Über ein Erstgespräch

Dienstag.
Viertel vor fünf fällt auf, dass morgen in der Früh eine Patientin verlegt werden muss. Nachdem ich zwei Stunden wegen ihr mit zwei Kliniken telefoniert habe. Was den Brief betrifft – keine Chance. „Mondkind, Du kannst schon gehen, wenn es sein muss, aber der Brief muss halt morgen Früh fertig sein“, sagt die potentielle Bezugsperson. Also dann – heute früher auf die Arbeit.

Ich komme trotzdem zu spät los und habe absolut keine Zeit mehr, mich zu sammeln vor dem Termin. Der Weg in die Nachbarstadt ist von einem inneren Flattern begleitet. Das Gehirn hat das noch nicht verstanden, dass wir nicht dorthin fahren und gleich erstmal dem ehemaligen Freund in den Armen liegen werden, sondern in die Nachbarstadt fahren um uns damit zu beschäftigen, wie ich zurecht komme, weil er eben nicht mehr da ist.
Mit einer Punktlandung parke ich das Auto vor einem Haus in einem Wohngebiet.

Das Gespräch verläuft, wie Erstgespräche halt so sind.
Ich habe echt viel über den verstorbenen Freund geredet ist mir hinterher aufgefallen, das war eigentlich gar nicht so der Plan, eigentlich wollte ich mehr im Jetzt bleiben und was jetzt akut bewegt. Und ich habe von realen und inneren Verlusten geredet, von Sinn – oder Sinnlosigkeit, von ganz viel Haltlosigkeit und dieser Sehnsucht danach,  irgendwo hin zu gehören. Eine Stunde Zeit ist mittlerweile auch zu wenig Zeit um zu erklären, wie ich dorthin gekommen bin, wo ich gerade bin.

Und am Ende ging es um die üblichen Psychologen – Fragen: Woran habe ich eigentlich überhaupt noch Freude aktuell (nicht viel), was ist das Ziel, das ich erreichen möchte und wie möchte ich dahin kommen?
Und das hat mich dann noch sehr lange beschäftigt und sehr traurig gemacht – ich habe so viel geweint gestern Abend - denn ehrlich gesagt: ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es nicht so bleiben kann, wie es jetzt ist. Diesen Alltag hier aufrecht zu erhalten, ist so viel mehr als ich eigentlich halten kann und das fühlt sich wie ein Orkan an, gegen den ich mich täglich stemme, aber irgendwann muss man weg geweht werden. Ich merke, dass ich kaum noch eine Verbindung zu mir habe und dem, was in mir los ist. Ich spüre das innerliche Flattern, ich spüre die Anspannung während des Gespräches, aber ich spüre auch, dass ich mich zunehmend weniger als Teil dieser Welt, weniger im Hier und Jetzt fühle, was wahrscheinlich einfach nötig ist, um alltagsfähig zu bleiben, was irgendwie doch noch die oberste Priorität hat.

Viel später fällt mir ein, dass ich glaube ich Heimweh habe. Heimweh nach etwas, das nicht mal klar definiert ist. Denn das wird kein Ort sein. Ich möchte abends nach der Arbeit einfach nach Hause kommen. Und damit meine ich nicht die leere Wohnung. Sondern an einen Ort, der lebt. An dem ich spüre, dass ich dort einen Platz habe, willkommen bin mit meinen Erlebnissen des Tages im Gepäck, mit meinen Bedürfnissen, aber auch mit der Verpflichtung, mich in ein soziales Gefüge einzuflechten.
Es nervt mich, dass jeglicher Halt aktuell wieder in vertikalen Beziehungen zu finden ist – wenn überhaupt – und man sich damit am Ende meistens auch nur weh tut. Das war schon mal anders und ich habe das so sehr zu schätzen gewusst und konnte es dennoch nicht halten. 





„Ich möchte mein altes Leben zurück“, war ein Satz, der in der Psychiatrie zu Beginn meine Dauerschleife war. Und das möchte ich in erster Linie immer noch. Das gibt mir aber niemand mehr. Diese Version des Lebens hier habe ich nicht gewählt und hier möchte ich nicht bleiben müssen und dennoch ist mir klar, dass man nicht gefragt wird, wie man es denn gern hätte.  
Es wird eben einfach nie wieder vorkommen, dass ich nach der Arbeit schnell in die Nachbarstadt düse und der ehemalige Freund und ich dann erstmal eine halbe Stunde in seinem Flur stehen, uns im Arm halten und den anderen einfach nur spüren und das Gefühl haben, dass wir uns zu lange nicht gesehen haben. Dass ich seine Lippen auf meinen spüre und dabei ein eigenartiges Kribbeln im Bauch habe. Dass er im Halbschlaf zu mir unter die Decke kriecht. Dass wir Dinge gemeinsam erleben und Erinnerungen teilen können.

Wieso müssen es immer die wichtigen Menschen sein, die ich gehen lassen muss? Und, die ich auch nicht mehr festhalten soll, obwohl ich sie immer lieben werde. Manchmal denke ich mir, vielleicht sollte ich einfach mal beim ehemaligen Freund auf der Matte stehen, aber das wäre ziemlich übergriffig und würde und beiden sicher auch nicht gut tun. Aber es war ein kurzer Gedanke gestern nach dem Termin – und nicht zum ersten Mal – wo ich doch gestern ohnehin in der Stadt war.

Ob das mit der Frau des Oberarztes etwas wird? Ich weiß es nicht. Ich habe ja nicht mal eine Ahnung, wo ich hin möchte. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, selbst minimale Ansprüche in einem therapeutischen Setting nicht erfüllen zu können, ohne die man eben einfach nicht arbeiten kann.

Die Nacht ist kurz. So, wie die meisten Nächte aktuell.
Wer hat übrigens spontan am Freitag einen Dienst geerbt? Da ist eigentlich Feiertag und ursprünglich hatte ich den dienstplanverantwortlichen Oberarzt mal um ein freies Wochenende gebeten. Da aber jetzt eine Kollegin erkrankt ist wurde ich gefragt und… - was soll ich aktuell mit drei freien Tagen? Zu Hause zu sein ist zwar theoretisch immer noch besser als Dienst zu machen, aber es muss halt besetzt sein. Schlechter Deal. Ein Wochenende mit dem ehemaligen Freund gegen einen Dienst zu tauschen. Aber es ist eben so. „Dinge die gut waren, konnten nie bleiben. Das war einfach mein ganzes Leben so“, habe ich gestern der Frau des Oberarztes geklärt. „Deshalb hat die Skepsis in dieser Beziehung wahrscheinlich auch nie aufgehört. Ich habe mich da immer ein bisschen fehl am Platz gefühlt. Als sei das ein Leben, in das ich eben einfach nicht gehöre.“ Und irgendwann wurde ich dann ja auch raus geschmissen. Ich habe mir nur immer ein bisschen gedacht, dass das dann auch okay ist, weil es dann das Letzte sein wird, das ich getan haben werde. Aber irgendetwas in mir hängt wohl zu sehr am Leben, als dass ich das endlich mal umsetzen würde. Wobei ich gern verstehen würde, was für diesen Teil, der da so unbedingt leben will der Sinn von diesem unendlichen Leid sein soll.


Mondkind


Kommentare

  1. Liebe Mondkind, ich bin seit langem eine treue Leserin deines Blogs. Gerade stecke ich in einer sehr ähnlichen Situation wie du. Ist es für dich vielleicht in Ordnung, wenn ich dich bei Instagram anschreibe?

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen