Notaufnahme
und auch keinen festen oberärztlichen Ansprechpartnern. Und… - so kam es dann
auch. Donnerstag und Freitag.
Am
Donnerstag füllte die Notaufnahme sich schlagartig gegen 15 Uhr mit gleich vier
neuen Patienten. Natürlich hatte ich bis 16:30 Uhr nicht die ganze Diagnostik
fertig, zumal zwei der Patienten auch eher psychiatrische Fälle waren; ein
Patient hatte mehr als 100 Vorbriefe bei uns und leidet unter einer
somatoformen Störung. Ihm wird nichts helfen, was wir leisten können. Pünktlich
zum Feierabend standen dann jedenfalls meine Oberärzte wenig erbaut auf der
Matte – sie wollten eigentlich nach Hause gehen, mussten aber das Chaos in der
ZNA erstmal sortieren und ich habe einiges zu hören bekommen. Natürlich habe
ich dann die Stationsarbeit nicht pünktlich geschafft. Und als ich viel zu spät
abends – oder eher nachts – zu Hause war, ist mir gegen Mitternacht
eingefallen, dass ich etwas vergessen hatte zu dokumentieren und ein Labor zu
kontrollieren. Also habe ich dann den ersten Dienst angerufen, der zum Glück
noch nicht geschlafen hat. Eine Mail mit der Dokumentation, die er ins System
kopieren sollte, hat er auch noch bekommen.
Freitag
lief es leider nicht besser; acht Patienten gleichzeitig, ein paar lagen schon
bei den Internisten, weil wir keinen Platz mehr hatteb. „Mein“ Oberarzt kam
zwischendurch vorbei mit der Aussage: „Ich glaube ich habe ein Rendezvous.“ „Inwiefern?“,
wollte ich wissen. „Mondkind mit weit aufgerissenen Augen in der Notaufnahme…“ Zwischendurch
hätte ich echt heulen können, weil mir alles um die Ohren geflogen ist. Aber
Zähne zusammen beißen und einfach weiter machen. Einfach nur weiter. Irgendwann
sortiert sich das Chaos. Immer.
Dass
die ganze Anspannung und Angst, die ich versuche zu verdrängen, weil die zu
fühlen mich in meiner Arbeit absolut behindern würde, mich exponentiell schnell
kaputt macht, habe ich dann Samstag wieder gespürt. Zum Glück hat es geregnet –
da hatte ich eine Ausrede, warum ich nicht mit dem Fahrrad zum Supermarkt
fahren musste, sondern zu Fuß zum viel teureren Laden um die Ecke gehen konnte
und sonst habe ich auf dem Sofa gelegen – und allein liegen war anstrengend –
und habe viel geweint.
Ich
kann mich genau an den Zustand im letzten Mai nach zwei Monaten Notaufnahme
erinnern. Und da hatte ich zumindest noch nicht die Trauer am Hals. Eigentlich
habe ich mir geschworen, dass ich das nie wieder erleben möchte. Aber nun denn…
- immerhin bin ich nicht die Einzige, die der Auffassung ist, beim
Rotationsplan etwas (ziemlich viel) Pech gehabt zu haben.
Den
Dienstplan für Apirl haben die Kollegen übrigens letzte Woche auch gemacht; ich war ja
nicht da aufgrund des Spätdienstes. Insgesamt muss ich sagen, dass ich echt gut
davon gekommen bin, aber klar, um die 24 – Stunden – Dienste komme ich jetzt
nicht mehr herum und wenn man in der ZNA eingeteilt ist, dann heißt das eben 24
Stunden Notaufnahme. Ich habe es erstaunlich ruhig aufgenommen. So viel, das
letztes Jahr passiert ist, hat mich ruhiger gemacht. Sehr viel mehr, als dass
ich vor Erschöpfung, Kopfschmerzen, Magenschmerzen und Übelkeit nicht mehr
aufstehen kann, kann nicht passieren. Und dann muss halt der Hintergrund
antanzen – 24 Stunden am Stück arbeiten, wenn es schlecht läuft, ist auch
unmenschlich. Aber da ich diesen ganzen psychischen Schmerz, der einen
vollkommen unvorbereitet überrollt nach dem Tod des Freundes als viel schlimmer
empfinde, kann es so schlimm nicht werden.
