Kaffee - zeit

 
Eigentlich hätte ich den Blogpost auch „Teezeit“ nennen können. Aber da ich irgendwie seit Monaten keinen Tee mehr angerührt habe und eher zum Kaffee – Junkee geworden bin, passt „Kaffeezeit“ besser.

Ich glaube, das wird heute eher ein Laber – post. Wer also Lust hat, teilweise schon bekannte Gedanken neu interpretiert zu hören (oder weniger literarisch und mehr psychotherapeutisch auch „Grübelschleifen“ genannt ;) ), der hole sich ebenfalls einen Kaffee und laufe mit mir Kreise.

Jetzt ist es also so nah mit dem Job hier. Damit keine Zweifel aufkommen – ich habe immer gehofft, dass es im Lauf des PJs so kommt – ich bin unglaublich dankbar, dass mir hier in Aussicht gestellt wird, in genau diesem Krankenhaus arbeiten zu können.

Nur das „Drum herum“ ist mal wieder ein bisschen… - enttäuschend; vielleicht trifft es das am Besten. Ich muss mich gerade Dinge kümmern, die noch nie so richtig Thema waren. Wie sieht eine Bewerbung aus, bei der es wirklich um etwas geht? Keine Praktikums – Bewerbung, die bisher immer nur Formalität war – teilweise reichte auch ein Anruf beim Chef. Und wie sieht so ein Arbeitsvertrag überhaupt aus? Wie viel verdient eine Assistenzärztin eigentlich? Sollte man das irgendwo versuchen nachzuschauen oder sich vielleicht bei mehreren Krankenhäsuern bewerben und schauen, was die einem bieten, damit man merkt, ob das Angebot von denen auch passt und man nicht unter Wert verkauft wird? Und wie sieht das aus mit der Überstundenregelung? Gibt es da zumindest eine teilweise Bezahlung der Überstunden, oder einen Freizeitausgleich, oder gar nichts? Und wie bekommt man das überhaupt raus? Und muss ich mich jetzt überhaupt schon bewerben? Ich binde mich damit halt ziemlich – was ist, wenn ich nächstes Jahr im Frühling merke, dass ich doch nicht aus der Studienstadt weg möchte? Weil ich dort zum Beispiel einen Freund gefunden habe, oder so – man weiß ja nie…
Und dann ist immer noch die Frage, wann ich da anfange. Ich habe heute mit einer Kommilitonin gesprochen – rein rechnerisch müsste es schon am 1. Juli gehen, nicht wie ich bisher angenommen hatte, am 1. August.

Ich habe die Neuigkeiten bei meinem Papa und seiner Freundin anklingen lassen. Einfach, weil es mich so gefreut hat. Weil es trotz der Frustration hier (die mit den laufenden Rotationen im PJ auch bis zu einem gewissen Grad normal ist), ziemlich genau so läuft, wie ich mir das immer erhofft hatte. Ich komme eben immer noch besser zurecht, als in den meisten anderen Krankenhäusern. Mit der klassischen „Krankenhausatmosphäre“ komme ich eben überhaupt nicht klar und hin und wieder frage ich mich, ob es richtig ist in einer Umgebung zu arbeiten, in der man immer dezente „Fluchttendenzen“ verspürt.

Der einzige Kommentar, den ich dazu gehört habe: „Du bekommst, wenn Du fertig bist mit dem Studium, keinen Unterhalt mehr – Du musst dann schon anfangen zu arbeiten…“

Vielleicht ist es halt wirklich zu viel verlangt, aber warum kann man nicht mal fragen: „Mondkind, weißt Du, wie ein Arbeitsvertrag aussieht? Und auf was Du da achten musst?“ Warum muss es immer – wirklich immer – um die Finanzen gehen und um die Frage dahinter: „Wann bin ich raus mit dem Bezahlen?“
Ich werde die Dinge schon selbst herausfinden können – ich bekomme ja immer alles irgendwie selbst hin. Was aber nicht heißt, dass ich mir das nicht anders wünschen würde.

