34 Monate

Mein lieber Freund,
wie geht es Dir?

Langsam werden oder sind die Bäume grün.
Ein nächster Frühling steht in den Startlöchern.
Mai ist eigentlich ein guter Monat.
Da gibt es Frühling. Und Geburtstag. Und manchmal ist es – auch wenn es nie eine großartige Feierlichkeit gibt, wie Du weißt – doch schön zu erfahren, wer noch alles an einen denkt. Und da freue ich mich oft am Meisten über einen kleinen Anruf.
Aber Mai ist eben auch der Monat, von dem in den letzten Tagen keiner mehr eine Ahnung hatte, wo Du eigentlich warst.
Laut dem, was auf Deinem Holzkreuz steht, hast Du den Wechsel in den nächsten Monat nicht mehr mitbekommen.

In den letzten Tagen habe ich mal hier auf dem Friedhof gesessen. Auf einer Bank. Irgendwann abends in der Dämmerung, als es schon ein bisschen kühl war und nicht mehr viel los war. Das soll helfen, zur Ruhe zu kommen, hatte ich gehört.
Auf gewisse Art sind es wirklich schöne Orte. So Friedhöfe. Das hätte ich nie gedacht.
Wahrscheinlich soll man das auch nicht inflationär betreiben und ich bin ja selten auf einem Friedhof, aber irgendwie ist es für mich ein Ort des bewussten Erinnerns. Und ein Ort, an dem Traurigkeit sein darf und gleichzeitig Frieden entsteht. Denn im Friedhof steckt ja schon das Wort Frieden. (Auch, wenn es sicher total falsch her geleitet ist, aber ich habe ja auch nicht Germanistik studiert…). Aber irgendwie kam mir der Gedanke letztens. Ein Verweilen auf dem Friedhof bedeutet, dass der Kampf zu Ende ist. Der, um das Leben. Derjenige aus dem Leben ein gutes Leben zu machen. Die Würfel sind gefallen und dort zu sein bedeutet den Versuch das anzunehmen, was das Schicksal entschieden hat.
Ich glaube, ich werde mich da echt öfter hinsetzen. Neben dem Friedhof ist eine kleine Bücherei, die am Wochenende zwei Stunden geöffnet hat. Da gibt es nicht so die besten Bücher, aber so ab und an kann ich vielleicht etwas finden.

Deine Mum hat mir geschrieben, dass sie wahrscheinlich umziehen muss, weil ihr Vermieter die Wohnung verkaufen möchte. Mach Dir keine Sorgen, ich habe schon angeboten ihr zu helfen. Wir rocken das, okay?



Was mich anbelangt… - Puh.
Wir hätten uns viel zu erzählen.
Ich weiß nicht mehr, was ich sagen kann.
Ich vermiss viel und hab Angst, es nicht mehr zu finden.
Ich hab Angst, dass die besten Zeiten vorbei sind.
Ich hab Angst, dass das Leben immer so bleiben wird, wie es jetzt ist. Dass es ein Überleben ist. Aber eben nicht mehr. Ich hab Angst, dass der letzte Sommer die letzte Pirouette war.

Langsam können wir es alle nicht mehr halten. Der Oberarzt, seine Frau und ich.
Und ich – ich hab das zu oft in meinem Leben durch.
Zu oft zu viel verloren. Zu oft so viel wieder aufgebaut. Immer in dem Glauben, dass Dinge vielleicht irgendwann mal bleiben können. Bis es wieder bricht.
Ich bin mittlerweile völligst woanders, als die meisten Menschen sich vorstellen. Was dazu führt, dass man selbst in ernsten Gesprächen komplett aneinander vorbei redet. Und ich kann das den Menschen nicht mal übel nehmen. Aber wenn ich sage, was ich denke, würde man mich halt wahrscheinlich auf direktem Weg in die Psychiatrie stecken. Ich glaube, Du weißt noch, dass das  sich mehr nach „Leben vor die Wand fahren“ anfühlt, als alles andere. Also versuche ich tapfer durchzuhalten. Und zu hoffen, dass die Tage irgendwann wieder heller werden, bevor mir die Kraft ausgeht.

Halt die Öhrchen steif.
Ich versuche das mal auch.
Ganz viel Liebe in Richtung Universum. Du fehlst hier immer noch sehr.

Mondkind


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