Das Ding mit dem Akzeptieren...

Abends.
Ich räume die Kaffeetasse von meinem Wintergarten.
So langsam wird es doch.
Ich habe die Bank von meiner Tischgruppe, die ich dort nicht brauche, weil der Tisch an der Wand steht, auf den Wintergarten geschleppt. Jetzt fehlt eigentlich nur noch ein kleiner Tisch, Sitzkissen, noch die ein oder andere Pflanze dazu auf der anderen Seite des Wintergartens und ich muss mich noch entscheiden, ob ich die Palme an meinem Sofa im Wohnzimmer stehen lasse, oder ob ich sie in die Ecke neben das Fenster auf den Wintergarten stellen möchte. Oder… - ich kaufe eine zweite Palme.

Ich bin ein bisschen stolz. Auch, wenn das Wenigste dieser Wintergartenbepflanzung mein Verdienst war. So viel muss ich zugeben. Die Pflanzen habe ich geschenkt bekommen. Die musste ich nur in größere Töpfe pflanzen. Und gießen.

Ich kann es nicht verhindern, dass neben dem Glück, das ich auf dem Wintergarten empfinde eine zweite Frage hinzu kommt: Wie fändest Du es? Wie wäre es, mit Dir hier draußen zu sitzen? 


 
Und wohin mit der Palme... ???

Ich habe im Urlaub mit meiner Schwester geredet. Es ging viel um früher. Und ich habe nochmal einiges nachgelesen und bin es gedanklich durchgegangen. Das Leben, das ich heute führe – wenn auch noch mit vielen Ängsten und Insuffizienzgefühlen – war lange undenkbar. Als ich mit meinem Koffer zu Hause ausgezogen bin, als ich unter widrigsten Umständen, ohne zu wissen, wo ich wohnen werde, weiter studiert habe. Immer nur weiter. Es wird gut werden. Nur nicht aufgeben. Und wenn ich es doch nicht mehr alleine geschafft habe, hat die Ambulanz, die Therapeutin, die Psychiatrie geholfen.
Alles was ich wollte war, das Studium fertig zu bekommen, eine eigene Wohnung zu haben, in der ich mich wohl fühle, einen Job mit dem ich mein eigenes Geld verdiene und keinen finanziellen Sorgen mehr haben muss. Und den Freund, er hat so viel davon miterlebt, war ein so fester Bestandteil meines Lebens, war darin fest verankert, ohne dass ich ihn bewusst, laut und fest einplanen musste. Er war da.

Ich habe so viel davon geschafft. Wenn auch mit vielen Hilfen. Nur er, er fehlt.
Ich denke an das Gespräch mit der Therapeutin. Akzeptieren. Ist alles, was bleibt. Ich habe mich so lange gewehrt dagegen, war so oft auf die potentielle Bezugsperson wütend, wenn er mir damit um die Ecke kam, wir hatten da so unsere Krisen miteinander in den vergangenen Monaten.
Ich weiß schon, warum ich das nicht wollte. Das rationale Begreifen, dass es so ist. Da ist so viel Traurigkeit, so viel Wut auf die Umstände, auf mein damaliges Ich, das nicht adäquat gehandelt hat, auf die Situation, dass ich einfach nicht weiß, wohin damit. Die Wahrheit ist brutaler, als ich das aushalten kann.
Ich will nicht, dass es so ist. Ich will das nicht akzeptieren müssen. Und irgendwie hat mich ja auch niemand gefragt. Es kam niemand an und hat gesagt: „Pass mal auf Mondkind, Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder Du richtest Dein Leben in den nächsten Monaten mit einem psychisch schwer kranken Menschen ein und wirst sehr viel Deiner Energie dahin investieren, oder er stirbt und dann musst Du damit zurecht kommen. Und dann würdest Du es Dir einfacher machen, wenn Du lernst es zu akzeptieren, weil das nicht zu tun, unendlich viel Leid bedeutet.“
Es war einfach so, wie es war. Ich wurde nicht gefragt. Ich wurde nicht gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, so etwas zu akzeptieren.

Ich wurde nicht gefragt, ob das in Ordnung ist, ein Leben das gerade hätte okay werden können, damit zu krönen. Ich wurde nicht gefragt, ob ich nach allem, was über die Jahre passiert ist, noch ein bisschen mehr Drama aushalten kann.

Da hätten die neue Therapeutin und ich eine Thema für die nächste Stunde. Wenn ich es so lange in mir tragen kann, ohne zu explodieren. Und… - wie genau ich ihr erklären soll, mit wem ich da so ein aufwühlendes Gespräch hatte, wüsste ich auch noch nicht. Sie hat nie genau nach der psychiatrischen Vorgeschichte gefragt und ich... - habe mich mal ziemlich bedenkt gehalten.

Und ich frag mich was. Wenn ich mir abends überlege, wen ich in so einer Situation anrufen könnte, mit wem ich die Gedanken teilen könnte und mir mal wieder niemand einfällt.
Wieso können wir nicht einfach eine „normale“ Familie sein? Wo man auch mal Mama oder Papa anrufen könnte? Und etwas anderes, als oberflächlichen Small Talk führen könnte?
Wieso müssen meine Bezugspunkte immer extern sein? Warum war der erste Mensch – nach dem Herrn Kliniktherapeuten und dem Oberarzt, der mich damals auf der Station aufgegabelt und mich zu meiner Situation befragt hat – mit dem ich über den Freund geredet habe, die potentielle Bezugsperson? Und warum gehe ich mit allen Fragen, die ich so habe – sei es nun die Wohnung, die Steuererklärung oder sonstige Fragen, auf die ich keine Antwort habe, zu ihm? Und wie lange kann das halten?

Mondkind

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