Vorgespräch in der Neuro und ein paar weise Worte


Früh morgens. Heute sind wir mit dem Neurologen, der uns prüfen wird, verabredet. Wir beschließen uns im Foyer des Krankenhauses zu treffen, um als Gruppe geschlossen zu ihm zu gehen. Wie immer bin ich etwas zu früh und stoße dort schon auf eine Kommilitonin. Und wie üblich in diesen Tagen, geht es ums Examen.
„Mondkind, das ist normal, dass man darüber verzweifelt. Ich habe mich auch erst letztes Wochenende bei meinem Freund ausgeheult. Der musste sich hinterher umziehen, weil das T – shirt so nass war. Aber dann macht man das mal zwei Stunden und dann geht es auch wieder weiter…“
„Das heißt Du meinst, ich muss mir jemanden suchen, bei dem ich mich ausheulen kann…?“, frage ich.
„Wie machst Du das denn da alleine in Deiner Bude? Ein bisschen emotionale Unterstützung ist schon nicht schlecht…“
„Naja… - ich habe halt keinen, bei dem ich das bringen kann…“
„Mondkind – man hat nur ein Mal im Leben Examen… - da darf man so ungefähr alles… Nerv einfach irgendwen in Deinem Umfeld…“

Wenig später beim Neurologen.
Erste Frage von der Kommilitonin: „Haben Sie einen Termin für uns?“ Die Hämatoonkologen können sich aktuell nicht einigen, wer uns prüft. Das vierte Fach bleibt HNO, alle anderen Prüfer könnten Mitte Mai. Jetzt kommt es darauf an, was die in der Inneren machen. Wenn Mitte Mai nicht klappt, dann vermutlich Ende Juni. Also lasst uns einfach hoffen…  - bis Ende Juni geht das hier echt nicht mehr.

Wir versuchen ihm ein wenig zu entlocken, welche Themen er gern prüft und welche er eher nicht so wahrscheinlich abfragen wird. „Also ich bin ja Oberarzt der Stroke Unit. Da werde ich natürlich eher in diesem Bereich fragen. Aber wenn ich einen spannenden Patienten habe…“ Er nimmt das „Neurologie – compact“ – Buch in die Hand – ungefähr die Bibel der Neuro – schlägt es auf und blättert ein wenig. „Also ein MELAS – Syndrom habe ich jetzt noch nicht so häufig gesehen, aber ich will Ihnen die spannenden Patienten ja nicht vorenthalten. Sie können dann ja noch kurz etwas darüber lesen – seltene Erkrankungen haben meistens den Vorteil, dass man darüber nicht so viel weiß…“ Ernsthaft jetzt…? Eigentlich wollte ich nicht mit diesem Buch lernen.
Auch über das Niveau auf dem er fragen wird, werden wir nicht so richtig schlau. „Ziel ist es natürlich auszuloten, wie viel Sie wissen. Daher werden wir das so lange fortsetzen, bis wir an den Punkt kommen, an dem Sie nichts mehr wissen. Und das werden wir auf jeden Fall irgendwann schaffen. Aber machen Sie sich dann nicht verrückt…“ Das wird richtig lustig werden…
Enzephalitiden hatte er noch erwähnt… - die seien wohl häufig auf der Stroke. Habe ich jetzt bei uns nicht so wahrgenommen, aber dann werde ich mir das nochmal intensiv zu Gemüte führen müssen – davon habe ich nämlich nicht viel Ahnung.
Zu der Frage, ob es wohl ein Neuro – Patient wird, den wir bekommen, erklärt er: „Da ich hier den Prüfungsvorsitz habe, suche ich die Patienten aus. Und wie Sie sich sicher denken können, habe ich keine Lust durchs ganze Haus über fachfremde Stationen zu tigern…“ ;) okay – verstanden.
Und zum Thema Stimmgabel: „Also… - wenn etwas auf der Neuro immer Beine bekommt, dann sind das Stimmgabeln – schlimmer als mit den Pupillenleuchten. Und wenn man dann mal eine hat, fehlen meistens die Aufsätze. Sie können ja am Prüfungstag über die Station gehen und die Assistenten fragen, ob sie eine haben. Ich würde mich allerdings nicht darauf verlassen.“ Darum habe ich mich immer noch nicht gekümmert – sollte ich wohl mal machen.

Hinterher gehen wir noch kurz an der Cafertia vorbei. „Aus anderen Vorgesprächen habe ich gehört, dass der Internist empfohlen hat, mit dem Herold zu lernen“, sagt eine Kommilitonin. „Oh man…“, seufze ich vor mich hin. „Mondkind – das heißt doch nicht, dass Du das machen musst…“, entgegnet wer anders. „Naja, was willst Du denn machen? Wenn der da beim MALT – Lymphom irgendwelche t(11;18) – Mutationen abfragt… - entweder Du bist mal irgendwann drüber gestolpert oder nicht…“
Ich weiß es nicht. Ich fürchte an dem Internisten werden wir uns alle die Zähne ausbeißen. Und so generell… - man kann wahrscheinlich lernen, soviel man will – man wird das Niveau, das die vorgeben, nicht erreichen. Das sind alles Fachärzte oder Chefs, die schon jahrzehntelang in diesem Job arbeiten. Die haben erstens ganz viel Erfahrung und können zweitens all ihre Energie in dieses Fach stecken, während wir praktisch die ganze Medizin auf dem Schirm haben müssen. Denn rein formal kann eine Chirurgin zum Beispiel auch Gefäßchirurgie abfragen – macht sie manchmal glaube ich auch. Da muss man schon breit aufgestellt sein.

