Zwischen der Zukunft und dem Ende

Manchmal weiß ich wirklich nicht, was ich los ist.
Was ich denken soll.
Ob es etwas wie Zukunft geben kann.
So sehr, wie ich auch manchmal versuche daran zu glauben.
 
Gestern.
Bei der Frau des Oberarztes.
 
Es geht um das Thema Partnersuche.
Ich weiß nicht, ob das heute normal ist, sich mit unzähligen Männern auf einen Kaffee zu treffen und zu schauen, ob man da irgendein Gefühl im Bauch hat. Und wenn nicht, dann versucht man es halt mit dem Nächsten. Man dürfe da keine Zeit verlieren. Das Glück – so Ihre Meinung – hätte man auf diese Art schon der Hand.
„Frau Mondkind, wenn Sie wirklich noch eine Familie gründen wollen, müssen Sie sich langsam beeilen. Sie sind bald 30, so viel Zeit haben Sie nicht mehr.“
Ich bin mir nicht sicher, in welchem Film ich gerade bin. Vielleicht funktioniert das auch einfach so, wie sie sagt – meine Erfahrungen sind da ja eher schmal. Ich hatte so im Alltag zwei Mal ein Gefühl im Bauch; ein Mal mit dem verstorbenen Freund und ein Mal mit dem Freund, der sich von mir getrennt hat. Und irgendwie ist es seltsam komisch darauf hingewiesen zu werden, dass ich mich doch langsam beeilen soll. Unrecht hat sie nicht; das stimmt schon. Aber ich befürchte manche Dinge kann man nicht beschleunigen. Und hat sie eben auch – meiner Meinung nach – nicht vollständig selbst in der Hand. Weil dazu eben zwei Menschen gehören. Ich würde mal sagen alles, für das ich selbst verantwortlich war, habe ich schon einigermaßen hinbekommen mit viel Durchhaltevermögen. Aber das mit der Partnersuche funktioniert halt nicht im Leistungsprinzip. Glaube ich.
 
Als nächstes geht es um den allgemeinen Gemütszustand.
Ich weiß überhaupt nicht mehr, wie ich ihr das erklären soll. Der Oberarzt hatte ja gebeten, mich ein bisschen zurück zu halten und das versuche ich auch. Ich spreche vom „Krieg im Kopf“ und frage mich schon, ob das zu viel ist. Als ich das vor anderthalb Jahren in der Psychosomatik so gesagt habe, saß ich danach bei der leitenden Psychologin und wir haben über eine Verlegung in die Psychiatrie geredet. Aber die Frau des Oberarztes steht da komplett auf der Leitung. Also rede ich. Von dem Versuch eine Zuversicht zu finden, den Glauben nicht zu verlieren, dass das Leben irgendwann wieder okay wird. Und von der Leere, der Sinnlosigkeit, der tiefen Erschöpfung und Müdigkeit auf der anderen Seite. Davon, dass ich so oft das Gefühl habe, komplett neben mir zu stehen.
Sie hat keine Ahnung, was ich ihr eigentlich sagen möchte. Ist der Meinung, dass ich wohl ein bisschen mehr Farbe im Leben bräuchte. Ihre Idee ist, dass ich mir doch mal ein rotes T – shirt kaufen könnte und mich damit vor den Spiegel stellen könnte. Und nachspüren könnte, ob das einen Unterschied macht mit einem grauen T – shirt zum Beispiel. Und einen Plüsch – Vogel gibt sie mir auch noch mit. Mit gelben Flügeln. Vielleicht hebt der die Laune am Schreibtisch ein bisschen an, sagt sie.
 
Ich will sehen, dass wir uns irgendwie bemühen.
Aber wir finden nicht zusammen.
Ich glaube kaum, dass mich aktuell noch rote T – shirts und Plüschvögel retten werden.

Irgendwann fragt sie, ob der ehemalige Freund wirklich so sehr meine Stimmung gehoben hat.
„Ich glaube, es geht um eine Einstellung. Es war nicht alles gut im letzten Jahr, aber ich konnte glauben, dass die Richtung stimmt. Er hat mir den Glauben an das Leben zurückgegeben. Es war klar, dass der Weg noch weit wird, aber die Mondkind – Ziele schienen irgendwie erreichbar. Ich wollte glauben, dass es doch noch ein gutes Ende gibt. Und da war es viel einfacher, die schwierigen Dinge in Kauf zu nehmen, sich mit denen auseinander zu setzen und die irgendwie zu lösen. Dafür fehlt halt gänzlich die Motivation, wenn es überhaupt kein Licht am Ende des Tunnels gibt“, erkläre ich irgendwann. „Und ich habe manchmal das Gefühl, eine Einstellung ändert sich nicht auf Knopfdruck. Auch wenn mir das irgendwie die Wenigsten glauben – aber ich vermisse die guten Tage. Sehr sogar. 