Auf der einen Seite kann ich das irgendwo nachvollziehen. Auf der anderen Seite fühle ich mich nicht ernst genommen. Warum kann man nicht mal sagen: „Mondkind, Du hast Dich doch noch irgendwie durch das Studium gekämpft und gar nicht so viel Zeit verloren – jetzt sieh erstmal zu, dass es Dir gut geht und mache dann weiter.“ Ich habe wirklich immer versucht, den Erwartungen gerecht zu werden und es alles irgendwie zu schaffen. Es wird nur immer als völlig selbstverständlich hingenommen. Als wäre das gar nichts, hier Tag für Tag um und für das Studium zu kämpfen. Alles daran zu setzen, dass ich auch im Januar weiter gehen kann, dass es nicht zusammen bricht, wenn ich wieder mein komplettes Außen verliere, damit es nicht noch sechs Monate länger dauert. „Mondkind, meine Eltern wären stolz auf mich gewesen, wenn ich so schnell mit dem Medizinsudium gewesen wäre“, hat mir der Psychiatrie – Oberarzt mal gesagt.
Es geht mir gar nicht darum, dass meine Eltern mich noch monatelang „durchfüttern“. Es geht mir nur darum, dass ein Klinik – Aufenthalt nach dem Studium nicht grundsätzlich deshalb raus fällt, weil ich das finanziell nicht überbrücken kann. Ich kann die „Schulden“ ja auch später zurückzahlen, wenn ich dann mal Geld verdiene. Und immerhin geht es hier nicht um eine Trekking – Tour durch Neuseeland. Manchmal denke ich mir: „So kurz denkend kann man doch gar nicht sein.“ Ich glaube, es würde mir im Januar auch leichter fallen, trotz der Haltlosigkeit weiter zu gehen, wenn ich wüsste: „Nur noch bis nach dem Examen – und das ist in sechs Monaten.“ Und nicht die ganze Zeit befürchten muss, dann wieder darum kämpfen zu müssen, mir nochmal für mich selbst Zeit nehmen zu dürfen und es dann doch wieder nicht zu schaffen – das hatten wir ja schon nach dem schriftlichen Examen. Und nach dem Examen hätten alle mehr davon – ich, weil es mir im Januar eben noch im Rücken hängen würde und ich mich vielleicht gar nicht so auf mich selbst konzentrieren könnte. Und meine Eltern aber auch, weil ich meiner Meinung nach gar nicht sechs Monate brauchen werde – die es mit einer Examensverschiebung aber werden würden.

Und natürlich müsste ich auch in der Ambulanz mal klären, was da möglich wäre. Und die stellen sich ja genauso quer, da irgendwie mal konkret zu werden.

Solange wie das nicht geklärt ist – und ich fürchte ich werde es nicht klären können – kann ich den Vertrag nicht einfach auf zwei oder drei Monate später datieren. Und damit katapultiere ich mich quasi in einen Zustand in dem ich die letzten zwei Jahre war – nur dann auf unbegrenzte Zeit: Durchhalten. Weil mir dieser Ort nicht durch die Finger rinnen darf. Und ich – wenn ich einmal hier angefangen habe zu arbeiten – nicht in der ersten Zeit monatelang ausfallen kann. Es macht wieder vor allen Dingen eins: Druck. 



Hin und wieder frage ich mich, ob es nicht auch doch die Studienstadt werden sollte, in der ich später arbeite. Allerdings muss ich sagen, dass ich es mir eigentlich nicht vorstellen kann. Mit den Freunden wird es schwierig und ich hoffe, dass man es hinbekommt sich ab und an zu sehen, wenn ich dann mal ein Auto habe. Und obwohl ich die Studienstadt mittlerweile doch vermisse, bin ich im Moment der Meinung, dass ich langfristig gesehen da raus muss.
Die Studienstadt und die Umgebung ist mit ganz viel Schmerz, Sehnsucht, Enttäuschung und Traurigkeit verknüpft. Ich muss sagen – ich habe den größten Teil des Studiums nicht in guter Erinnerung. Zu Beginn habe ich noch zu Hause gewohnt. Tägliche Diskussionen und Streit, täglicher Konkurrenzkampf, eine Psyche, die immer mehr gelitten hat, ein Körper, der immer mehr Gewicht verloren hat und am Ende nur noch ein Schatten seiner selbst war. Dann der Auszug von zu Hause, danach wochenlang ohne feste Bleibe und dann bin ich Untermieterin an einem Ort geworden, der mich am Tag zu vier bis fünf Stunden Pendelzeit gezwungen hat. Fand ich dieses Flair am Bahnhof, diese Aufbruchsstimmung, diese Hektik und dazwischen immer wieder Abschied und Zusammenfinden von Menschen zu Beginn noch irgendwie aufregend, wich das schnell der Müdigkeit. Wenig Schlaf, viel Stress, langsam wieder mehr Gewicht, aber ich konnte immer noch nichts mit den Kommilitonen machen, weil ich viel zu viel Zeit auf den Schienen gelassen habe und trotz größtem Einsatz, eher mittelmäßige Klausuren geschrieben habe.
Und dann Psychiatrie. Ich sage es ja bis heute ungern, aber es war mir so egal wie es weiter geht – Hauptsache der Wahnsinn hörte auf. Es war erleichternd, innerhalb von schützenden Mauern nicht mehr funktionieren zu müssen. So erleichternd, dass es mir fast Angst gemacht hat.
Und dann Neuanfang. Von Mitte Juli 2017 bis Mitte Dezember 2017 habe ich dieses Leben gelebt, das ich mir immer gewünscht habe und von dem ich nicht glaubte, dass ich das nochmal schaffe. „Normales“ Studentenleben. In einer Studenten – WG wohnen, mit einem klapprigen Fahrrad, Freunde treffen, Abende am Fluss in der Innenstadt, kopfschüttelnde ältere Menschen, die an unserer Studiengruppe vorbei gelaufen sind, als die meisten von uns sturzbetrunken waren und die Nüchternen die Gruppe wie ein Hund eine Horde Schafe zusammen gehalten haben. Mitten in der Nacht mit einem kaputten Fahrradlicht durch die leeren Straßen der Uni fahren.

