Von einem Dienst und Austausch mit dem ehemaligen Freund

Mittwochabend.
Ich sitze auf meinem Sofa. Der ehemalige Freund und ich sind zum Telefonieren verabredet.
Was zwischen uns aktuell passiert, ist ein bisschen seltsam. Ich habe das Gefühl, wir teilen eine Ebene, die uns seit Monaten verloren gegangen war. Es sind wieder Gespräche möglich, über das, was uns bewegt.
Es geht um meine Arbeit, seine Ausbildung, aber auch um das, was zwischen uns ist. Es geht darum, wie sich wohl schleichend Erwartungen in diese Beziehung geschlichen haben, die den Zauber der ersten Monate mitgenommen haben und der Beziehung die Qualität des Geschenks, das sie mal war. Und jeder von uns beiden, hat das als eine Art „heimlichen Deal“ gesehen. Dabei ist es immer schon schlecht, wenn man Erwartungen in eine Beziehung hat. Wünschen darf man sich etwas; das ja – aber mit den Erwartungen ist es so eine Sache. Ich rede auch darüber, wie befreiend ist, das Thema mit dem verstorbenen Freund „auszulagern“, was nicht heißt, dass der ehemalige Freund und ich nicht mehr drüber reden dürfen – ich würde mir es sogar weiterhin wünschen – aber es besteht keine Notwendigkeit mehr im Sinn einer Erwartung, das von Zeit zu Zeit – wenn es wieder eine Situation gibt, mit der ich schwer zurechtkomme – durchzukauen. Wenn ich das Bedürfnis habe, mache ich das mit der Frau vom Oberarzt. Es sei denn, der ehemalige Freund hat Nerven dafür und kann das anbieten; dann ist es okay.
Es geht um das Thema Bindung. Und, dass das für den Freund ein Thema ist, das sehr negativ behaftet ist. Eben weil es da seiner Meinung nach um Besitz, Abhängigkeiten, Erwartungen und noch einiges mehr geht. Für mich ist Bindung etwas anderes. Für mich bedeutet Bindung ein ganz tiefes Vertrauen. Vertrauen darin, dass ich mein Leben mit dem anderen Menschen teile und das heißt nicht, dass man immer und ständig Zeit miteinander verbringen muss. Das kann auch heißen, sich mal zu entfernen, sich mal zu lassen, eigene Wege zu gehen, aber eben auch das Vertrauen zu haben: Am Ende finden wir uns am selben Mittelpunkt. Es ist interessant mich mit dem ehemaligen Freund darüber auszutauschen und wenn da die Definitionen so unterschiedlich sind, erklärt das natürlich auch unsere Reaktionen aufeinander und seine tiefe Abneigung, wenn er spürt, dass ich da gern eine Bindung hätte, die ihm Angst gemacht macht.
Und auch sonst fühlt sich das zwischen uns komisch an. Ein bisschen, als würde sich ein Kreis schließen. Ein bisschen, als würden wir wieder dort stehen, wo wir im lezten Frühling mal angefangen haben. Ich spüre immer noch unglaublich viel Anziehung diesem Menschen gegenüber, ich habe den Wunsch mein Leben mit ihm zu teilen, eine Bindung zu teilen. Ich spüre das wieder so viel intensiver, wenn er mich berührt, ich spüre, wie seine Stimme beim Telefonieren mein Herz bewegt, ich spüre die Leichtigkeit in mir, wenn er in der Nähe ist.

Donnerstagmorgen
„Mondkind, ich habe nochmal über das nachgedacht, über das wir letztens geredet haben“, sagte ein Kollege heute Morgen zu mir im Arztzimmer. „Es gibt Zeitfenster für Beziehungen, Du erinnerst Dich?“, hilft er mir auf die Sprünge. Ich nicke. „Ich glaube, Du hast Recht, was das anbelangt. (Eigentlich war das damals die Aussage vom ehemaligen Freund…). Ich würde nie wieder – selbst wenn ich sie wieder treffen würde – eine Beziehung mit einer meiner Exfreundinnen anfangen. Das geht nicht mehr. Ich habe mich ja auch weiter entwickelt und wir sind nicht mehr in diesem Zeitfenster.“ „Das merke ich beim ehemaligen Freund gerade auch“, entgegne ich. „Ich wünschte ich wäre noch in diesem Zeitfenster. Aber obwohl das Gefühl sehr ähnlich dem des letzten Frühling ist, bin ich da nicht mehr. Obwohl so Vieles ist wie damals, ist auch doch irgendetwas anders. Vielleicht ist es das Bewusstsein für all das, was im Dezember passiert ist. Vielleicht schützt sich das Herz einfach davor, nochmal von derselben Person so verletzt zu werden“, sage ich. „Vielleicht“, entgegnet der Kollege. Wir teilen da viel, was die zwischenmenschlichen Antennen anbelangt, haben wir letztens mal festgestellt. „Was ist Bindung für Dich?“, frage ich ihn ganz unvermittelt. Er überlegt kurz. „Ein Grundbedürfnis.“