Später düse ich über die Landstraßen heim.
Die Wegränder sind wieder grün.
So, wie ich diese Straßen kennen gelernt habe, im letzten Frühling.
Ich kann mich an all die Zweifel erinnern. Ob eine Mondkind nicht viel zu kaputt, viel zu naiv ist, um eine Beziehung zu führen. Wo ich doch gar keine Ahnung hatte, wie das eigentlich geht und alles was ich je getan habe nach dem letzten Ende komplett in Frage gestellt habe. Wo ich irgendwie das Gefühl hatte, ich muss mich ein bisschen von ihm lenken lassen, von ihm lernen und gleichzeitig die Antennen auf Hochleistungsempfang stellen, um alles zu spüren, mitzubekommen.
Nachdem dieses Wunder in mein Leben gefallen war, wollte ich versuchen es so gut wie möglich zu beschützen, ohne es einzuengen und zu zerquetschen.
Ich kann mich an den Gedanken erinnern, an die Frage, ob das nicht alles nur noch schlimmer machen wird. Wenn es wieder nicht funktioniert. „Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, die Dinge auszuprobieren. Es wird nicht besser, wenn ich noch drei Jahre über das Thema Beziehung und wie die wohl zu führen ist, rede“, habe ich irgendwann mal zu ihm gesagt. Vielleicht auch ein bisschen zu mir selbst, um mir nochmal Mut zu machen.

Wenn wir uns heute gegenüber stehen, ist es irgendwie komisch.
Wir sind uns so fremd geworden, tanzen umeinander.
Und wenn wir uns so ansehen, dann frag ich mich manchmal, ob er es auch noch vermisst. Ein gegenseitiges an – die – Nase – stupsen und ein nachfolgender Kuss. Eine feste Umarmung, bis jede Faser meines Körpers nur noch ihn gefühlt hat. All die Male, wo ich in ihn eingerollt, eingeschlafen bin. All die Intimität, die wir hatten.
Wir reden nicht mehr drüber. Als wäre das alles nie passiert. Und hätte keine Narben auf der Seele hinterlassen. Weil es heute so sehr fehlt. Weil dieser Mensch noch lebt und atmet und all das, was diese Beziehung ausgemacht hat, trotzdem nicht mehr da ist.

Ich habe nochmal versucht, alle alten Helfersysteme anzukurbeln über die letzten Tage.
Es funktioniert genau nichts.
Der sehr geschätzte Herr Psychiater ist im Urlaub.
Mal sehen, ob Frau Therapeutin aus der Studienstadt sich meldet; ich habe einfach nochmal erwähnt, dass ich Ende des Monats in der Stadt sein werde (wenn ich das noch erlebe; das habe ich natürlich nicht rein geschrieben).
Ich bin gestern bei der potentiellen Bezugsperson rein gehüpft, die mir deutlich zu verstehen gegeben hat, dass er der Meinung ist, es gehe mir eigentlich ganz gut und ich würde das nur ganz gern sagen, dass es nicht gut läuft. „Eigentlich Mondkind möchtest Du nicht, dass es Dir gut geht.“ Er hat das letzte Jahr mit mir nicht erlebt; da war ich auf der Intensiv und wir hatten schon kaum noch Kontakt; ansonsten kann ich mir nicht erklären, wie man zu solchen hirnverbrannten Äußerungen kommt.
Ich habe – wie vom Oberarzt vorgeschlagen – mein Hasenherz zusammen genommen und die Ambulanzen hier abtelefoniert. (Ich hasse telefonieren). Die haben keine Ärzte und keine Psychologen und können sich keine Neuaufnahmen leisten. Herzlichen Glückwunsch.