Zu Hause.
Die Gedanken rennen Schleifen. Schleifen, die ich nicht so richtig nachvollziehen kann. Ich verliere mich und weiß nicht wo. Weiß nicht so richtig, was das Problem ist. Warum es mir aktuell so schlecht geht, die „rebellische“ Seite so laut ist. 

Ich glaube, das bringt es schon, alles nochmal zusammen zu fassen... - es ist nur irre zeitaufwändig...

Obwohl ich langsam eine Vermutung habe. Mir wurde mal nahe gelegt, dass mir bewusst sein sollte, dass es kurz vor dem Examen noch richtig abstürzen kann. Nicht wegen des Examens an sich (wobei mich das mittlerweile auch ziemlich stresst), sondern aufgrund von einer anderen Angst.
„In den letzten Jahren warst Du eigentlich immer nur der Spielball und wurdest hin und her geschmissen. Und nach dem Examen ist der Plan, sich dem ganzen Schlamassel mal zu stellen und zu schauen, was Du da eigentlich gemacht hast. Es geht darum, ein bisschen zu Dir selbst zu finden, erstmal selbst in Dich hinein zu hören. Wer bist Du überhaupt? Wo willst Du hin? Was hast Du für Vorstellungen? Welche Menschen sollen in Deinem Leben eine Rolle spielen? Wie soll Deine Zukunft aussehen? Das erfordert sehr viel Mut und es ist normal, dass Du davor ganz viel Angst hast. Und – ich glaube nicht, dass Du das absichtlich machen würdest – aber so unterbewusst würde vielleicht doch ein Teil denken, dass Spielball sein zwar auch nicht schön ist, aber immerhin etwas, das Du kennst. Und um die Auseinandersetzung mit Dir zu verhindern und um diesen Zustand in dem Du jetzt bist noch eine Weile aufrecht zu erhalten, wird es vielleicht vorher nochmal eine Krise geben. Ich hoffe nicht mit Klinik und so etwas allem. Ich sage es nur, damit es Dir vielleicht bewusst ist und Du Dich darauf einstellen kannst.“
Ich glaube, wenn ich so latent verärgert über Kommentare bin, sollte ich genauer hinhören. Ich fand das damals ziemlich abwegig. Und eigentlich möchte ich doch die Auseinandersetzung mit mir selbst. Und überhaupt… - Angst… ? Ich meine… - ich habe echt schon mehr geschafft in den letzten Jahren, als einfach nur zu existieren – was nach dem Examen immerhin die einzige Aufgabe ist.

Heute glaube ich, dass das eine sehr weise und richtige Vorraussicht war. Und mir tatsächlich hilft, das etwas einzuordnen.

Einerseits wäre der Examenstermin Mitte Mai gut. Andererseits hat mir das gestern auch bewusst gemacht: Hey Mondkind – dann weiß ja keiner, was hier in etwas mehr als einem Monat passiert?

Wie werde ich selbst reagieren? Wird mir alles um die Ohren fliegen, weil das, was mich zusammengehalten hat – das Wissen, das hier unbedingt durchziehen zu müssen, weil wir eben mit dem Examen vor der Nase insgesamt nicht vorwärts kommen – wegbricht? Und wenn das passiert – wie und wo wird das enden? Werde ich es schaffen, vorher Hilfe zu organisieren? Immerhin kann man es eigentlich echt nicht bringen, NACH dem Examen zusammen zu klappen. Vorher – okay, aber hinterher? Was soll ich denn den Menschen erzählen…? - Das ist eine sehr große Hemmschwelle, sich da irgendwem anzuvertrauen. Das war ja schon letztes Jahr so.
Wie weit werden wir bis dahin in puncto Klinikplanung sein? Was mache ich, wenn die da aktuell keine Indikation sehen, ich jetzt aber den Zeitslot habe und darüber hinaus keine Ahnung, wie ich mich bis Oktober finanzieren soll? Meine Eltern wissen ja auch nicht, dass ich geplant habe, nicht sofort anzufangen zu arbeiten. Und ich habe mir in alter „Mondkind – Manier“ gedacht: „Irgendwie wirst Du es es schon hinbekommen. Bisher ist Dir immer irgendetwas eingefallen…“ Ob das nicht ein bisschen naiv war?
Und wenn die keine Indikation sehen – wie stellen die sich dann vor, dass das hier weiter geht? Ich habe ehrlich gesagt langsam keine Kraft mehr, mich da von Termin zu Termin zu hangeln.

