Bindung

Sonntag.
Ich spüre, dass er ganz nah neben mir liegt.
Ich auf der Seite, er hinter mir. Sein Bauch an meinem Rücken. Ich in seinen Armen.
Seine Hände auf meinem Körper.
Und während ein Teil von mir sich noch fragt, was wir hier eigentlich machen, spüre ich das Feuerwerk in mir, das er auslöst. Und den tiefen Frieden.
Lang vermisst.
Und dann fragt der Kopf nicht mehr.

Eigentlich war das heute so nicht der Plan.
Heizungsmoment war der Plan. Mein Plan zumindest.
Aber es ist okay, so wie es jetzt ist.
Ich habe es so sehr vermisst.

Irgendwann reden wir darüber, was das jetzt eigentlich darstellen soll, was wir hier machen.
„Beziehung ohne Bindung“, nennt er es.
Interessant.
„Sehen wir uns?“, werde ich ihn Stunden später auf der Türschwelle fragen.
„Ist das nicht eine Bindungsfrage?“, wird er entgegnen.
Mir fällt ein Kommentar der potentiellen Bezugsperson zu unserer Situation wieder ein, den er vor Monaten mal gesagt hat: „Mondkind, ich kenne niemanden, der so bindungsscheu ist, wie Du, aber scheinbar gibt es Menschen, die noch bindungsscheuer sind.“

Der ehemalige Freund verteidigt, dass Bindung uns beide am Ende nur noch gestresst habe. Dass Bindung Besitz bedeutet. Ich versuche zu erklären, dass ich finde, dass sich Bindung und Beziehung im Bestfall nicht ausschließen.
Aber nach allem was ich von ihm weiß, passt das halt viel besser so in sein Lebensmodell.

Was soll ich jetzt also machen, wenn es ihn mit Bindung nicht gibt? Das heißt eben auch vom Prinzip her, dass jeder beziehungstechnisch das machen darf, was ihm in den Kopf kommt. Denke ich mal so. Und in eine Beziehung ohne Bindung lässt sich keine Familie hinein gründen.
Zukunft hat das also alles nicht.
Ist ein bisschen wie ein Leben auf der hohen Kante. Das ich gerade sowieso führe.

Was sich tatsächlich mittlerweile friedlicher anfühlt, ist der innere Konflikt dem verstorbenen Freund gegenüber. Das Thema ist, erstmals seitdem der ehemalige Freund und ich sich kennen, ausgelagert. An einem professionellen Ort, an dem das alles sicher ist und bedacht wird. Und irgendwie kann ich das dann etwas mehr los lassen, wenn ich bei ihm bin. Mich mehr auf ihn konzentrieren. Wir müssen in dieser Beziehung nicht mehr beides jonglieren und das fühlt sich an diesem Sonntag befreiend an. Ich hätte das eher machen sollen. Aber irgendwie dachte ich, wir kriegen das hin. (Der ehemalige Freund war übrigens interessiert und hat sich schon längst die Homepage der Frau angeschaut, bei der ich jetzt therapeutisch abhänge ;) ).

 


Die Nacht auf den Montag ist kurz.
Da sind viele Gefühle parallel. Der tiefe Frieden von gestern, die Dankbarkeit, dass wir uns wieder spüren durften.
Gepaart mit einem unglaublichen Schmerz. Werden wir uns wieder sehen? Wie viel Zukunft haben wir? Und dann spüre ich da ganz viel Angst den Rücken hoch kriechen. Davor, dass es bricht. Dass ich das hier einfach nicht halten kann.
Ich versuche mir zu sagen, dass es okay ist. Dass ich – wenn so etwas mit dem verstorbenen Freund noch möglich gewesen wäre – auch versucht hätte, noch ein bisschen „wir“ mitzunehmen. Und dass das Leben sowieso endlich ist. Manchmal schneller, als wir denken. Dass Bindung auch keine Garantie bedeutet, weil dem Tod die Bindung egal ist. Lebt nicht am Ende jeder eine Beziehung ohne Bindung? Und ist Bindung nicht nur ein theoretisches Konstrukt, weil der Mensch nun mal gern Garantien hätte. „Mein lebender Freund musste mir versprechen, nicht vor mir zu sterben“, hat mal jemand in einem Podcast über Trauer gesagt. Natürlich war das nicht richtig ernst gemeint, aber es nicht das, was alle Menschen, die so etwas schon ein Mal erlebt haben, gern hören würden? Und natürlich weiß auch jeder, dass das Quatsch ist.
Und dann sitze ich hier, spüre die Tränen und weiß nicht, wohin mit dem Chaos.

Und natürlich kann ich auch keinem der wenigen involvierten Menschen erzählen, was ich am Wochenende gemacht habe.
Das werden alle für hochgradig bescheuert halten. Aber ich finde es irgendwie nachvollziehbar. Nach allem, was war.

Ich ziehe los auf die Arbeit.
Mondkind


Bildquelle: Pixabay

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