Donnerstagnachmittag. Dienststart.
Ich verfolge schon seit der letzten Stunde vom Arztzimmer auf der Stroke Unit den digitalen Arbeitsplatz der Notaufnahme. Der Kollege vom Spätdienst kommt rein. „Mondkind, da sind in der ZNA zwei Patienten – eine mit Verdacht auf einen MS – Schub und eine mit Kopfschmerzen bei bekannten Pseudotumor cerebri – die sind aber wirklich gerade erst gekommen. Und Einer ist noch angemeldet.“ Das sind sie nicht; ich habe gesehen, dass die beide schon seit einer Stunde in der Notaufnahme sind. „Dann komm mit; ich mache Eine und Du machst Eine, Du kannst Dir auch aussuchen, wen Du nehmen willst“, entgegne ich. „Mondkind, ich habe schon drei Patienten aufgenommen, ich kann jetzt nicht, ich habe zu tun.“ Sein Ernst jetzt… ?
Ich trabe vor in die Notaufnahme, als mich ein Kollege einholt, der ewige Jahre Multiple Sklerose – Patienten betreut hat. „Mondkind, ich mache Dir noch schnell die MS – Patientin, ehe ich nach Hause gehe“, bietet er an. „Danke Dir“, entgegne ich. Und ich werde noch viel dankbarer, als nach 10 Minuten in der ZNA das Telefon mit dem Notfallalarm klingelt.
Der Dienst hat es in sich. Der erste Schockraum ist eine Patientin, die am Morgen schon Kopfschmerzen hatte und dann akut eine beinbetonte Halbseitenschwäche links entwickelt hat. Das CT zeigt eine Blutung. Komplizierend hat sie eine fortgeschrittene Leberzirrhose, was die Syntheseleistung der Leber deutlich eingeschränkt und demzufolge sind die Gerinnungswerte ziemlich derangiert, was bei einer Blutung immer blöd ist. Die Angiographie zeigt kein geplatztes Aneurysma und auch keine sonstiges Gefäßveränderungen, die Neurochirurigen finden den Befund grenzwertig, wollen aber aktuell nicht operieren und gerade als die Patientin im Schockraum noch mit einem arteriellen Zugang versorgt wird, um dem Blutdruck monitoren zu können und ich mir Gedanken mache, wie wir die Gerinnung medikamentöse normalisieren, klingelt der nächste Notfallalarm. Der nächste Patient hat es in sich – der kommt nämlich mit einer Halbseitenschwäche und seiner verwaschenen Sprache in einem Zeitfenster zwischen 6 und 9 Stunden. Und damit sind wir im erweiterten Lysezeitfenster. Das gibt es noch nicht so lang bei uns; es gab nur mal eine Mail, was für Bildgebung gemacht werden soll, um eine Entscheidung für oder gegen eine Lyse zu treffen. Ich entscheide mich für ein MRT nachdem die CT und CT –A nichts gezeigt haben, aber da muss noch ein Mismatch – Verhältnis ausgerechnet werden, denn dass man sowohl in der Diffusion, als auch in der Flair jenseits der  4,5 Stunden etwas sieht ist klar. Am Ende stellt sich heraus: Hirnstamminfarkt, der in der Diffusion natürlich deutlich sichtbar ist, in der Flair allerdings überraschend flau. Das Coolste kommt aber noch vom Radiologen: „Also Mondkind, ich weiß nicht, wie man da einen Mismatch ausrechnet.“ Bitte was? Jetzt haben wir die Bildgebung, aber keiner kann sie auswerten? Ich rufe meinen Hintergrund an, der Oberarzt in der Reha ist. „Mondkind, ich weiß das auch nicht so genau, mit erweiterten Lysezeitfenster kenne ich mich nicht aus…“ Mh… - jetzt ist Hirnstamm natürlich hinterer Kreislauf, da gelten nochmal andere Zeitfenster, aber dennoch – normalerweise darf man nicht lysieren, wenn man in der Flair etwas sieht. Mir fällt nicht mehr sehr viel mehr ein, als den Chef anzurufen. „Chef, ich weiß nicht, wie man das ausrechnet“, gestehe ich. Er meint, dass es da keine standardisierte Rechnung gibt, das muss man einfach anschauen. „Es ist wirklich sehr flau in der Flair und auch nur angedeutet. Also ein 1:1 – Match ist das nicht“, sage ich. „Wie hoch in der NIHSS?“, fragt er. „10 Punkte“, entgegne ich. „Lysier mal“, sagt er. Ich lysiere. Und werde die ganze Nacht Angst haben, dass der blutet. Wenn der in den Infarkt im Hirnstamm einblutet, ist game over für den Patienten.
