30 Monate

Hey mein lieber Freund,
na, wie geht es Dir?
Bist Du gut im neuen Jahr angekommen?
Was war denn das für eine Knallerei dieses Jahr?! Hast Du das gesehen… ?

Es sieht aus, als würden wir alle irgendwie langsam ruhiger werden.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber vielleicht finden Deine Mum und ich langsam ein bisschen Frieden mit dem, was passiert ist. Ohne, dass wir aufhören würden, Dich hier zu vermissen.

Deine Mum war Dich endlich besuchen. Nach all der Zeit. Und sie hat angefangen, Dein Grab zu gestalten. Sie ist noch nicht fertig, sie hat da noch ein paar Ideen. Du kennst sie. Wenn sie ein Mal anfängt, dann muss es auch richtig sein.
Ich bin sehr stolz auf sie, auf mich, auf uns beide. 




Es ist, als würden wir die losen Bänder wieder alle verbinden.
Ich habe gespürt, Du hast mich ein paar Mal besucht im letzten Monat. Hast nach mir geschaut. Ob ich zurecht komme, hier in dieser Welt.

Ansonsten ist so einiges passiert, das dieses Leben wieder durcheinander würfelt.
Der Freund und ich haben sich getrennt, das weißt Du sicher. Und so vieles an dieser Trennung hat mich auch nochmal an Deinen Tod erinnert. Plötzlich stand ich da in einer Realität, die ich mir nicht ausgesucht habe. Zwar war das Gegenüber noch lebendig, hat aber mehrfach betont, dass eine gemeinsame, weitere Zukunft aktuell nicht vorstellbar ist.
Gleichzeitig bin ich von der Intensivstation zurück in den Neubau rotiert.

Am Wochenende habe ich gespürt, was für ein Katapult durch die Zeit das ist.
Ich habe mich gefühlt, als hätte ich bestimmt ein Jahr keine ersten Dienste gemacht, dabei war es nur das erste Mal seit Monaten, dass ich zum Dienst von unten den Campus betreten habe und nicht mit dem Auto gekommen bin und in letzter Minute durch den Seiteneingang rein gefegt bin. Ich hatte mit dem dienstplanverantwortlichen Oberarzt Dienst und er hat mich gefragt, wie ich denn nun mein Psychiatriejahr aufteilen möchte, wo mir aufgefallen ist, dass die Psychiatrie von hier aus schon weit zu fahren ist und ich mich da nur recht gedankenlos drauf eingelassen habe, weil ich in dem halben Jahr bei meinem Freund wohnen wollte, was schon mal 30 Kilometer in die richtige Richtung wären. Da muss ich auch nochmal nachdenken, ob ich das nicht anders machen möchte. Er hat mich auch darauf hingewiesen, dass ich noch nicht im Urlaubsplan stehe für dieses Jahr (ich glaube ein Teil von mir hofft immer noch auf ein Happy End...) und dass ich jetzt am Freitag wohl doch einen Dienst erben werde, den ich eigentlich nicht gehabt hätte, ist irgendwie auch okay.

Ein fester Teil des SU – Teams zu sein, ist nicht nur eine Umstellung, sondern hat auch etwas mit Nostalgie zu tun. Das letzte Mal, als ich nicht nur als Aushilfe, sondern offiziell dazu gehört habe, war April 2020. Die Wohnung war leer, wenn ich abends nach Hause gekommen bin – auch wenn es schon die Idee gab, dass Du ja bald kommen würdest. Wir wussten auch nicht, wann wir uns wieder sehen, weil es ja schon mehr oder weniger illegal war, durch ein Bundesland einfach nur hindurch zu reisen, um in einem anderen Bundesland anzukommen. Auch die Abende waren recht einsam – Du warst in der Psychiatrie und so abgeschossen mit Medikamenten, dass Telefonieren fast unmöglich war. Und ich weiß, dass die Zeit heute eine andere ist und dass dazwischen so viel passiert ist und dennoch erinnert mich so viel daran und meine Seele fühlt sich seltsam schwer und besorgt an. Die Abende sind genauso schwer und einsam wie damals und die Zukunft nicht genauso, aber anders ungewiss.

Drück mir bitte einfach mal für heute Abend die Daumen. Das wird der Versuch ein neues Helfersystem zu etablieren. Ich habe meinem Intensiv – Oberarzt schon angekündigt, dass ich ihm wohl eine kurze Rückmeldung geben werde. Ich hatte ihn nämlich gestern schon wieder in der Leitung, weil ich einen Corona – Patienten habe dem es so schlecht geht, dass wir eine corona – spezifische Therapie diskutiert haben (Ja, Corona ist immer noch nicht vorbei und Deine Mama glaubt auch immer noch, dass Du das mit all Deinen Ängsten nicht gepackt hättest… - na ich weiß nicht… - wir haben uns alle dran gewöhnt). Jedenfalls hat er für mich extra die Visite unterbrochen, obwohl ich gesagt habe, dass es völlig okay ist, wenn er mich zurück ruft. „Für Sie habe ich immer ein Ohr Frau Mondkind“, meinte er und ich brauchte wirklich nur ein fachliches Ohr. Ich kann das immer noch nicht fassen, in welchem Ausmaß er mich hier gerettet hat. Und die Post - Therapie - Café - Dates fehlen bis heute...

Pass ganz gut auf Dich auf, okay? Ich versuche es hier unten auch. Und wir sehen uns erst dann, wenn es hier für mich Zeit ist, okay?

Ganz viel Liebe in Richtung Universum
Mondkind


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