Von einem Wochenende

 Erstmal die besten Nachrichten vorweg – ich werde nächstes Jahr aufs Konzert gehen.
Von Florian Künstler.
Es gibt selten Geschenke, die mich wirklich völlig umhauen. Weil sie unerwartet kommen. Und dann einfach so passend sind. Weil das schon ein Wunsch war, aber nicht so richtig laut geäußert. Ich habe öfter mal herum gefragt, ob jemand mit mir auf das Konzert gehen würde, aber es hat sich niemand gefunden und alleine geht es zwar auch, aber ich mache Dinge wirklich sehr ungern alleine. Und dann hat mich am Tag nach meinem Geburtstag noch ein Brief mit den Konzertkarten erreicht.
Ich bin mir jetzt schon recht sicher, dass das einer der besten Tage des Jahres 2024 wird…




***

Leben war selten so chaotisch.
So voller innerer Unsicherheiten.
So Kopf gegen Herz. Verstand gegen Gefühl.

Dann stehen wir da.
In seiner Küche.
Seine Lippen auf meinen, seine Arme auf meinem Rücken. Ich spüre sein Herz schnell schlagen.
Ich spüre das Beben und das Kribbeln in mir, ich spüre mich aus dieser Erstarrung der letzten Tage aufwachen. Ich spüre, dass dieses Herz immer noch lebt, auch wenn es vor wenigen Tagen kurz davor war am Schmerz auseinander zu brechen.

Dieser Mann stellt mich immer wieder auf den Kopf.
„Ich habe eine verrückte Idee“, hatte er Stunden zuvor am Telefon gesagt.
Er braucht Blumentöpfe für seine Palmen. Und dafür wäre ein Auto ganz gut.
Sonntag waren wir ohnehin verabredet, um auf ein kleines Konzert zu gehen. „Dann fahre ich aber nicht Samstagabend nach Hause und komme Sonntag zurück“, sage ich.
Dann bleibe ich über Nacht.

Ist das jetzt ein Vor- oder ein Rückschritt?

Das Wochenende läuft so genau so, wie lange verloren geglaubte Wochenenden.
Obwohl die Unbeschwertheit doch sehr verloren gegangen ist.
Nur manchmal wird einem bewusst, dass wir beide und auch sonst keiner eine Ahnung hat, wer oder was wir sind.
Auf dem Konzert treffen wir eine Kollegin von ihm und er stellt mich als „seine Begleiterin“ vor. Und das ist richtig – tut aber seltsam weh.

Und doch bewegen wir uns aufeinander zu. Erleben neue Dinge gemeinsam. Wie eben zum Beispiel ein Konzert. Musik verbindet so sehr. Auch ohne Worte. Und ich spüre ganz viel Frieden in mir, als ich neben ihm in dieser Kirche sitze, ihn neben mir spüre und die Klänge der Musik in meinen Ohren habe.
Wir reden wieder mehr. Viel mehr als am Ende. Letzte Woche haben wir stundenlang telefoniert und auch am Wochenende gab es das ein oder andere gute Gespräch. Ich bin schon dankbar für diese Alltags – Gespräche. Und noch mehr über die Gespräche über uns, darüber was uns bewegt.

Ich weiß nicht, was er so denkt oder fühlt, aber ich werde diesen Mann immer lieben. Natürlich hat er seine Macken – sogar ne Menge davon, aber irgendetwas hat er an sich, das ich nicht erklären kann.
Und ich glaube langsam – die Sache mit der Liebe – das ist das Irrationalste überhaupt. Ich kann schon nachvollziehen, wie die Menschen um mich herum dazu kommen, mich zu warnen. Aber das ändert meine Gefühle ihm gegenüber nicht.

Ich hab keine Ahnung, wohin wir gehen.
Ob dieses Privileg mit diesem Mann eine Beziehung führen zu dürfen, für immer vorbei ist.
Ob das jetzt für immer so bleibt, dass wir offiziell nicht mehr sind als zwei Menschen, die sich kennen und inoffiziell all das tun, das wir auch früher zusammen getan haben. Ob das immer so bleiben wird, dass wir Dinge nicht mehr gemeinsam planen und so tun, als wäre es Zufall, wenn wir Zeit füreinander finden. Aber dann werden wir eben nicht mehr zufällig mal gemeinsam in den Urlaub fahren. Jetzt haben wir genau die Situation wie letztes Jahr. Zumindest von meiner Seite aus. Er ist in Italien und ich habe zwar sogar zur selben Zeit Urlaub, bin aber in der Studienstadt.
Wir machen uns das Leben schwer, finde ich. Ich glaube wir Zwei zusammen mit Möhrchen in die Toskana – das wäre wahrscheinlich von meiner Seite aus ein Abenteuer, über das ich in ein paar Jahren noch reden würde.

