Verloren auf der Station
Es ist einfach nur noch anstrengend. Und je länger das so läuft, desto
schwieriger wird es.
Ich denke am Tag so viel hin und her, dass wahrscheinlich jeder davon
müde werden würde.
Es ist einfach nichts klar geregelt. Vielleicht interpretiere ich da
auch zu viel in die Situationen, vielleicht denke ich mittlerweile viel zu viel
nach… - ich weiß es nicht.
Ich bin lange nicht mehr mit dieser Form von Angst in ein Krankenhaus
gegangen. Nicht davor, den Patienten nicht gerecht zu werden, sondern davor,
mit dem Team nicht zurecht zu kommen.
Ich kann nicht mehr tun, als immer wieder zu fragen, ob es etwas zu
tun gibt und ich etwas machen darf.
„Die Mondkind hat eigene Patienten, aber die ignoriert sie.“ Ich bin
wirklich die Letzte, die Patienten ignoriert. Vielleicht hat mich der Satz
deshalb so getroffen. Aber wenn man die Visiten immer macht, ohne mir Bescheid
zu sagen (und ich kann nicht immer jedem auf Verdacht hinterher rennen) und
ständig irgendwelche Medikamente an- oder abgesetzt und verschiedenste
Untersuchungen angeordnet werden, ohne das mal mit mir zu besprechen, habe ich
einfach nicht das Gefühl, dass das mein Patient ist. Und wenn die mir
zugeteilte Ärztin schon mit dem Oberarzt bei der Patientin war, dann weiß ich
nicht, wieso ich da nochmal hingehen sollte. Wenn Patienten alles zwei Mal erzählen
müssen, denken die ja auch, wir reden nicht miteinander und fragen sich, wie
chaotisch die Ärzteschaft organisiert ist. Es ist nicht so, dass ich zu faul
bin. Es ist nur so, dass das meiner Meinung nach einfach inkompetent wirkt.
Der Patient, den ich mir schon abgesprochen für die Lumbalpunktion
ausgesucht hatte, wurde auch schon punktiert – natürlich ohne, dass man mich
mal angerufen hätte; ich habe nämlich zu dem Zeitpunkt tatsächlich gerade einen
Demenztest mit einer Patientin gemacht.
Wenn dann nachmittags noch Aufnahmen herum liegen, kommt nicht selten „Nein,
ich nehme meine Patienten alleine auf.“
Wenn ich ein Fach in einem Büro nicht finde, in dem ich irgendetwas
ablegen soll heißt es: „Mondkind, Du hast nicht aufgepasst…“
Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich denen getan habe, dass die mich
für so inkompetent halten. Im Prinzip wird mir permanent vorgeworfen, dass ich nicht fähig und interessiert bin, mich um meine Patienten zu kümmern - was für mich halt schwierig auszuhalten ist, weil mir meine Patienten immer wichtig sind.
Ich laufe auf der Station eben komplett nebenher. Lediglich,
wenn die Aufnahmen denen über den Kopf wachsen, bekomme ich dann doch mal eine –
vornehmlich von dem Kollegen im dienstfrei, der sich dann gerade nicht wehren
kann. Heute spät am Nachmittag hatte ich dann noch eine Patientin – leider gerade
an dem Nachmittag, an dem ich selbst zum Arzt gehen wollte. Aber wenn ich schon
mal etwas zu tun bekomme, kann ich halt schlecht sagen, dass ich jetzt weg
muss. (Wahrscheinlich werde ich die Medikamente im Endeffekt einfach doch
strecken, ehe ich mich hier ständig verrückt mache). Die Patientin war
eigentlich recht interessant und der Oberarzt dann auch zufrieden – aber eigentlich
ist das eine Sache, die ich jeden Tag machen sollte und nicht nur dann, wenn
sich die Patienten stapeln.
Selbst Mittagessen gehen, ist eine schwierige Sache geworden. Auf der
Stroke unit sind wir nach der Visite immer alle zusammen gegangen. Ein paar Mal
habe ich mich auch auf dieser Station einfach angeschlossen, aber ich hatte das
Gefühl, dass denen das nicht so passt.
Ich bin den ganzen Tag eigentlich nur damit beschäftigt, mich durch
eben diesen Tag zu manövrieren, möglichst ohne es noch schlimmer zu machen. Den
ganzen Tag geht es darum, möglichst einen Platz zu finden, möglichst zumindest
zu versuchen Einsatz zu zeigen und sich zu integrieren, obwohl man immer wieder
scheitert. Es geht darum, beschäftigt auszusehen, obwohl man das absolut nicht
ist und stattdessen wachsam die Umgebung im Blick hat, um den nächsten Pfeilen
möglichst aus dem Weg zu gehen und „Hier“ zu schreien, wenn es doch mal etwas
zu tun zu geben scheint.
Und neben all dem frage ich mich, ob ich ansatzweise genug lerne. Zwar
versuche ich viel aufzuschnappen und schreibe es dann auf meine „Lesen – Liste“,
aber abends komme ich meist nicht mehr dazu. Denn dann bin ich einfach zu müde
von der Tatsache, dass ich mich dort am liebsten in Luft auflösen würde, aber
das eben leider doch nicht geht.
Und außerdem begleitet mich abends auch die Angst ins Bett. Denn ich
weiß: Morgen früh geht es genauso weiter, wie es heute aufgehört hat. Und ein
bisschen habe ich die Sorge, dass dieses instabile Konstrukt, das sich hinter
einer möglichst höflichen Hülle versteckt, doch nicht mehr hält.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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