Neben dem Alltagsgeschäft der Notaufnahme geht es weiter mit den Herausforderungen. Kurz vor Mitternacht wird mir noch ein Patient aus der Nachbarstadt mit Kopfschmerzen und einer Hemihypästhesie angekündigt; knapp 50 Jahre alt, wo ich die nächste Krise kriege. Hört sich nach Schlaganfall oder Migräne mit Aura an; aber bei einer erstmaligen Symptomatik schwer zu sagen. Allerdings kommt der Patient nie bei mir an; ich weiß nicht, wo der verschollen gegangen ist. Halb zwei in der Nacht meldet sich ein Krankenhaus etwa eine Autostunde von hier entfernt. Die haben einen knapp 60 – jährigen Patienten mit einer akut aufgetretenen Halbseitensymptomatik und Sprachstörung, er hat in der CT – Angio einen M1 – Verschluss. Lysiert haben sie ihn schon, aber er braucht eine Thrombektomie. Ich organisiere mit der Kollegin zusammen die Verlegung und trommle unser DSA – Team zusammen. Zeitgleich, als der Patient dann mit etwas Verzögerung, weil zunächst kein Rettungswagen zu Verfügung steht, endlich da ist, kommt ein junger Mann, der Kontaktperson eines Menschen ist, der an einer Meningokokken – Meningitis leidet und nun Kopfschmerzen hat.
Während ich also in der DSA präsent bin – das wollen die Chefs immer, dass die Neurologen da zumindest herum stehen – rufe ich die beiden Intensivstationen an und kümmere mich um ein Bett in dem Fall, dass wir den Patienten nicht extubieren können; ewig in der Notaufnahme parken kann man einen intubierten Patienten nämlich nicht, da muss man einen Plan haben. Gleichzeitig wühle ich mich durch die Seiten des RKI, um mich mit dem Thema medikamentöse Prophylaxe bei Meningokokken – Meningitis zu beschäftigen.
Wegen der Thrombektomie muss ich ohnehin meinen Oberarzt informieren; da kann ich auch gleich den jungen Mann besprechen. „Der hat keinen Meningismus, keinen Infekt, keine Entzündungszeichen im Labor, auch kein Unwohlsein, Grippegefühl oder überhaupt irgendetwas, einfach nur ein Druckgefühl im Kopf; er weiß das mit der Meningitis der Kontaktperson seit gestern, wirkt auch sehr ängstlich überlagert – verständlicherweise  - ich würde das trotzdem ernst nehmen und ihn punktieren“, sage ich. „Nein Mondkind, punktier mal nicht, setz ihn in ein Einzelzimmer auf der Station, gib ihm die Prophylaxe und wir beobachten mal, was passiert“, meint mein Oberarzt. Ich hasse das, wenn ich nicht einverstanden bin mit der Entscheidung des Oberarztes und es dann so machen muss und verfluche mich über den Fall gesprochen zu haben.
Der Patient mit der Thrombektomie lässt sich nach der Intervention zum Glück extubieren und geht zu mir auf die Stroke Unit. Zum Dokumentieren komme ich allerdings nicht; schon wird der nächste Schockraum angemeldet. Eine ältere Dame aus dem Pflegeheim, die mit einem unklaren Koma angemeldet wird. Bei Eintreffen im Krankenhaus legt sie erstmal einen generalisierten Kampfanfall hin; das erklärt dann auch das Koma. Ist nur die Frage – warum krampft sie? Frühanfall bei Infarkt? Erstdiagnose Epilepsie bei SAE? Infekt? Das CT und die Angiographie sind erstmal nicht richtungsweisend, in der EEG – Kappe die ich ihr aufsetze ist sie mal zumindest nicht im Status; das Labor verrät aber eine massivste Hyponatriämie. Fall geklärt; das macht gerne mal Krampfanfälle; die Patientin geht mit einem symptomatischen Krampfanfall in die Innere.
Es ist mittlerweile kurz vor halb 8 in der Früh, ich muss mindestens noch ein bisschen was dokumentieren, aber der Pfleger, dem ich am Morgen in die Arme rase, macht meine Pläne zu Nichte. „Mondkind, ich habe die nächste Patientin“, sagt er. „Eine Dame mit Schwindel.“ Sie berichtet über einen lageabhängigen Drehschwindel seit heute Nacht. Das Erste was ich mit ihr mache ist eine Lagerungsprobe, die eindeutig positiv ist. Fall gelöst. Das Labor, das CT und der Ultraschall laufen noch, während ich in die Frühbesprechung rase und auf dem Weg schnell bei meinem lysierten Patienten vorbei schaue. Es geht ihm minimal besser von der Lähmung her, aber er ist weiterhin wach und ansprechbar, was eine relevante Einblutung unwahrscheinlich macht. 