Und ich weiß noch nicht, was ich damit soll.
Ist das ein Übergangskonzept, bis wir beide einen neuen Partner gefunden haben?
Ist das ein Mitnehmen guter Momente – diejenigen, die wir eben noch generieren und reaktivieren können? Ist es das, was ich mir so gewünscht habe hinsichtlich des verstorbenen Freundes? Einfach nochmal einen Tag zusammen verbringen, zu erinnern, nachzuspüren, sich zu erinnern, wie viel Glück das war, als das noch Realität war und gleichzeitig den Moment zu genießen, der eben noch da sein kann.

Ich bin verwirrt.
Würde ich sagen.
Und ich trau mich nicht das anzusprechen, weil ich Angst habe, dass es ihn verschrecken könnte. Er war so schnell damals und vielleicht doch selbst viel zu unsicher. So verstrickt in seinen Idealen, wie Beziehung zu sein hat; wir haben so viel darüber geredet am Anfang und ich hatte schon damals meine Skepsis, ob wir seinen Idealen standhalten werden. Weil Beziehung auch wenig mit Ideal zu tun hat. Glaube ich.
Und vielleicht müssen wir uns einfach Zeit geben und in der Zeit auch nicht darüber reden wer oder was wir sein wollen. Vielleicht müssen wir das fühlen irgendwann, vielleicht wird es dann klar, ohne dass wir Worte dafür brauchen. Vielleicht müssen wir geduldig sein und die Zeit ein bisschen für oder gegen uns arbeiten lassen. Und vielleicht soll ich in der Zeit einfach meine Fühlerchen einklappen und glauben und hoffen, dass das etwas wird. Und auch vorbereitet darauf sein, dass es eben nichts werden könnte.


 ***

Ansonsten: Die Woche wird noch ereignisreich. Donnerstag einen Dienst - und ich weiß nicht, was da noch passieren soll; ich habe gestern im Spätdienst schon wieder einen auf die Intensiv gelegt. Langsam habe ich aufgehört zu zählen, wie viele Patienten das waren die letzten Wochen; der Oberarzt von der interdisziplinären Intensivstation und ich haben gestern festgestellt, wir sehen uns viel zu oft. 

Morgen ist zudem noch Vorstellungsgespräch in der Psychosomatik hier am Standort; da bin ich auch echt ein bisschen aufgregt. Und heute treffe ich mich noch mit meinem Intensiv - Oberarzt und wir besprechen mal ein bisschen, was hier die letzten zwei Wochen los war. Ich glaube, er ist so ziemlich der einzige Mensch, mit dem ich mir aktuell vorstellen kann, darüber zu reden. Über dieses Doppel- und Dreifachleben, das ich hier führe. 

Mondkind

Kommentare

  1. Das klingt wirklich chaotisch. Aber wäre es denn nicht theoretisch möglich, doch noch gemeinsam nach Italien zu fahren? Vielleicht tut das dir bzw. euch ja sogar gut...

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    1. Naja tatsächlich haben wir einen Tag versetzt Urlaub, sodass es sich nur zu 99 % ausgeht. Und dann ist das eben auch mit geplanten Veranstaltungen, zu denen man hätte angemeldet sein müssen. Es ist jetzt halt so... - kann man nicht ändern. Ich versuche es mir in der Studienstadt schön zu machen; Ihr bekommt sicher ein Reisetagebuch...

