Ein bisschen Reflexion

Da ist so ein Gefühl im Bauch
Das ich nie gekannt hab, mit dir ist es anders
Ey, bitte, weck mich nie mehr auf
Weil ich bei dir keine Angst hab, mit dir ist es anders
Auch wenn wir uns viel zu oft vergessen
Will ich, dass du weißt, für mich gibt's nur
Dich allein, ich will's versprechen
Das hier ist deiner, meiner, Kleiner-Finger-Schwur

(Florian Künstler – Kleiner Finger – Schwur)

Es war anders.
Das was der ehemalige Freund und ich erlebt haben, habe ich in der Intensität nie im Leben erlebt.

Und es sinkt nur langsam in mein Gehirn, dass das für immer vorbei ist.
Dass das nicht mehr wiederholbar ist, selbst, wenn wir es wollten.
Das ist mir heute aufgefallen, als mir eingefallen ist, dass ich immer noch keinen Tag Urlaub eingetragen habe. Als müsste ich noch auf etwas warten, als könnte noch ein Wunder geschehen, als könnte selbst ihm bewusst werden, dass wir so viel weg schmeißen. Ungefähr alle guten Momente des letzten Jahres. Aber ich glaube, da ist jetzt so viel zwischen uns verloren gegangen, dass wir diese Flamme nicht mehr anzünden könnten, selbst wenn wir es wollten. Ich könnte ihm nie mehr vertrauen, dass er bleibt, selbst wenn ich es wollte. Dafür hat er mich viel zu sehr verletzt.
Obwohl ich mir nichts mehr wünschen würde, als dass das anders wäre.

Aber wir reden eben immer noch nicht.
Gestern hatten wir uns eine zeitlang in der Leitung.
Aber letzten Endes sind die Fronten geklärt.
Er reduziert das Fundament einer Beziehung auf Sexualität.
Ich sehe in Beziehung so viel mehr als das und in erster Linie eine ganz tiefe emotionale Verbundenheit.
Er spricht davon, dass es ihn genervt hat, dass er ständig das Gefühl hatte nachfragen zu müssen, wie es mir mit den Dingen geht, während ich genervt davon war, dass er auf essentielle Fragen wie „Wie geht es Dir?“ und „Was beschäftigt Dich?“ meistens in einem - wenn es hoch kam in zwei – Sätzen geantwortet hat. Ich habe gedacht, das wird schon und vielleicht braucht er seine Zeit, um Vertrauen aufzubauen, bis wir irgendwann mal diese tiefgründigen Gespräche führen können, so wie ich das mit dem verstorbenen Freund erleben durfte. Aber ich glaube, er hat da auch einfach kein Interesse und vielleicht auch einfach keinen Zugang. Auf die meisten Dinge, die ich versuche mit ihm zu teilen kann oder will er einfach nichts sagen – das habe ich bis zum Ende nicht ganz heraus gefunden. Ich rede und da kommt einfach nichts. Gute Gespräche – an eins kann ich mich erinnern, als wir uns wirklich mal gegenüber saßen; ich in seinem Sessel und er auf der Fußablage – waren absolute Seltenheit.
Wir konnten nicht einziges Mal wie zwei erwachsene Menschen miteinander darüber sprechen. Ich hatte noch nie mit jemandem so starke Kommunikationsprobleme. Wobei ich auch immer das Gefühl habe, dass er nach reiflicher Überlegung einen Satz raus haut, der mich komplett Schachmatt setzt. Als würde er mit dem was er sagt die Wahrheit definieren und damit muss meine Wahrnehmung falsch sein. Ich glaube am Ende haben wir vielleicht nie die Vertikale aus dieser Beziehung raus bekommen. Weil er mir gefühlt nie zugestanden hat, dass an meinen Aussagen auch etwas dran sein könnte. Und ich immer nur die Patientin bin, die von allem keine Ahnung hat.