Der Krieg im Kopf wird unterdessen jeden Tag ein bisschen heftiger ausgefochten. Führt zu langen Nächten, vielen Kopf- und Ohrenschmerzen. Und zu viel Angst.
Und ich glaube, selbst der „ich will Leben“ – Teil versucht langsam Frieden mit der Situation zu finden. „Du hast doch immer gesagt Mondkind, dass Du möchtest, dass es noch ein Mal okay wird. Es gab nie eine Aussage darüber, wie lange der Zustand anhalten soll. Und es war doch okay. Es hat sich doch gelohnt. Dieses lange Durchhalten. Es hat Dir den letzten Sommer gebracht. Hat Dir nochmal so viel Farbe ins Leben gebracht, wie Du davor nie hattest. Ich glaube, jede Faser Deines Seins hat diese Momente aufgesaugt und im Herzen gespeichert. Und damit meine ich nicht nur die Zeit mit dem Freund, sondern auch wie Du Dich selbst und die Welt gesehen hast. So verbunden, so geerdet und ein Gefühl dafür, wie groß, bunt und schön diese Welt ist. Wie viele Möglichkeiten es hat, wenn es okay ist.
Und jetzt ist es eben nicht mehr okay und ich spür, dass wir alle keine Kraft mehr haben. Du hast jetzt fünf Monate gekämpft und trotz viel Unterstützung ist es – wie wir gestern festgestellt haben mit der Frau des Oberarztes – tendentiell schlechter geworden. Du kannst das alles nochmal machen. Das wird wieder in der Psychiatrie enden, wenn hier nicht bald irgendetwas passiert. Das wird wieder ein wochenlanges Fehlen im Job bedeuten; das wird wieder dazu führen, dass die Menschen das Vertrauen in Dich verlieren, dass Du monatelang darauf kämpfen musst, dass man Dich als Assistenzärztin ernst nimmt und als zuverlässig einstuft. Du fängst wieder komplett von vorne an. Und ich bin mir nicht sicher, ob sich das nochmal lohnt.“

Ich denk viel an die Menschen die bleiben werden und die das nicht verstehen werden. Weil man glaube ich diese Welt, in der ich gerade bin, kaum nachvollziehen kann. Der letzte Sommer hat mir gezeigt, wie schwer es ist von einer Position in der man fest im Leben steht das Denken der Menschen nachzuvollziehen, die genau das nicht tun.
Ich würde versuchen es zu erklären, aber trotz aller Wortgewandtheit würde es mutmaßlich kaum einer verstehen.

Ich hab mich gestern gefragt, ob die Frau des Oberarztes und ich sich nochmal sehen werden. Ob ich eine Chance habe, ihr ihren Plüschvogel wieder zu bringen. Ob ich den Herrn Oberarzt nochmal sehe. Ob ich wirklich Ende des Monats nochmal am Fluss stehen werde. Wenn alles läuft wie geplant, sogar vielleicht genau am Todestag des Freundes. Zumindest dem, den man vermutet. Ich glaube ja, dass das einige Tage eher gewesen sein muss.

Manchmal denke ich mir, vielleicht halte ich zumindest noch irgendwie durch, bis der Herr Intensiv – Oberarzt wieder da ist. Das dauert vielleicht noch anderthalb Wochen, bis ich wieder bei ihm sitze, im Zweifel Zwei. Das ist gerade unter den aktuellen Umständen irre lang, aber vielleicht geht es irgendwie. Und vielleicht kann ich versuchen, mich mit ihm auf das Thema Psychiatrie nochmal einzulassen. Wir haben mehrfach darüber geredet. Wenn er mich hinbringt. Und irgendwie versucht dem Chef zu erklären, dass meine letzte Idee ist, ihn zu ärgern. Ich pack das gerade nicht, mich mit ihm auseinander zu setzen. Die Laune ist so schlecht im Moment auf der Arbeit wegen Unterbesetzung und Krankheit. Für den Chef macht es am Ende wenig Unterschied, ob ich gar nicht mehr da bin oder in der Psychiatrie und ich will einfach dieses „Die Mondkind macht Urlaub in der Psychiatrie“ nicht mehr hören. Ich kann das einfach nicht mehr. Ich schäme mich so sehr dafür und es ist immer wieder dieselbe Reaktion. 

Das Wochenende wird auf jeden Fall erstmal ruhig. Eigentlich wäre ich verabredet gewesen, aber das geht nicht. Das packe ich gerade nicht - vor allem, weil dieser Mensch auch noch halb - fremd ist. Wenn, da könnte ich nur irgendwo sein, wo ich mich sicher fühle. Zwar ist das auch nicht so geschickt, das ganze Wochenende alleine zu sein, aber Besuch geht eben gerade nicht.

Mondkind

 

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