Kein Greifen nach der Boje
Im Grunde hat jede Geschichte
ein gutes Ende.
Du musst nur entscheiden, wo Du
aufhörst zu erzählen.
Es war ein anstrengendes Wochenende. Ich habe so viel im Kreis gedacht,
dass ich am Ende gar nicht mehr wusste, wo mir der Kopf steht. Am Freitag habe
ich einen Termin in der Ambulanz. Aber wieder Donnerstag durch halb Deutschland
zu gurken und am Sonntag wieder runter? Das Problem ist halt – ich brauche
diesen Termin, aber ob ich das schaffe?
Und irgendwie taten sich Lösungen auf. Ein Freund wollte sein Auto
abholen, das hier in der Nähe noch von der Zeit vor seinem Umzug steht und es zurück
in die Studienstadt bringen, wo er jetzt wieder wohnt. Wir hätten es verbinden
können. Nachdem der Neuro – Oberdoc sich für mich eingesetzt hat, dass ich noch
eine Woche auf der Stroke Uni bleiben darf, wollte ich es jetzt auch vermeiden
Donnerstag und Freitag nicht zu kommen. Aber man hätte Donnerstag bis Mittag,
bis nach der Visite bleiben können. Dann wäre man auch am Abend in der
Studienstadt gewesen.
Und ich hätte nur Sonntag die Tour zurück gehabt.
Und nach langer – sehr langer – Überlegung habe ich mir gedacht, dass
es machbar ist, auch wenn ich gerade körperlich nicht auf der Höhe bin. Aber so
angenehm, dass ich eine Tour mit dem Auto fahren kann (und nicht mal selbst
fahren muss), werde ich das nicht mehr bekommen.
Und es wäre schön, hätte ich hier aufhören können, die Geschichte zu
erzählen. Ich stand heute morgen auf dem Flur, habe meinen Neuro – Oberdoc angerufen
und gefragt, ob er Zeit hat, damit wir kurz klären können, wie wir es mit
meiner Fahrt in die Studienstadt regeln und ab wann ich dann Mittwoch arbeiten
muss – an Feiertagen verschieben sich nämlich die regulären Arbeitszeiten, weil
es nur Dienste gibt.
Büro. Grüner Stuhl. Er übereck.
Und bevor ich etwas sagen kann, erklärt er mir, dass ich Donnerstag um
15 Uhr eine Prüfung beim ärztlichen Direktor habe. Als letztens einer der
Assistenzärzte mir sagte, dass man da gar nicht vorgewarnt wird, habe ich das
für einen Scherz gehalten – PJlern jagt man ja gern mal ein wenig Angst ein –
aber es ist wohl tatsächlich so.
Damit hat es sich jetzt nur erledigt mit dem Fahren in die
Studienstadt. Es ärgert mich einfach so sehr. Der Neuro – Oberdoc wusste, dass
ich den Gedanken habe, über das Wochenende in die Studienstadt zu fahren. Ich
hätte mir halt das ganze hin und her denken am Wochenende sparen können – ich habe
quasi nichts anderes gemacht als zu überlegen, ob ich das schaffe oder nicht. Und
ich war mittlerweile halt darauf eingestellt: Okay, wir fahren. (Und im Übrigen
hatte – bzw. habe – ich auch schon eine Fahrkarte für die Rückfahrt… - weil ich
dachte, dass es geht. Weil das auf der Neuro doch alles so einfach sein sollte
und ich mir da keine Sorgen mehr machen muss…)
Und das ist halt immer ein bisschen das Problem mit den Bojen.
Meistens habe ich bis ich in der Ambulanz stehe Angst, dass es nicht klappt.
Weil jemand krank ist, weil jemand den Termin irgendwie verpeilt hat und zur
falschen Zeit am falschen Ort ist, oder bei einem von uns beiden die Bahn
ausgefallen ist, oder, oder, oder… Denn plötzlich ist diese Boje im Meer, die
schon in greifbarer Nähe war, nicht mehr da und die nächste ist noch ein ganzes
Stück weg und dazwischen ist wieder unendlich viel Meer.
Die Therapeutin und ich haben jetzt ausgemacht, dass wir am Freitag
telefonieren. Aber diese Telefonate beschränken sich halt meist auf 10 Minuten.
Und ich habe im Moment einfach so einen Chaos – Kopf und so viele Ängste vor
der Zukunft…
Und ob ich einen ruhigen Raum zum Telefonieren finde, ist ja auch noch
nicht gesagt. Der Flur ist halt auch immer suboptimal, auch wenn man in der
hintersten Ecke steht.
„Das letzte Mal hat der ärztliche Direktor die neuesten Studien
abgefragt“, habe ich heute gehört. Und vielleicht sollte ich langsam dazu neigen, das ernst zu nehmen,
was mir so gesagt wird. Deshalb werde ich mich jetzt dran setzen und so viel
wie möglich bis Donnerstag lesen und lernen. Mit Chaos – Kopf. Und ich werde
versuchen nicht daran zu denken, dass der zweite November noch sehr weit weg
ist. Dass bis dahin die Tage sehr kurz sind. Und es kalt ist auf den Bahnhöfen.
Dass die Blätter von den Bäumen gefallen
sein müssen, bis ich wieder in der Ambulanz sitze, die Beine übereinander geschlagen
und die Handtasche auf dem Schoß. Nachdem ich an der Anmeldung gesagt habe,
dass ich einen Termin mit der Therapeutin habe. Und gesagt wird: „Setzen Sie sich.“
Und ich in dem Moment weiß: Es ist vorbei. Ankerpunkt erreicht. Und für einen
Moment wird es dann ganz still in mir. Und das Jagen hört auf. Und die Angst.
Weil innerhalb der nächsten Stunde mal nichts passieren kann.
Das ist ein Gefühl, das gibt es nur dann. In diesem Moment. Und ich
weiß – die Momente sind gezählt. Es wird lange dauern, bis es bei neuen
Therapeuten wieder ein Gefühl von Sicherheit geben wird.
Ich muss mich an meinen Kram setzen… - bis Donnerstag ist nicht viel
Zeit. Ein Kollege – und dafür bin ich ihm sehr dankbar – möchte mich morgen noch
mit Literatur versorgen, weil ich ja hier auch keine Unibibliothek habe.
Und manchmal sollte man vielleicht aufhören darüber nachzudenken, wie es am Besten ist. Es kommt ohnehin meistens alles anders. Mit dieser Hürde hätte ich jetzt wirklich überhaupt nicht gerechnet.
Und manchmal sollte man vielleicht aufhören darüber nachzudenken, wie es am Besten ist. Es kommt ohnehin meistens alles anders. Mit dieser Hürde hätte ich jetzt wirklich überhaupt nicht gerechnet.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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