Nur irgendwie reicht das nicht – diese paar Monate im Vergleich zu den Jahren davor. Die Uni ist untrennbar mit der Ambulanz verknüpft, die für mich lange Zeit der einzige sichere Ort war und dort vorbei zu gehen, wird immer irgendwie wehtun. Weil man dort das hatte, das eigentlich die Familie hätte sein sollen. Und weil von Anfang an klar war, dass das verloren geht. Weil bald die Bezugsperson der letzten drei Jahre fehlen wird.
Der Stadtteil, in dem die Psychiatrie ist. Aus dem gleichen Grund. Weil ich dort als Person akzeptiert wurde. Weil auch das ein zeitlich begrenztes „zu Hause“ war und jede Nennung des Stadtteils mich zurück schmeißt. Und weil ich damit heute irgendwie nicht umgehen kann. Weil ich nicht aufhören kann, zurück an diese Zeit zu denken, in der man zeitlich begrenzt mal irgendwo hingehört hat. Und in der man Dinge erfahren hat, die man bis dahin nicht kannte.
Und davon ab - weil der Bahnhof der Stadt mich zurück in diese Abende schmeißt, in denen die Züge ausgefallen sind, in denen ich im Winter in der Dunkelheit stand und nicht wusste, wann ich nach Hause komme. Ob es vor 22 Uhr wird. Abende, in denen ich zwischen den Gleisen hin und her gerannt bin, in denen mich hin und wieder die Füße nicht mehr getragen haben, weil ich so erschöpft vom Stress war, dass ich mehr als ein Mal halb die Treppen hinab gefallen bin.

Vielleicht – wenn ich irgendwann stabil bin – wenn ich irgendwann sagen kann „ich habe meinen Weg gefunden“, vielleicht kann ich dann zurückkommen. Zurück in diese Stadt, der ich auch nur ungern den Rücken zukehre. Ich glaube es gibt viel, das ich noch nicht gesehen habe dort. Und kurz bevor ich hierher für das PJ gekommen bin – hatte ich langsam das Gefühl auch irgendwie anzukommen. Sie zum ersten Mal positiv zu fühlen – diese Stadt, in der ich sechs Jahre lang studiert habe und die für mich dennoch so lang ein Mysterium war, weil ich nichts kannte außer der Uni, der Psychiatrie und alle möglichen Bahnverbindungen.

Und jetzt? Bin ich vor allen Dingen eins. Verwirrt.
Vielleicht rede ich nochmal mit meinem Neuro – Oberdoc. Was soll er dazu sagen… - ich weiß es nicht? Allerdings habe ich am Freitag wirklich eine fachliche Frage vergessen. Ich könnte mir unter diesem Deckmantel nochmal ein paar Minuten in seinem Büro gönnen – bevor ich am Donnerstagmorgen im emotionalen Karussel zurück fahre. In die Studienstadt. Die Stadt, die ich irgendwie doch vermisse. Und am Freitag werde ich einen der letzten – der an einer Hand abzählbaren – Termine bei der Person haben, die in den letzten drei Jahren immer da war – auch dann, wenn um mich herum sonst nichts mehr stehen geblieben war.

Der Kaffee ist kalt.
Im Hintergrund ein Song auf Dauerschleife. Der es irgendwie ausdrückt. Die Liebe und Abneigung gegen diese Stadt, die Hoffnung und Verzweiflung, die Angst, Freunde zu verlieren und gleichzeitig das Wissen – ich kann es dort aber nicht.
Und nächsten Sonntagabend wird der Song wieder aktueller sein denn je. Und deshalb zitiere ich ihn wohl erst dann.

Einen schönen Sonntag allen Lesern!
Mondkind

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