Kalter Kaffee im Dienstzimmer und ein Stück Schokolade - manchmal alles, was noch bei Laune halten kann

Frühbesprechung. „Mondkind, wer war Dein Radiologe?“, fragt der Chef. „Das kann nicht sein, dass die das nicht ausrechnen können.“
Nach der Frühbesprechung. Der aktuell auf der Stroke Unit vertretende Oberarzt kommt angefegt. Er ist normalerweise Oberarzt auf der ZNA und hält glaube ich ein bisschen was von mir. „Mondkind, wir schauen uns mal an, was Du aufgenommen hast, heute Nacht.“
Er schaut sich das CT der Patientin mit der Blutung an. „Hast Du eine Sinusvenenthrombose ausgeschlossen?“, fragt er. „Sie hat zwar eine Gerinnungsstörung, aber ob das für eine spontane Blutung reicht?“ Oh shit… - daran habe ich nicht mit einer einzigen grauen Zelle gedacht. Aber atypische parietal gelegene Blutung, da hat er Recht. Ich ärgere mich über mich selbst. Wir machen erstmal D – dimere, die dann auch noch massiv erhöht sind. Ich muss aber dann nach Hause gehen, bevor das MRT am Nachmittag laufen wird. Ich bitte einen Kollegen mich anzurufen und bete, dass sie keine SVT hat, auch wenn das mit den hohen D – Dimeren nicht gut für mich aussieht.
Und mit dem erweiterten Lysezeitfenster – da habe ich Fragen. Der ZNA – Oberarzt versteht überhaupt nicht, warum ich das MRT gemacht habe und denkt, dass es ein unklares Zeitfenster war. Dabei war es eben genau das nicht; es waren irgendetwas zwischen 6 und 9 Stunden. Und dann ist er auch der Meinung, dass man im erweiterten Zeitfenster nur CT mit Perfusion macht. Ich habe extra die Leitlinien gelesen, aber ich habe Sorge so sehr auf der falschen Fährte zu sein und mich komplett zu blamieren, dass ich das nicht mehr mit ihm ausdiskutiere. „Also Mondkind, ich hätte ihn auch lysiert“, sagt mein Oberarzt, aber scheinbar sind wir mit völlig verschiedenen Überlegungen dahin gekommen. Also falls hier ein Neurologe mitliest und sich auskennt: Ich habe Fragen.
Ich gehe erst am frühen Nachmittag heim.

Freitagnachmittag.
Bevor ich endlich ins Bett hüpfen kann, werfe ich noch einen Blick in meine Mails. Der Intensiv – Oberarzt hat nochmal geschrieben. Ich finde das schon sehr erstaunlich mit ihm. Dass er mich so ernst nimmt, dass er da nicht ganz los lässt, dass er genau die richtigen Fragen stellt. „Was machen Sie am Wochenende?“, fragt er. Wirft das Stichwort „Kontinuität“ und „machen“ ein – nicht versacken irgendwo. Und dann bringt er sogar einen Themenvorschlag für ein nächstes Gespräch ein – er würde gerne wissen, wie ich mich und die Welt gesehen habe, bevor ich den verstorbenen Freund kennen gelernt habe. Das ist eine interessante Frage, darüber muss ich nochmal intensiv nachdenken; aber ich bin so beeindruckt, dass er sich nicht einfach passiv meine Gedanken anhört, wenn wir miteinander reden, sondern sich scheinbar wirklich selbst auch Gedanken macht. Und das zeigt mir auch: Ich nerve ihn nicht komplett – sonst würde er das nicht machen.

