Just tryin'


Zur Zeit verliere ich das alles ein bisschen aus den Augen. Wofür kämpfe ich eigentlich nochmal genau? Warum sind die Nächte so kurz und die Tage so lang? Warum ist der Adrenalin – Spiegel dauerhaft so hoch, dass ich abends drei oder vier Stunden brauche, bis an etwas wie Schlafen überhaupt nur zu denken ist? Warum stapeln sich hier die Kaffeetassen auf meinem Schreibtisch, deren Inhalt tagsüber versucht, die bleierne Müdigkeit und die Kopfschmerzen in den Griff zu bekommen?
Warum zieht da draußen ein Frühling vorbei – ohne, dass ich etwas davon mitbekommen würde. Wechselt der Sonnenauf- mit dem Sonnenuntergang, ohne dass ich dazwischen den Schreibtisch verlassen hätte? Warum habe ich die Freunde seit Wochen nicht gesehen? Und es ist auch noch nicht absehbar, wann ich einen von denen wieder sehen werde.
Warum rebelliert der Magen seit Tagen? Wehrt sich gegen alles, was ich dann doch mal irgendwie esse… - irgendwoher muss die Energie ja kommen.

Ich vergesse schneller als ich lerne. Zwar versuche ich gegenzusteuern und fasse jetzt alles nochmal handschriftlich zusammen. Zum Einen kann mein Kopf dann nicht ganz so einfach abdriften, zum Anderen hoffe ich, dass es irgendwie mal hält. Aber ob das hilft?
Heute bin ich dann viel zu spät an der Sarkoidose vorbei gekommen. Beteiligung der Speicheldrüse; Herfordt – Syndrom: Was war nochmal die Trias? Mondkind… - das ist HNO? Damit bist Du doch schon durch  - warum weißt Du das nicht…? Parotitis, Uveits, Fazialisparese, fakultativ Fieber. Apropos – Fazialisparese… Differentialdiagnosen Fazialisparese…, dachte ich mir… - und stand komplett auf der Leitung. Hallo… ? Das ist Neuro? Wenigstens das sollte ich können.

Durch das Zusammenfassen dauert es jetzt alles zu lange, ich komme nicht vorwärts, bin dem Lernplan mehrere Tage hinterher.

Ich frage mich, wie ich im Herbst meine Patienten versorgen will. Wie ich Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen möchte, wenn mein Hirn ein absolutes Sieb ist. Was soll das denn werden? Ich werde die Leute da einfach so enttäuschen, wenn ich das nicht auf die Reihe kriege. Irgendwie halten die ja alle etwas von mir… - das habe ich noch nie so ganz verstanden.

„Mondkind… - lies doch mal Deine eigenen Blogeinträge. Es hat doch funktioniert.“, versuche ich mir zu sagen, „Dein Hirn ist vollkommen überdreht – deshalb funktioniert das auch nicht. Vertrau Dir doch einfach mal, dass es Dich im spannenden Moment nicht im Stich lässt…“
Würde ich ja gern. Tut es in mündlichen Prüfungen nur leider immer. Dann gibt es hier Neuro - Prüfung 2.0. Ich sehe es schon kommen.

Irgendwie erinnere ich mich manchmal zurück an diese Momente, wenn der Neuro – Oberdoc über die Zukunft gesprochen hat. „Wir haben doch schon ein Ziel…“ Das „wir“ fand ich damals schön.
Ich weiß, er hat sehr viel Stress, aber manchmal würde ich mir wünschen, dass wir einfach mal kurz miteinander reden können. Er mich erinnert, wie es war. Mir erklärt, dass mein Hirn vielleicht einfach nur gerade etwas gestresst ist und vielleicht würde ich ihm das sogar glauben. Und es vielleicht doch alles irgendwie klappen kann. Und, dass es sich lohnt dafür zu kämpfen, auch wenn ich es gerade nicht mehr so ganz sehen kann.
Aber ich zwinge mich mal dazu, Finger und Füße still zu halten. Ich weiß, er ist im Stress und hat keine Zeit für noch mehr Stress, weil ich im Stress bin. Ich wusste damals, im Dezember, als wir uns das letzte Mal gesehen haben, dass wir wenig voneinander hören werden. So etwas hat noch nie gut funktioniert. Es fällt nur schwer... - weil er so viel mitgetragen hat acht Monate lang und es so eine schöne und wertvolle Erfahrung war.

Ich habe mein Hasenherz zusammen genommen und der Therapeutin eine Mail geschrieben. Ich habe ein super schlechtes Gewissen dabei gehabt, weil sie mal gesagt hatte, dass sie keine Mails mehr möchte. Ich habe dazu geschrieben, dass ich mich nicht über sie hinweg setzen möchte, aber dass es hilfreich wäre den „rebellischen Teil“ ein bisschen an die Hand zu nehmen, ihm zuzuhören,  mal einen Plan bezüglich Klinik zu machen und es mir ganz schwer fällt das zu formulieren, weil es halt das Gegenteil von diesem „Die Mondkind macht das schon“ ist. Und, dass es als Mail kommt, weil ich das nie im Leben mündlich so sagen kann und es auch nicht ertragen kann, einen Zettel mitzubringen und während sie ihn liest, im selben Raum zu sein. Vermutlich hört es sich richtig bescheuert an – aber gerade diese Kliniksache... Das möchte ich eigentlich seit Wochen ansprechen und ich schaffe es einfach nicht.
Naja… - sie meinte, wir machen Donnerstag mal einen Plan, sodass mein Kopf dann etwas Ruhe gibt. Aber ich glaube begeistert war sie über die Mail – Aktion nicht und ich habe echt Sorge, dass ich mir da am Donnerstag noch etwas anhören muss. Und nachdem sie letzte Stunde schon so merkwürdig drauf war… Ich hasse das einfach mit so wahnsinnig sensiblen Themen unterwegs zu sein und dabei zu merken, dass da gerade irgendwie Spannung in der Luft liegt und sie das jetzt wahrscheinlich alles gar nicht so komisch findet. Ich weiß ja nicht, was sie sich da denkt, vielleicht ist sie auch langsam super genervt davon, dass ich es einfach nicht auf die Reihe kriege und es im Lauf der Zeit eher immer schlimmer statt besser wird.

Na ich bin gespannt… - und habe super viel Angst. Aber hoffen wir, dass ich mich Donnerstag mit ein paar positiven Worten melde …

Und bis dahin… - „immer nach vorne, ruhig und gerade…“, sagte mal ein Oberarzt in einem Praktikum zu mir. Versucht man’s. Und bekommt erst mal den Plan für heute fertig.
Und vielleicht muss auch nicht jeder Tag in so einer Lebensphase gut sein. Vielleicht darf es manchmal einfach richtig schlecht laufen. Und ist trotzdem irgendwie normal. Nur wahrscheinlich sollte man in solchen Zeiten einfach die Klappe halten.

Mondkind

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