Ich muss mir auch Gedanken machen, wie in der Ferne mit der psychiatrischen Versorgung weiter gehen soll. Die Option alle paar Wochen hier hoch zu fahren oder mit der Therapeutin zu telefonieren, gibt es dann definitiv nicht mehr. Ziel war immer bis zum Jobstart auf eigenen Füßen stehen zu können, aber ich glaube, das werde ich nicht schaffen. „Mondkind – dann kommst Du nach dem Examen hier runter, suchst Dir eine Wohnung, machst die ersten Schritte in der Neuro. Daneben suchst Du Dir eine ganz enge Anbindung an eine Therapieeinrichtung, arbeitest das alles ein bisschen auf und dann wird es nach und nach alles werden…“ Das ist die Vorstellung des Neuro – Oberdocs von der Sache. Nur, dass das zwei Haken hat: Die psychiatrische Versorgung ist dort unten absolut katastrophal – die einzige Ambulanz gehört zum „Austausch – Krankenhaus“ der Neuro und einem ehemaligen oder zukünftigen Kollegen gegenüber zu sitzen; das fehlte mir noch. Und ich kann außerdem auch nicht als Jobanfängerin ständig nachmittags sagen, dass ich jetzt gehen muss. Und da die Arbeitsbelastung in der Neuro aktuell eher der einer Halbtagsstelle – bezogen auf einen 24 Stunden – Tag – ähnelt, wird das auch nicht klappen. Im Endeffekt sehe ich im Moment keine andere Chance, als irgendwie selbst zurecht zu kommen. Leider verschwinden psychische Erkrankungen nur nicht allein dadurch, dass man sie ignoriert.

Auf der anderen Seite denke ich mir, dass ich da unten ja schon irgendwie meine „Vertrauten“ habe – es hat mich ja so allgemein niemand im Stich gelassen dort unten; ein Kollege unterstützt mich sogar bei der Examensvorbereitung und hat gesagt, dass ich mich nicht scheuen soll ihn jederzeit zu fragen, wenn es in der Neuro Unklarheiten gibt. Es fällt mir nur so unfassbar schwer zu vertrauen, dass die Menschen bleiben und sich da wirklich mit mir abgeben – allerdings würde es mir ein bisschen Vertrauen sehr viel einfacher machen. Ich gehe ja nicht an einen völlig unbekannten Ort, sondern an einen Ort, der für mich schon irgendwie ein „zu Hause“ geworden ist – sogar mehr als jeder andere Ort das je war.
Also manchmal verstehe ich auch nicht, warum ich mir da jetzt so einen Stress mache…

Im Endeffekt ist da aber so eine ganz latente Angst. Im Prinzip war es im Januar nicht der letzte Umbruch – wie das immer gesagt worden war. Der letzte Umbruch kommt mit dem Umzug (der fünfte innerhalb von drei Jahren…) in den Ort in der Ferne. Studium hinter sich lassen, dort unten nicht nur „auf Zeit" sein, sondern wirklich ankommen. Mit dem Job anfangen, Verantwortung übernehmen, in den Medizineralltag hinein wachsen. Ein ganz anderes Leben.

Alles, was immer noch so weit weg schien, weil es hinter der hohen Mauer des Examens verborgen war, rückt plötzlich etwas näher.
Ich frage mich, ob ich den Alltag schaffen kann, wenn der ganz anders geschient wird, als das jetzt noch der Fall ist. Was ist, wenn ich es dieses eine Mal nicht schaffe? Was ist, wenn ich keine Strukturen finden, die mich festhalten, bis ich selbst stehen kann? Es gibt schon einen Teil in mir, der Angst davor hat – und definitiv nicht will – dass die ganzen letzten Jahre für umsonst waren und es dieses Licht, von dem alle immer reden, nie geben wird, bevor ich an mir selbst zerbreche.

Die Therapeutin würde die Krise kriegen... - Grübelschleifen on point würde ich mal sagen... 

So… - nächste Woche muss ich mal wieder an die Uni Bescheinigungen für meine Schwester und mich holen. Wer das hier schon öfter gelesen hat in letzter Zeit: Es ist immer dieselbe. Nur dass dieser Sekretär seinen Job nicht so ernst nimmt. Persönlich ist er nicht da, Mails beantwortet er nicht und ans Telefon geht er auch nicht. Und da es eine Frist für diese blöden Zettel gibt, bleibt einem nichts anderes übrig, als es quasi jeden Tag auf den Tagesplan schreiben, bis es erledigt und beim Landesprüfungsamt liegt – auch persönlich hingetragen.
Und Klamotten kaufen muss ich auch noch. Davor graut mir etwas. Ich habe noch nie im Leben einen Blazer gekauft – ich weiß gar nicht, worauf man dabei achten muss. Außerdem befürchte ich, werde ich darin einfach nur furchtbar aussehen…

Allen Lesern wüsche ich ein schönes restliches Wochenende!
Mondkind

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