Als ich wieder aufwache, telefonieren der ehemalige Freund und ich kurz.
Es geht um die Frage, ob wir uns am Wochenende verabreden. „Ich hatte überlegt, ob ich vielleicht zu Dir kommen könnte“, wirft er irgendwann ein. Bitte was habe ich da gerade gehört? Also der Typ ist schon erstaunlich. Wer kann sich noch daran erinnern, dass er mal sagte, dass er nur kommt, wenn es sich lohnt und dass das nicht nur für eine Nacht sei. Am Ende einigen wir uns, dass ich zu ihm fahre, aber alleine dass er darüber nachgedacht hat und es anbietet, noch dazu wo es aktuell sehr kalt ist, finde ich im positiven Sinn erstaunlich. Er schlägt vor, dass ich Samstag zum Mittagessen komme; er kocht dann schon mal. Wow… - nicht schlecht. Tatsächlich habe ich ein etwas schlechtes Gewissen, dass ich nicht schon etwas eher los kann, um ihm beim Kochen zu helfen (obwohl es natürlich sehr cool ist bekocht zu werden), aber ich schaffe es wirklich nicht, weil ich so spät vom Dienst daheim war und nicht mehr genug Haushalt geschafft habe. Und es geht nicht immer darum, dass Wünsche und Ideen  umgesetzt werden, es geht manchmal allein um das daran denken. Ich finde es so schön, dass er daran gedacht hat, dass er mich ja auch hätte besuchen können und damit riskiert hat es zu machen, wenn ich es unbedingt gewollt hätte. Das ist ein „Mondkind, ich denke auch an Dich und respektiere, dass Du mal gesagt hast, dass Du natürlich auch lieber bei Dir zu Hause bist.“ Aber es ist eben auch völlig okay es anders zu machen, es geht nur darum, nicht ständig übergangen zu werden.
Schließlich geht es noch um die Frage, wie lange ich bleibe. Das Herz möchte natürlich bis Sonntag bleiben. Der Verstand und auch ich als Mondkind, stelle da noch andere Überlegungen an. Ist es nicht sinnvoller Grenzen zu ziehen? Wo soll das enden, wenn ich dort wieder übernachte? Und noch viel wichtiger: Soll ich nicht auch besser lernen, Zeit mit mir zu verbringen? Es auch genießen zu können, alleine zu sein? Und – das ist mir am Abend unter der Dusche eingefallen – ich möchte mich nicht mehr stressen. Ich wollte noch eins, zwei Dinge für die Arbeit nachlesen am Wochenende, wo ich mir im Dienst unsicher war, ich möchte mir für den Intensiv - Dienst am Montag nochmal genau anschauen, was ich im Fall einer Reanimation alles bedenken muss, ich habe bis Dienstag noch ein bisschen „Therapie – Hausaufgaben“, weil ich da bei der Frau des Oberarztes einen Termin habe. Das könnte ich natürlich auch alles beim Freund machen – oder ich mache es eben entspannt hier. Ich muss nicht mehr jede freie Minute beim ehemaligen Freund verbringen; das war auch echt Stress für mich. Und das liegt natürlich weniger daran, dass der Freund mich stresst sondern daran, dass ich mich sehr gestresst habe, weil ich wusste, dass ich eben nicht viel Zeit habe und aktuell muss ich noch dazu bedenken, dass es eben auch noch ein Leben neben uns beiden gibt, auf das ich jetzt auch wieder mehr den Fokus legen muss. Um eben irgendwann nicht davon überrollt zu werden, wenn jeder wirklich wieder für sich ist. Er kann ja auch demnächst eine neue Freundin haben und dann natürlich lieber mit ihr Zeit verbringen und dann habe ich da natürlich nichts oder wesentlich weniger etwas zu suchen. Da ist es auch gut, schon mal wieder ein Leben alleine zu haben, um da nicht zu sehr überrascht zu werden.

Noch später am Abend meldet sich der Kollege, den ich gebeten hatte, mir zu schreiben. Die Dame mit der Blutung hat keine Sinusvenenthrombose, die Lyse hat im Kontroll – CT nicht geblutet, und der junge Mann, der Kontakt zu der Person mit der Meningokokken – Meningitis hat – der Chef wollte unbedingt, dass er punktiert wird – ist gegen ärztlichen Rat nach Hause gegangen.
Mir fallen Ziegelsteine von den Schultern. Für den jungen Mann finde ich das irgendwie schade, aber zumindest habe ich in all dem Chaos doch die Dinge richtig gemacht und nichts übersehen. Auch, wenn das mit der Sinusvenenthrombose eher Glück war. Ich hatte einfach nicht mehr weiter über den Fall nachgedacht, als der nächste Alarm los klingelte.

So – jetzt muss ich erstmal noch schnell Einkaufen fahren und dann schon bald los zum ehemaligen Freund.

Mondkind



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