Reisetagebuch #3 Freunde

Die Stadt ist noch recht ruhig.
Ein Kumpel und ich sitzen am Wasser.
Ich bin heute mit dem Auto zur Uni gefahren. Am Ortseingang steht ein „Welcome Home“, als hätte man es für mich dort hin gestellt. Von der Uni aus bin ich mit der Bahn weiter in die Stadt rein gefahren. Es ist auf seltsame Art schön wieder in dieser Bahn zu sitzen, die vertrauen Geräusche, die Stimme, die monoton die Haltestellen ankündigt und noch genauso klingt wie damals, als ich noch dort gelebt haben. 


Der Kumpel und ich sind vorne ans Wasser gelaufen und sitzen dort eine Weile still nebeneinander, den Blick auf das Wasser gerichtet, auf den Fernsehturm daneben und auf die Frachtschiffe, die den Fluss hinauf oder hinab fahren.
„Also Mondkind, was ist denn das jetzt mit dem ehemaligen Freund?“, fragt der Kumpel.
Meine Augen sind immer noch ein bisschen verweint nach dem Telefonat von heute Morgen.
„Ich weiß es nicht. Wir hatten nicht so viel Zeit heute Morgen und irgendwie war ich dann so emotional am Telefon und habe auch echt geweint, obwohl ich das gar nicht wollte.  Es ist halt einfach alles so anstrengend mit ihm. Ich habe ihn heute Morgen gefragt, was das denn mit uns sein soll. Am Wochenende sehen wir uns, verbringen Zeit miteinander, tun so, als hätten wir uns nie getrennt, aber unter der Woche hören wir uns kaum und wenn wir gehen, verabreden wir uns auch nicht für die nächste Woche. Und dann meinte er, dass das meine Sache ist und dass ich das lösen muss. Aber das ist nicht meine Sache. Wenn ich ihn frage, was er in Bezug auf mich und uns denkt und fühlt, ob er mich noch liebt, ob er sagen kann, was das für ihn ist, was wir da miteinander haben, ob das für ihn etwas Festes ist, dann kommen immer irgendwelche Ausflüchte. Ein er habe das ja schon gesagt, oder ich müsste das ja wissen. Dabei hat er es nie konkret gesagt. Das Einzige, was ich mal gehört habe ist „Beziehung ohne Bindung“, aber wir haben ja offensichtlich eine Bindung. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass das keine Form von Bindung ist, die wir da leben. Und Beziehung ändert sich ja auch ständig. Ein einmaliges darüber reden reicht ja nicht für immer. Und dann habe ich gesagt, dass er wie eine Black Box ist und dann meinte er, dass jeder Mensch eine Black Box ist.“ „Black Boxen sind dazu da, um ausgelesen zu werden“, merkt der Kumpel an.
„Es macht halt schon einen gewaltigen Unterschied“, sage ich. „Wenn er sagt: Für mich bist Du eine nette Wochenendbekanntschaft und ich habe gern mal ein bisschen Spaß mit Dir und ich mag Dich ganz gern, aber da hört es dann auch auf – dann kann und will ich auf Dauer nicht damit leben. Wenn er mir aber sagen würde: Du Mondkind, ich bin mir da gerade auch nicht so sicher und ich muss noch einiges für mich klären und mir vielleicht auch erstmal meiner Gefühle und meiner Perspektiven im Klaren werden - dann kann ich ihm auch noch ein bisschen Zeit geben. Ich weiß nicht, ob er nur mit mir spielt, ob er mich einfach nach Strich und Faden verarscht (was ich mir bei ihm einfach nicht vorstellen kann und will, was aber bisweilen so wirkt), oder was das hier sein soll. Und das macht mich fertig.“ Und dann weine ich schon wieder.

Der Kumpel ist lange ruhig. „Mondkind, er scheint da auch massivste Probleme zu haben. Als hätte er ein riesiges Schutzschild um sich herum aufgebaut. Und wenn jemand auf so direkte Fragen nicht antworten will, dann sagt das auch etwas. Vertrauen und Wertschätzung einem anderen Menschen gegenüber bedeutet auch, sich zu öffnen. Auch, wenn es manchmal schwer fällt und Angst macht. Und er geht nicht respektvoll mit Dir um.“
Wir schweigen lange.
„Wenn er weiterhin überhaupt nicht redet, dann wirst Du irgendwann eine einsame Entscheidung treffen müssen. Es ist immer schön, wenn Menschen, die einen Weg zumindest irgendwie gemeinsam gehen auch gemeinsam überlegen, wie dieser Weg weiter geht. Ob er gemeinsam weiter geht – nur vielleicht anders, oder ob es tatsächlich besser ist, wenn jeder fortan seinen eigenen Weg geht. Aber wenn er nicht darüber redet, dann musst Du das irgendwann selbst machen. Dich belastet das doch alles immens. Es gibt Menschen, die können mit so unklaren, offenen Beziehungen leben. Aber Du kannst das nicht.“

