Auf der Suche

Ich konnte nicht glauben, dass das vorbei sein soll. Damals. Letztes Jahr um ungefähr die Zeit. Zwar ist das moralisch höchst verwerflich die Trauer einfach zu ersticken, in dem man sich neu verliebt, aber nach anderthalb Jahren innerlich eher tot als lebendig… ich wollte endlich die Mondkind von damals zurück haben, ein Stück Unbeschwertheit, die ein Telefonanruf morgens um kurz nach sechs mitgenommen hatte. Das Grau loswerden, das die schönsten Farben des Sommers überdeckt hat. Seit diesem Tag habe ich mich nicht mehr als Teil dieser Welt gefühlt. Als wäre da eine unsichtbare Wand zwischen der Welt und mir, zwischen dem Menschen, den ich nach außen hin präsentiere, der irgendwie funktioniert, der sogar ab und an lachen kann und dieser ewigen Dunkelheit in mir drin.
Und es war nicht so, dass ich aktiv einen neuen Partner gesucht habe, das kam einfach so. Aus dem Nichts tauchte dieser Mensch auf und dann war  er einfach da.     

Manchmal glaube ich, der letzte Sommer war ein langsamer Abschied. Noch ein Mal Pirouetten drehen im Licht. Nur, um nochmal zu wissen, wie das ist.    

Ich spüre, wie in mir drin so viel brodelt. Wie es jeden Tag eher mehr als weniger wird. Ich merke, dass die Worte dafür allmählich aufgebraucht sind. Für die Beschreibung dessen, wie es sich anfühlt. Und, dass Worte es auch nicht mehr leichter machen. Den Druck nicht mehr da raus nehmen. Ich weiß nur, dass es furchtbar ist. Dass die Nächte zu kurz sind. Und die Tage zu lang. Ich merke, dass alles wie durch einen Nebel bei mir ankommt.    
Meistens habe ich nachts so viel geweint, dass die Tränen morgens einfach leer sind. Und ich den Arbeitstag dann irgendwie schaffe. Sogar mal mit irgendwem einen blöden Scherz machen kann und gleichzeitig das Stechen im Herz spüre.    
Und auch wenn ich weiß, dass ich ja dran bin, aber ich weiß manchmal nicht, ob ich Zeit habe. Ob die Kraft reicht, bis es besser wird. Ob die Batterien nicht zu leer dafür sind.    

Diese letzte Beziehung war, als hätte man einen Deckel für den schwierigsten Topf in meinem Leben gefunden. Womit man ihn erstmal verschließen und darauf tanzen kann. Immer in dem stillen Wissen, dass das irgendwann explodieren wird. Und dass man auch eigentlich keine Ahnung hat, was da so hervor kommen wird, wenn einem das irgendwann um die Ohren fliegt. Aber das war letzten Sommer irgendwie okay. Ich habe jede Pirouette gespürt, die ich drehen durfte und dachte, es ist auch okay, wenn es die Letzten werden. Hauptsache, es war nochmal gut.

Manchmal fehlen mir die Teemomente an der Heizung. Ich glaube viel mehr könnte man aktuell nicht machen. Nebeneinander an der Heizung sitzen, Tee trinken und einfach nur spüren, dass man nicht alleine ist. Reden muss man nicht mehr. Denn zu reden gibt es nicht mehr viel. Es ist alles gesagt und alles was bleibt ist eine Schwere von man nicht weiß, wie man sie aushalten soll.

Es gibt keine Notfallkonzepte mehr. Nichts, das tragen kann, wenn es so akut wird, dass man keine Ahnung hat, wie man das machen soll. Das gibt dieses notdürftig zusammen gewürfelte Helfersystem aktuell eben einfach nicht her. Der Oberarzt hat gesagt, dass er raus ist, wenn seine Frau drin ist, was ich auch respektiere und bei ihr gibt es logischerweise keine Notfallkonzepte, weil sie die Menschen mit einer handfesten psychischen Erkrankung die zu Instabilität neigen, eben eigentlich gar nicht betreuen dürfte – deshalb hat mich der Oberarzt auch gebeten, hinsichtlich mancher Themen Vorsicht walten zu lassen.

