Das Jetzt als einzige Realität


Ich habe heute Nacht nochmal eine Weile über das PJ in der Neuro nachgedacht.
Das Problem ist, dass ich immer mehr erkenne, dass das „Jetzt“ die einzige Realität ist, die wir haben. Und dadurch, dass ich immer der festen Überzeugung war, dass in der Neuro alles besser wird, habe ich zwei Jahre lang teilweise in einer sehr dunklen Realität gelebt, so viel ausgehalten und so viel durchgestanden und jedes Mal, wenn die Frage aufkam, ob man nicht doch den Fokus darauf richten sollte, dass es jetzt besser wird, habe ich argumentiert: „Ja, aber die Neuro…“ Das war schon in der Ambulanz und auf der Station der Insider.
Wenn man ehrlich ist, war es ja schon bei der Entlassung aus der Psychiatrie, spätestens ein paar Tage danach klar, dass das es nicht wesentlich besser funktionieren wird, als vor der Klinik. Ich bin wirklich nicht stolz darauf, aber ich habe am Ende teilweise in den Visiten die aktuelle Lage arg geschönt und manche Dinge nicht angesprochen, von denen ich weiß, dass ich sie hätte ansprechen müssen. Das Team wollte mich ja auch noch nicht so richtig gehen lassen. „Ich weiß gar nicht, warum wir Sie jetzt entlassen“, hatte er Ergotherapeut gesagt und der Stationsarzt hatte ein paar Tage vorher angemerkt, dass er sich große Sorgen macht, dass es schief geht. Aber… - die Neuro. Ich wusste, wenn ich jetzt nicht die Füße aus dieser Klinik setze, verschiebt sich das noch weiter nach hinten und irgendwann wird es denen in der Neuro vielleicht auch zu bunt, oder es wollen doch mal ein paar mehr Studenten an diese Klinik.

Es gab zwischen der Entlassung und dem Jetzt immer wieder Situationen, in denen sich die Behandler und ich einig waren, dass die Klinik der bessere Aufenthaltsort für mich wäre und man die Sache dann vielleicht mal langfristig besser in den Griff bekommt. Und nicht einfach nur die Karre wieder aus dem Matsch zieht, damit sie dort ein paar Wochen später wieder drin steckt. 



Und jetzt hat die Neuro die Aufgabe, all das aufzuwiegen. Das kann nicht funktionieren. Natürlich hat man als PJler mehr Angst, weil man teilweise das Gefühl hat nicht zu wissen, was man da tut. Man muss sich viel überwinden und viel lernen, sich ständig auf neuen Stationen integrieren und mit neuen Kollegen arbeiten, die wieder andere Arbeitsabläufe haben und bei denen die Briefe wieder andere Schwerpunkte setzen. Dass das ab und an frustriert, weil Dinge, die auf der einen Station richtig waren nun falsch sind, ist doch logisch. Und überall dort wo Menschen miteinander arbeiten, kann hin und wieder auch Spannung in der Luft liegen – ich reagiere da halt sehr empfindlich.  
Und wenn man ehrlich ist – in der Chirurgie an der Uni - Klinik werde ich mich noch zurück in diese Zeiten sehnen. Da gibt es keine Mittagspause und die Studenten werden für das Krankenhaus so effektiv wie möglich eingesetzt. Morgens Stationsarbeit, ab dem Mittag OP mit open end, erzählte mir eine Kommilitonin. Und dazu noch der raue Ton im OP…  - da werde ich die eigenen Grenzen schnell erreicht haben. Oder die Ärzte begreifen, dass sie mich zwar ruhig kritisieren, aber nicht anschreien dürfen – dann bekommt die PJlerin eine Panikattacke und kann  leider keine Haken mehr halten. (Mein Fahrlehrer hatte das damals schnell begriffen, dass er das Auto zehn Minuten vom Beifahrersitz aus fahren darf, wenn er im Auto herum brüllt…). Klar  da muss ich auch ein bisschen an mir arbeiten, nicht so empfindlich zu sein. Nun will ich ja in der Chirurgie auch nicht arbeiten – eigentlich können die von mir also halten, was sie wollen, solange am Ende die PJ – Bescheinigung unterschrieben wird, aber für mich ist das natürlich trotzdem nicht schön.

Für mich steht jetzt einfach die Frage im Raum, ob man nicht spätestens jetzt den Fokus mehr auf das „Jetzt“ legen soll. Ich erkenne mehr und mehr, dass es sich all die Jahre nicht wirklich gelohnt hat, das nicht zu tun. Man kann lange an etwas festhalten – es kommt meistens anders als man denkt. Und mit der instabilen Psyche ist die Welt ohnehin selten bunt – ich glaube, das könnte auch das beste Team im Krankenhaus nicht retten.
Wahrscheinlich war es einfach die falsche Reihenfolge: Erst muss ich gesund werden und wenn ich stabiler bin, macht auch die Arbeit mehr Spaß und mich schmeißt nicht mehr alles aus der Bahn. Und mein Kopf ist vielleicht auch nicht mehr primär damit beschäftigt nach Ankern zu suchen, sondern ich kann mich wirklich voll und ganz auf den Job konzentrieren.

Heute der Tag lief auch schon wieder etwas besser. Man hat mir zumindest mal Bescheid gesagt, wann Visite ist, ich durfte einen Patienten aufnehmen und beim EMG zuschauen. Eigentlich hätte ich heute auch wirklich mal eine Lumbalpunktion machen dürfen, aber es war dann schon spät und man hatte es eilig – und ich wäre natürlich nicht halb so schnell gewesen wie die Kollegen.

Heute morgen hat mich der Neuro – Oberdoc angesprochen. Morgen ist „Wochen – end – Gespräch.“ Wahrscheinlich wird er dann auch wieder ankündigen, mich bald auf eine andere Station versetzen zu wollen. Ich weiß auch noch nicht, was ich ihm erzählen werde. Ich möchte mal ein Gespräch ohne viel Dramatik führen. Natürlich weiß er, dass ich mir von der Neuro viel erwarte und da auch sehr kritisch bin. Aber vielleicht sollte ich nicht so viel versuchen zu erklären, sondern einfach sagen, dass es einigermaßen läuft, ich mir aber wünschen würde, an manchen Stellen mehr eingebunden zu werden.

Jetzt wartet noch der abendliche Parkspaziergang auf mich…

Mondkind


(P.S. Für die, die es interessiert: Ich habe heute mal in der Ambulanz angerufen und die konnten mir erst in der zweiten Januarwoche einen Arzttermin geben. Na Prost – Mahlzeit, was die Diskrepanz der zu überbrückenden Tage und den Vorrat an Medikamenten angeht… )
 

Bildquelle: Pixabay

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