„Sein Lieblingslied von Florian Künstler ist „Wovor hast Du Angst?““, sage ich irgendwann in die Stille. Das hat er lauter gedreht bei mir im Auto, obwohl er sonst Musik im Auto überhaupt nicht mag.“ „Auch die Polygamie spricht irgendwo dafür, dass er Angst hat, sich zu binden. Dass ihm Möglichkeiten verloren gehen. Er mag Dich sicher, aber es macht ihm Angst, dass Du eine klassische Beziehung willst. Das kollidiert mit seinem Verständnis von Freiheit.“

Gestern saß ich den Fluss ein paar Meter weiter unten mit einer Freundin. Wir haben über Verhütung und über mein mangelndes Vertrauen darin geredet. „Mondkind, Du weiß nicht, wie viele Schwangerschaftstests ich schon gemacht habe“, sagt sie irgendwann, als wäre es das Normalste der Welt. „Ich auch“, sage ich und spüre etwas Nasses in den Augenwinkeln. „Weiß der ehemalige Freund davon?“, fragt sie. „Naja das ist eh schon so ein Thema zwischen uns, wenn ich ihm das jetzt noch erzählen würde, dann würde es schon wieder krachen zwischen uns.“ „Aber Mondkind, damit kannst Du doch nicht alleine bleiben. Ihr habt beide eine Verantwortung und beide ein Problem, wenn etwas passiert.“ „Gerade warte ich schon wieder verzweifelt auf meine Tage. Manchmal sind sie etwas spät, aber ich mache mir Sorgen. Aber ein Schwangerschaftstest macht eigentlich erst nach dem Urlaub Sinn.“ „Ach Mondkind“, sagt sie, nimmt mich in den Arm und versichert mir nochmal, dass ich nicht alleine mit diesem Problem bin.

Ich mag meine Freunde schon.
Sehr sogar.
Sie haben das Potential aufzubauen. Zuzuhören. Mut zuzusprechen.
Und mir manchmal die Ohren lang zu ziehen.

„Und wenn Du das nächste Mal Sehnsucht nach dem ehemaligen Freund hast, dann fragst Du Dich mal, ob das jetzt eine gute Idee ist. Und wenn Du Zweifel hast, dann machst Du ein Date mit Dir selbst. Dann kochst Du Dein Lieblingsessen, liest danach ein Buch und trinkst einen Kakao zusammen und dann kuschelst Du Dich mit Decke und Wolldecke in Dein Bett und Du wirst sehen – danach geht es Dir immer besser.“

Und zwischendurch versinken wir einfach in der Stadt.
So wie früher.
Ziehen von Café zu Café, sinnieren darüber, wo der Kaffee am Besten ist. Und der Kumpel fügt heute „Paris“ auf seiner Reiseliste hinzu, nachdem ich von einem Parisurlaub vor Jahren erzählt habe.
Und als ich anmerke, dass ich mal eine neue Übergansjacke brauche, meint der Kumpel, dass die Studienstadt doch die ideale Gelegenheit ist. Also schauen wir uns überall nach Jacken um und obwohl ich zuerst gar keine Lust drauf habe, schafft er es doch mich zu motivieren mir eine auszusuchen. Die liegt eigentlich dezent über meinem Buget. „Du darfst jetzt die Studentenmondkind mit der Mondkind verbinden, die jetzt ihr eigenes Geld verdient und darin tanzen“, sagt er und hält mir die Jacke hin, damit ich nochmal rein schlüpfe.  „Vielleicht ist es nicht so schlecht“, sage ich irgendwann. „Ich mag sie wirklich gern. Und dass sie aus der Studienstadt kommt, ist auch irgendwie etwas Besonderes.“ „Dann ist das ja wohl jetzt entschieden“, sagt der Kumpel. „Und ich garantiere Dir, Du wirst Dich jedes Mal freuen, wenn Du sie ausführen darfst.“



Am Ende essen wir noch in einem fancy Burgerrestaurant. Es ist wirklich richtig gut.
Auf dem Weg zur Bahn springe ich noch schnell im Supermarkt rein und kaufe Öl für das Salatdressing.
Großstadtvibes. Nichts für immer, aber manchmal schwer vermisst.
Und nach einem schweren Start war das doch noch ein richtig feiner Urlaubstag. Obwohl der Weg noch weit wird. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal in so einem Beziehungsdrama lande.
Die Menschen sind das Wichtigste. Immer. Weil gute Gesellschaft alles so viel besser macht. Der beste Ort ist Nichts, wenn es dort nur Leere gibt.

Und manchmal bin ich trotz aller Traurigkeit doch sehr dankbar.
Meinem früheren Ich.
Meinem heutigen Ich.
Und allem, was da zwischen den Zeiten geblieben ist.


Mondkind

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