Die Gefühlslagen hinsichtlich dieser Trennung sind auch sehr verschieden.
Während ich mich eher wie so ein neugeborener Hamster fühle – blind, taub und ohne Fell auf dem Körper – und mir eher wie eine atmende Hülle vorkomme, die abends auf dem Sofa liegt, bis es Zeit ist das Licht zu löschen und die vor Erschöpfung auch nichts anderes mehr machen kann, redet er von Erleichterung und Freiheit. (Gut, er hat das Ganze auch schon fünf Mal durch, vielleicht wird man da irgendwann abgebrühter…?) Zumindest hat mir mein Intensiv – Oberarzt heute zugestanden, dass das blanker Zynismus ist – insbesondere wenn er weiß, wie sehr ich an dieser Trennung zu knacken habe, dass die noch nicht verarbeitet ist und dass die – auch wenn er nicht bereit ist, das offen zu registrieren oder gar darüber zu reden – weit mehr berührt hat, als das was zwischen uns beiden war, nämlich, dass die Trennung auch eine ganze Biographie – Linie in scheinbar in negativer Art bestätigt; auch wenn ich das nicht so sehen sollte. Er grenzt sich super hart ab („Das ist das, was Therapeuten in erster Linie lernen, Frau Mondkind – sie sind überall präsent, aber sie haben nichts mit irgendetwas zu tun“), was schwer auszuhalten ist.

Ich denke manchmal an dieses Gespräch mit der Institutsleitung, als wir versucht haben, seine Ausbildung zu retten. Als wir an einem Tag knapp 800 Kilometer für zwei Stunden Gespräch gefahren sind und alles in mir sich geweigert hat, das zu tun, weil es ohne Übernachtung irgendwo doch zu viel ist und ich trotzdem zugestimmt habe, weil ich wusste, wie wichtig das für ihn war.
Ich kann mich an die Frage erinnern, wie ich glaube eine Trennung mit meiner Vorgeschichte meistern zu können, wenn es – rein hypothetisch gesehen – dazu kommt. „Ich wünsche Ihnen natürlich, dass Sie irgendwann mal heiraten und Kinder bekommen, aber es kann ja auch anders kommen“, hat die Institutsleiterin damals hinterher geschoben. Ich wusste, dass sie mich mit dieser Frage im Prinzip kalt erwischt hat, aber damals ging es nicht einen Funken um mich, sondern nur um ihn. Und ich wusste, dass zuzugeben, dass mich das in die tiefste emotionale Krise seit dem Tod des Freundes stürzen wird, keine besonders gute Idee ist. Auch nicht richtig schien es mir zu sein, das vollkommen abzutun.
Also habe ich erklärt, dass ich ja nicht weiß, was passiert, aber dass ich mir vorstellen kann, dass ich mittlerweile gelernt habe, die Situationen voneinander zu trennen. Dass ich nicht auf jeden Verlust die alte Erfahrung drauf interpretieren muss, dass mir wohl bewusst ist, dass Beziehungen schief gehen können, aber dass das dann nicht dasselbe Paar Schuhe ist und dass ich ein soziales Netz habe, das hält. Dass die Beziehung zum Freund ein sehr schönes Geschenk ist und vielleicht auch eine Möglichkeit alte Erfahrungen ein bisschen zu überschreiben, aber dass mir eben auch bewusst ist, was die Eigenschaft von Geschenken ist: Nämlich, dass sie einfach so ins Leben fallen, dass sie ein Zusatz sind, der nicht da sein müsste und dass sie das Meiste besser, aber nie schlechter machen. (Und ich wusste, dass das so in dieser Ausführung einfach gelogen war, aber ich kann das schon gut, wenn es sein muss…)

Es gab tatsächlich eine Zeit, in der ich das Gefühl hatte, dass eine neue Beziehung vielleicht auch ein bisschen heilen kann – auch wenn das so nie mein Plan war und den Vorstellungen, wie ich diesen Tod verarbeiten könnte, damals doch ziemlich diametral widersprochen hat. Aber vielleicht könnte es heilsam sein zu spüren auch mit diesem schweren Rucksack auf dem Rücken nicht alleine zu bleiben. Vielleicht könnte man lernen, dass – egal was man im Leben erlebt – man nie alleine bleibt, solange man nicht aufhört vorwärts zu gehen, zu versuchen das Leben wieder anzupacken.


Von einem Ausflug im Sommer


Und auch wenn der Freund immer wieder betont, dass es das Thema mit der Sexualität sei, an dem es gescheitert ist (was auch ziemlich weh tut, wenn ich bedenke wie krass viel Mühe ich mir da gegeben habe) und ich ihm das auch bis zu einem bestimmten Punkt glaube, glaube ich aber auch, dass ihm das Gesamtpaket Mondkind zu schwer geworden ist. Da war jemand, der zu viel über die grundlegenden Fragen des Lebens nachgedacht hat, der permanent Antworten gesucht hat, der sich zu wenig kannte, um stabil an der Seite des Partners stehen zu können. Da war jemand, der den Spaßfaktor im Leben nicht an die erste Stelle gesetzt hat, jemand mit sehr hohen moralischen Ansprüchen in erster Linie an sich selbst.
Und ehrlich gesagt – so im Gesamten halte ich mich für ziemlich lebensunfähig. Nicht so im Sinn es Existierens – das klappt gut. Gerade heute habe ich wirklich ein Lob in der Frühbesprechung bekommen für meinen Dienst und die sehr professionelle Dienstübergabe. Leben für die anderen kann ich schon gut. Nur leben für mich selbst – das kann ich nicht.