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    2. Aber hast Du denn mit ihm darüber gesprochen? Den einen Tag versetzten Urlaub wird wohl doch nicht so ein Problem sein, ......Aber vielleicht ist es besser so, ich würfe echt Acht auf Dich geben! Ich überöege durch Dich angeregt und auch Durch meine eigenrn Erfahrungen, ob rs ein Konzept gibt von Freundschaft-Plus inkl. Treue (oder eben "Beziehung ohne Bindung"), ich denke solange da niemand anders auf der Matte steht, wird das gehen irgendwie...Aber tut es nicht verdammt weh, dass es nicht mehr 100 Prozent ist? Knanst DU diesem Schmerz Ausdrucl verleihen? Ich habr einfach die Befürchtung, dass es in eine.Kränkung/Verletzung führt- schlaft er denn.nun auch nebenbei mit anderen Frauen? Und vertraust Du ihm da? Alöes Liene trotzfem, wirllich!

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    3. * Alles Liebe Dir, trotzdem! Lg N.

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    4. Naja so richtig gesprochen darüber haben wir nicht. Aber es ist mit auch extern geplanten Reisen eben auch schlicht nicht möglich. Sowohl der der Organisation der Reise her, als auch vom Urlaubsplan. Da sind die streng bei uns. Einfach so verschieben geht nicht, weil der Personalplan immer auf Kante genäht ist. Auf der Intensiv letztes Jahr war das tatsächlich anders, da haben wir ja auch noch viel Urlaub übereinander bekommen, obwohl die Urlaubspläne zu dem Zeitpunkt an dem wir uns kennen gelernt haben, ja schon geschrieben waren...
      Abgesehen davon... - wie Du schon sagst... - langsam. Sehr langsam.

      Tja weißt Du, ich habe mich mit alternativen Beziehungsmodellen auch nie auseinander gesetzt, aber auch deswegen, weil es bisher nicht nötig war. Ich hatte mein Modell von Beziehung im Kopf, aber vielleicht muss man manchmal echt umdenken und das immer wieder neu für sich prüfen, ob das so passt. Ich befürchte, so wie es mal war zwischen uns beiden wird es tatsächlich nie mehr werden. Und ich weiß auch, dass sich so nicht mein großer Wunsch nach der Gründung einer Familie, wenn die Zeit dafür gekommen ist - also nach meinem Facharzt - nicht umsetzbar ist. Und spätestens dann stellt sich die Frage nach Parnterschaft, Treue und Exklusivität neu. Ich möchte kein Kind in eine so unsichere Beziehung setzen; das finde ich schon egoistisch. Ich möchte, dass mein Kind eine Mama und einen Papa hat und die sich im besten Fall lieben, eine feste und starke EInheit sind und so verbunden sind, dass das Kind nicht glaubt, sich entscheiden zu müssen. Ich weiß, wie schlimm das ist. Ich weiß auch, es gibt keine Garantien. Selbst in einer gut laufenden Beziehung nicht. Aber es würde sich für mich nicht richtig anfühlen, diesen Schritt zu gehen solange wir nicht zumindest am Anfang so sicher sind, wie wir eben sein können.
      Und sonst... - ich muss mich manchmal dran erinnern, dass ich vom verstorbenen Freund auch viel gelernt habe. Vor allen Dingen, dass wir eben nie wissen, was morgen ist. Und es fällt mir oft schwer, mir das immer wieder klar zu machen, weil ich gern am liebsten schon immer drei Jahre voraus planen würde. Wenn die Beziehung grad für uns okay ist, dann ist es doch okay und wenn sie es morgen nicht mehr ist, dann hatten wir zumindest die guten Momente von heute. Vielleicht finden das manche zu pragmatisch, manchmal finde ich das auch. Aber so versuche ich das gerade zu sehen. Und ja, das tut manchmal sehr weh. Und manchmal weine ich viel darüber. Und trotzdem können wir keine Momente festhalten. Vielleicht ist da nicht sinnvoll, sich um die guten Momente zu bringen nur aus Angst vor dem Morgen.

      Ich weiß es nicht. Ich bin da auch gerade sehr unsicher. Mein Umfeld hält mich für hochgradig bescheuert. Aber das ist auch nicht das erste Mal. Ich weiß nicht, ob ich mein Beziehungsleben, so wie es jetzt gerade ist, empfehlen kann. Aber vielleicht hat das auch etwas mit Ausprobieren zu tun. Ich hab spät angefangen mit solchen Dingen. Manchmal komme ich mir aktuell vor wie ein Teenager, obwohl ich eben schon 30 bin.
      Die Zeit wird es zeigen, ob es so machbar ist. Für uns beide.

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