Gestern ist mir im Spätdienst die potentielle Bezugsperson über den Weg gelaufen. „Mondkind, ich hätte ja eigentlich die Apokalypse erwartet, wenn Du und Dein Freund sich trennen“, sagt er. Mitbekommen hat er es auch schon, aber wir haben nicht darüber geredet. „Die hat es auch gegeben“, denke ich mir still. „Aber woanders. Weil das eben mit uns auch keinen Sinn mehr macht.“ Ich wirke eigentlich recht glücklich im Moment, hat er mir gesagt. Naja... - Fassadenmondkind. Von der bekommt niemand mit, wie es ihr geht. Außer die wenigen Menschen, die das zulassen können und denen ich zutraue, das ein bisschen zu halten ohne den Einbruch der Fassade gnadenlos auszunutzen.



Ich habe den ehemaligen Freund gestern gefragt, was er von einem Heizungsmoment hält. Er hat dann angerufen und wir haben kurz geredet. Und irgendwie reden wir jetzt anders als früher. Da ist wieder mehr Verbindung zwischen uns, obwohl die ja eigentlich weniger werden sollte. Und so hart wie das auch ist, bin ich so dankbar, dass er noch lebt und atmet. Das ist so ein Geschenk, wenn man das auch anders erlebt hat.
Aber so richtig verstanden hatte er das Anliegen auch nicht. Da es in meiner Wohnung nur eine Fußbodenheizung gibt (die so leidlich funktioniert), könnten Heizungsmomente nur bei ihm im Wohnzimmer stattfinden. Unter dem Fenster. Neben der Lampe. Jeder mit einem Tee versorgt.
Und auf die beiläufig nebenbei gestellte Frage, ob er denn am Wochenende etwas vorhätte, hat er mir auch erklärt, dass er gleich mit zwei Leuten verabredet ist. Und dann habe ich mich natürlich nicht getraut zu fragen, ob ich dazwischen auch noch eine Stunde Platz haben kann. Früher haben wir schon gut überlegt, ob dieses Fahrerei für ein paar Stunden Sinn macht – weil das Auto ja auch nicht mehr so viel Fahren durfte bis zur Durchsicht. Mittlerweile würde ich auch für ne Stunde fahren. Ich fahre immerhin auch für ne Stunde zur Frau des Oberarztes. Das sind nur drei Kilometer weniger. Prioritäten ändern sich. Dass man sich da Überlegungen, wie ob sich etwas lohnt heraus nehmen kann, zeugt von viel Luxus.

Ich weiß noch nicht, wie ich das Wochenende verbringe. Atmen. Und Existieren. Wahrscheinlich. Ich bin mittlerweile so müde von dem Chaos in meinem Kopf, dass ich tatsächlich die meiste Zeit in der ich zu Hause bin, entweder auf dem Sofa oder auf dem Bett liege. Selbst mal durchzuwischen, die Wäsche zu machen (die von letzter Woche ist auch noch nicht sortiert…) oder Einkaufen gehen, strengt mich immens an.
Aber ich kenne es alles. Ich habe knapp zwei Jahre Jahre so gelebt. Aber ich kann das jetzt einfach nicht mehr. Das geht nicht mehr.
Nächstes Wochenende sollte es eigentlich noch einen Dienst zu verteilen geben – vielleicht kann ich den einfach nehmen, obwohl ich auch Montag Dienst habe, da bin ich beschäftigt; da geht es mir normalerweise besser. Da sind wir jetzt also wieder. Erinnert sich noch jemand daran, wie ich meinen Urlaub so lange ständig auf der Arbeit verbracht habe, weil ich es zu Hause alleine einfach nicht aushalten konnte…?

Ich ziehe jetzt erstmal los auf die Arbeit… - mal sehen, was da heute so auf mich wartet…

Mondkind

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