Ich habe heute nochmal der Frau des Oberarztes geschrieben und wir haben es sogar geschafft, für diese Woche noch einen Termin zu machen. Im Dienstfrei. Ich hoffe nur, dass ich irgendwann vor 13 Uhr dort weg komme, um noch ein oder zwei Stündchen schlafen zu können, bevor ich wieder los muss. Jetzt wäre das wirklich praktischer, ich hätte noch auf der Intensiv bleiben können. Auf der Station muss man ja im Prinzip alles, für das man sonst bis 16 Uhr Zeit hat, bis 10 Uhr mit seinen Patienten gemacht haben – und da das natürlich nicht klappt, bleibt man halt länger.
Der Oberarzt zieht sich langsam zurück aus der Geschichte und das ist auch okay. Das ist keine Konstellation, die länger als ein paar Wochen so bleiben kann – er ist und bleibt immerhin mein Vorgesetzter. „Und nochmal: Externe Hilfe in Ihrer Situation ist in keinster Weise Schwäche oder „peinlich“. Man muss Ihnen fünf Minuten zuhören, um auch als Nicht-Psychologe zu verstehen – oder vielleicht gerade als Nicht – Psychologe - dass es hier nicht nur um die Trennung, sondern auch um ganz andere Dinge geht. Und obwohl Sie die nicht verschuldet haben, müssen Sie das trotzdem ausbaden. Das ist leider so. Aber bitte schämen Sie sich nicht oder denken, dass Sie schwach sind.“

„Ich hoffe, ich war mehr als ein Experiment“, sage ich ganz leise. Mein Oberarzt sieht mich fragend an. „Das ist ne längere Geschichte“, sage ich. „Wenn Sie mal Zeit haben, googeln Sie das mal“, erkläre ich und nenne ihm die Gemeinschaft, die der Freund angehört hat. „Manchmal glaube ich, er wollte so sein, wie der Leiter dieser Gemeinschaft. Er hat so seine Vorbilder, habe ich gemerkt über die Zeit. Und dann bemüht er sich sehr, ein bisschen so zu leben, wie diese Menschen. Diesen leisen Verdacht hatte ich schon, als ich von dieser Gemeinschaft erfahren habe. Erzählt hat er es mir nämlich auch nicht, das musste ich heraus finden. Und ich kann ja mit vielen Dingen leben und ich habe ihn da in seiner Lebenseinstellung auch akzeptiert, auch wenn wir das lange ausdiskutieren mussten. Aber ich bin nicht bereit, eine Beziehung und ein Leben quasi zu kopieren.“ Und nach einiger Pause: "Ich will ihm ja kein Unrecht tun und es fällt mir schon schwer, ihn da teilweise auch so negativ zu sehen, aber nach allem was war, drängt sich der Verdacht halt schon auf..."

Und ich… - ich bin mir immer noch nicht sicher, wie das alles enden wird. Ich habe das ja oft durch. Ich kenne das so gut. Wie viele Zeiten in meinem Leben hat es gegeben, in denen es so viel um Funktionieren ging und in dem es eine Stunde in der Woche darum ging, einfach mal sein zu dürfen. Mit allem, was einen bewegt. Und das kann man eine zeitlang machen. Wenn es sein muss. Aber wenn das die Normalität ist und alles andere irgendwie so eingestreut ist…
Und irgendwie – noch mehr als beim verstorbenen Freund – vermisse ich Berührungen. Das ist ganz schlimm gerade; ich wusste nicht, dass es so etwas gibt. Ich weiß nicht, wie sich ein Entzug anfühlt, ich hatte noch nie einen, aber so ungefähr stelle ich mir das vor. So eine unendliche Sehnsucht und es ist einfach nicht zu bekommen. 

So - morgen ist meine erste Chefarztvisite seit Ewigkeiten. Ich hatte auf der Intensiv wochenlang entweder Dienst, Frei nach Dienst, Urlaub, Spätdienst oder sonst irgendetwas. 

Mondkind


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