Ich
werde allerdings jede Nacht in meinem eigenen Bett noch viel mehr genießen, als
ohnehin schon.
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Letztens im Kurpark... |
Nachdem der Oberarzt und ich ja so unsere Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der neuen Therapeutin haben, habe ich sie nochmal angerufen. Aber ich habe mir vorher überlegt, dass ich ihr sage, dass ich – auch wenn sie das zur Voraussetzung macht – die Liste der KV nicht mehr durchtelefonieren werde. Dass eine Beziehung, die so viele Jahre aus diversen Gründen eher im Untergrund existierte seit Monaten von so vielen Menschen bewertet und verurteilt wird, ist mein persönlicher Alptraum. Es reicht. Ich werde das nicht noch fünf neuen Leuten erzählen, damit ich mir dann anhören muss, dass sie leider auf unbestimmte Zeit auch keine Kapazität haben.
Aber
das Telefonat war sehr… - interessant. Erstmal habe ich sie in ihren 15 Minuten
Telefonzeit gar nicht erreicht. Sie hat mich dann sogar zurück gerufen. Das
Einzige was ich gesagt habe war, dass ich die Termine gern fortführen würde und
ob sie mir einen neuen Termin geben würde. Das hat sie für die übernächste
Woche auch ohne eine einzige Rückfrage getan. Und wir erinnern uns, was das für
ein Theater war und dass wir eine halbe Stunde darüber gesprochen habe, dass
ich weiter suchen soll.
Mein
Oberarzt meinte dazu, dass sie mich testen will. Keine Ahnung, was das für ein
Test sein soll. Klärt mich auf. So ganz geheuer ist es mir nach wie vor nicht
mit ihr, aber wie sagt mein Oberarzt so schön: „Mondkind, das ist
alternativlos.“
Mit
meiner alten Therapeutin aus der Ambulanz habe ich auch nochmal telefoniert am
Freitag. Es lief sogar erstaunlich reibungslos nachdem sie sich bei unserem
letzten Telefonat – Mitte Januar – etwas gestört hat, dass ja meine
Krankenkassenkarte noch nicht eingelesen sei und es deswegen eigentlich nicht
geht. Kleine Erinnerung: Von der Krankenkasse finanzierte, vertikale Beziehung.
Aber
ich war sehr froh, ihre Stimme mal wieder zu hören und ein Gegenüber am Ohr zu
haben, das ich auch schon fast sechs Jahre kenne. Im Frühjahr 2015 hatte ich
meinen ersten Termin bei ihr. Sie hat alles mitbekommen. Das spart viele
Erklärungen. Ich weiß, dass ich sie auch loslassen muss, was auch ein bisschen
weh tut und dieses Telefonat nur aufgrund eines konkreten Anliegens stattgefunden
hat.
Sie
hat mich über zwei Examen und über sehr viele schwierige Phasen begleitet, war
therapeutisch gesehen absolut verlässlich. Sie hat so viel mit mir mitgemacht,
so viel durchgehen lassen. Wenn das mit der Suizidalität mal wieder akut
geworden ist, durfte ich immer am selben Tag noch vorbei kommen. Und dann im
zwei – Tages – Abstand, bis es besser wurde. Wir waren uns mehr als ein Mal
einig, dass das eigentlich in die Klinik gehört, aber wir wussten auch beide,
dass jedes Mal Klinik mich mehr zurück geworfen hätte, als alles andere. Keine
Ahnung, ob ich heute da wäre, wo ich aktuell bin ohne sie. Ich glaube nicht.
Bevor
ich mich an meine alte psychiatrische Station aus dem letzten Sommer wende, auf
der der Freund auch mal gearbeitet hat, wollte ich das jedenfalls ein Mal mit ihr
besprechen und ihre Meinung dazu hören. Ob man da wohl überhaupt eine Reaktion
erwarten kann, ob es Sinn macht, wie ich das am Besten aufziehen kann.
Wir
haben uns dann im Verlauf des Telefonats geeinigt, dass ich die Ergotherapeutin
anschreibe, mit der er am Besten zurechtkam. Sie meinte eigentlich, ich soll überlegen,
wann ich das mache. Möglichst, wenn es mal weniger stressig wird. Aber es wird
nicht weniger stressig mit der Arbeit. Und Erinnerungen verblassen auch. Ich
denke, ich werde die Mail heute Abend fertig basteln und dann los schicken. Ich
hatte meinen Oberarzt gefragt, ob er sie gegenlesen kann, aber da er dazu
nichts gesagt hat, werte ich das mal als ein „nein“.
