Von einem Wochenende

Wir sitzen am Wasser.
Ich gebe mir Mühe halbwegs auf der Höhe zu wirken, aber es strengt mich sehr an.
„Aber Du wirkst gar nicht traurig“, sagt er.
„Eine Depression hat auch wenig mit Traurigkeit zu tun“, entgegne ich. „Das glauben immer alle und es mag auch sein, dass es mit einer Traurigkeit los geht, aber irgendwann ist da einfach nur noch Leere.“
„Und was würdest Du sagen, wie es Dir geht?“
„Das ist irgendwie so ein Derealisationserleben. Du schaust Dir selber zu, wie Du einfach nur funktionierst. Es ist ganz schwer zu beschreiben. Wie so ein Film und Du hast selbst keine Ahnung, was der Protagonist, der ja Du selbst bist, als nächstes tun wird. Weil Du einfach wie so ein Papierschiff umher geweht wirst, dahin wo der Widerstand am geringsten ist. Wo Du nichts tun musst, um dorthin zu fahren, weil Du ja auch keine Energie mehr hast, weil Du so leer bist, dass Du kaum noch Entscheidungen treffen kannst. Und egal wie sehr Du Dich bemühst Dir zu sagen, dass es schon okay ist, egal wie sehr Du Dich versuchst aus diesem Kokon zu befreien, der Dich fast zerquetscht, das funktioniert einfach nicht. Du fühlst den Frühling nicht, das Leben nicht, das fühlt sich an, als wärst Du schon innerlich gestorben.“

Und während wir da so sitzen wird mir klar, dass ich ein Mensch voller Geheimnisse geworden bin. „Es gibt nicht viel Neues“, sage ich den Menschen, die fragen. Weil das so kompliziert geworden ist. Weil ich Dinge tue, die ich nie tun wollte. Weil ich ein Mensch bin, der ich nie sein wollte.

***

Kirschblüten... ;)

Ich düse über die Landstraßen, Alexa Feser laut aufgedreht.
Wie damals.
Möhrchen ist jetzt ein Jahr bei mir und es muss ziemlich genau ein Jahr her sein, dass ich das erste Mal alleine in die Nachbarstadt gefahren bin. Generalprobe, bevor ich das ein Mal in der Woche tun würde, um zur Therapie zu gehen. Zumindest war das damals noch der Plan.

Ich weiß nicht, was jetzt der Plan ist.
Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich weiß, was ich da tue.

Vielleicht will ich es nochmal wissen.
Wie fühlt sich das an, wenn man verliebt ist?
Und ist das gerade reproduzierbar?

Der Wald ist grün geworden mittlerweile.
Mein größter Wunsch letzten Herbst war, dass wir im nächsten Jahr gemeinsam erleben, wie die Natur wieder aufsteht. Und obwohl jetzt alles anders ist, sitzen wir ja immer noch hier. Nebeneinander. Seine Hand auf meinem Schoß.
Und dennoch ist nichts wie früher. Ich spüre immer noch eine Anziehung, aber ich spüre mein Herz nicht mehr. Vielleicht hat es nach all den Wochen und Monaten, in denen es gefühlt immer wieder gebrochen ist, doch begriffen. Begriffen, dass es kein „wir“ mehr gibt. Oder es ist so leer, dass es die Ideen aus dem letzten Frühling nicht mehr fühlt. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert oder traurig sein soll, dass es sich nicht mehr anfühlt wie damals und dass ich ziemlich sicher bin, dass das in dem Ausmaß nie wieder zurück kommen wird. Weil ich es mich auch nicht mehr trauen würde, nochmal zu vertrauen.

Später legen wir uns ein bisschen hin, weil ich immer noch super erschöpft bin und ich schlafe prompt in seinen Armen ein. Scheint immer noch ein sicherer Platz zu sein.
Es ist immer noch schön, in seinen Armen wieder wach zu werden. Aber es ist nicht mehr,  wie es mal war. Weil es eben auch nicht mehr so sein sollte.
Mir wird klar, dass wir eben auch nie wissen, wann das letzte Mal sein wird. Und, dass das vielleicht auch nicht wichtig ist. Weil wir es eh nie wissen. Es gibt keine Garantien im Leben und schon mal gar nicht im zwischenmenschlichen Bereich.
Ich würd gern so viel sagen an diesem Nachmittag, es gibt so viel zu besprechen, aber ich finde die Worte wieder nicht. Wie so oft in letzter Zeit.

Wir halten uns bestimmt seit zehn Minuten im Arm. Vor dem Gehen.
Jede Faser von mir saugt ihn auf. Sein schlagendes Herz. Der Geruch seines Pullovers. Seine Hände auf meinem Rücken.
Ich frag mich, wann und ob wir uns nochmal sehen werden.
„Willst Du noch ein bisschen Bolognese mitnehmen?“, fragt er.
„Dann habe ich doch schon wieder eine Dose von Dir“, entgegne ich.
Lieber wir haben keine Gegenstände vom anderen mehr...

Meine Schwester hat mich letztens gefragt, ob ich mir denn irgendetwas zu Geburtstag wünschen würde, wenn ich es mir aussuchen dürfte.
Und abgesehen davon, dass dieser Tag ohnehin sehr sang- und klanglos vorüber ziehen wird, wird mir in den Moment auch klar, was ich mir wünschen würde.

Und während ich nach Hause düse wird mir bewusst, dass Beziehungen nicht so einfach reproduzierbar sind. Dass das immer noch ein Wunder ist und bleibt. Und dass es nichts nützt, wenn die Herzen nicht wenigstens am Anfang schlagen. Und auch das ist – wie wir ja gesehen haben – keine Garantie. Je mehr ich erlebe, desto sicherer bin ich mir, dass ich so etwas wie mit diesem Menschen, mit dem ich eben noch in seiner Küche stand, nicht mehr erleben werde. Und trotzdem werde ich mich nie aufhören zu fragen, wie das gewesen wäre, wenn wir irgendwann unser Leben geteilt hätten und eine kleine, feine Familie gegründet hätten. Ich glaube immer noch, es hätte gut werden können. Wenn wir beide hätten dran glauben können.
Er ist nicht mehr traurig, sagt er. Und irgendwie tut das seltsam weh. Obwohl es gut für ihn ist. Ich wünschte, ich könnte das auch irgendwann mal abhaken.

Mondkind

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