Und
dann dürft Ihr mir alle die Daumen drücken. Dass ich dort kein Erdbeben auslöse,
die sich nicht alle hochgradig hintergangen fühlen. Dass sich wer an ihn
erinnert und dass man ein paar Fragen lösen kann. Dass die Ergotherapeutin noch
dort arbeitet, gerade auch da ist und ihre Mails liest. Dass ich morgen Abend
einfach irgendeine Reaktion habe.
Die
Therapeutin und ich haben dann nochmal ein bisschen über meine Schuldgefühle
geredet und was sehr spannend war - sie hat erklärt, dass Schuld so ein
bisschen die Unkontrollierbarkeit aus der Situation nimmt. Wenn es einen
Schuldigen gibt, dann wäre es verhinderbar gewesen und dann kann man auch
irgendwie glauben nicht nochmal in so eine Situation zu geraten, weil man es
beim nächsten Mal besser machen kann. Aber, so sagte sie, vielleicht ist die
Wahrheit, dass es nicht von meiner Seite aus verhinderbar gewesen wäre. Und
dass solche Tragödien vielleicht im Rahmen von Suizidprävention reduzierbar,
aber niemals vollständig verhinderbar sind. Es kann jedem passieren einen
Menschen kennen zu lernen, der den Weg des Suizids wählt. Auch mir. Auch
nochmal.
Also hätte das Schuldgefühl meinerseits auch eine ganz starke Schutzfunktion
und würde gar nicht so sehr die „wirkliche Schuld“ ausdrücken. „Wenn ich
nochmal einen Menschen kennen lerne, den ich so sehr schätze und mit dem das
passiert – ich glaube das überlebe ich nicht“, sage ich. „Sehen Sie… - Sie
wollen sich schützen, aber das können Sie nur begrenzt…“, erklärt sie.
Das
fand ich sehr hilfreich und konstruktiv. Solche therapeutischen Gespräche
vermisse ich wirklich.
So… - jetzt muss ich noch schnell etwas essen, die Mail schreiben und ins Bett verschwinden. Ich muss fit sein morgen…
Mondkind
Ich sag's nochmal: Das Chaos auf deiner Arbeit ist nicht deine Schuld. 4 h Überstunden?! Schreibt ihr sie auf, gibt es einen Freizeitausgleich o.Ä.?
AntwortenLöschenHey,
Löschentja, aber trotzdem sitzt man dann mitten in dem Chaos und es wird einfach erwartet, dass wir das regeln. Wenn der Oberarzt Montags auf die Station kommt, hat da kein Chaos zu herrschen. Und die ZNA... - naja, ich glaube das liegt in der Natur der Sache, dass es da chaotisch ist...
Es gibt ganz wenige Überstunden, die wir aufschreiben dürfen - das sind genau die Überstunden in den Diensten auf Station am Wochenende. Deshalb war ich auch gestern noch einigermaßen ruhig. Aber die täglichen Überstunden, die wir an den Arbeitstag dran hängen, die dürfen wir nicht aufschreiben.
Und dann ist natürlich noch ein ganz anderes Thema, wie diese Überstunden vergütet werden; dazu sag ich mal nichts...
Warum "dürft" ihr sie nicht aufschreiben?! Es ist eure Lebenszeit, die ihr da kostenlos hergebt. Es ist deine Lebenszeit!
LöschenIch kann dir nur nochmal an's Herz legen: Es gibt einen Assistenzärzt*innen-Thread auf MediLearn (https://www.medi-learn.de/foren/showthread.php?22233-Treffpunkt-f%FCr-gestresste-Assistenz%E4rztinnen-und-%E4rzte&p=2186722). Die Bedingungen sind häufig in vielen Städten ähnlich, aber man muss sich nicht alles gefallen lassen.
Danke Dir. Ich schaue da nochmal rein, wenn ich mal Kapazitäten habe. Im Moment ist "Arbeit irgendwie schaffen" schon Anforderung genug...
LöschenIch kann mich auch erinnern - wahrscheinlich warst Du es - dass jemand da schon mal einen Link geschickt hat.