Von Licht und Schatten

Es ist eine Achterbahnfahrt im Moment.
Zwischen Lächeln und Tränen können Sekunden vergehen. Ein guter Moment und plötzlich grätscht ein Gedanke dazwischen. Und dazwischen der Gedanke: „Lass es bitte mal kurz so bleiben. Einen Augenblick nur…“

Samstag.
Einkaufen, Putzen, Wäsche. Abends noch ein bisschen vorkochen. Verschlingt fast sämtliche vorhandene Energie.

Am Sonntag frei. Weil eine Kollegin unbedingt den Dienst machen wollte. Aber frei und erster  Fastsommertag – das ist Glück.
Mein Lieblingspark.
Ich sitze auf einer der Parkbänke. Auf einer, die im Herbst des letzten Jahres neu dorthin gestellt wurde. Auf dem Teich jagen sich die Enten durchs Wasser. In den Bäumen hört man die Tauben. Selbst die Tiere scheinen gute Laune zu haben. Ich habe einen ehemaligen Mitpatienten in der Leitung.
Es ist fast wie früher, wenn nicht doch alles anders wäre. Ich mag unsere Gespräche, die irgendwie immer einen gewissen Tiefgang haben. Und manchmal, während ich da so sitze und fast alles an die Zeiten von früher erinnert, meine ich fast, ich höre den Freund. 

Eine neue Bank im Lieblingspark. Sie war bisher noch nicht frei, ist aber ein super Platz, um die Enten zu beobachten, wie sie sich durchs Wasser jagen

 

Später am Nachmittag bin ich noch verabredet mit einer Kollegin, die aktuell bei uns PJ macht. Das ist – mal abgesehen von der potentiellen Bezugsperson – wirklich meine erste Verabredung live und in Farbe dieses Jahr. Wir treffen uns auf dem Marktplatz und essen ein Eis zusammen.
Und irgendwie ergibt sich ein Gespräch. Es gibt Erlebnisse, die verbinden. Von denen hat sie auch welche. Wir laufen noch zwei Mal komplett um die Stadtmauer und reden. Und verstehen uns. Irgendwie erinnert sie mich ein bisschen an mich selbst im PJ. Sie pendelt zwischen einer anderen Großstadt als ich und dem Ort in der Ferne. Sie wird aktuell von den Kardiologen betüddelt, ich wurde von den Neurologen betüddelt. Und vielleicht… - wenn wir noch ein bisschen Energie investieren – wird das die erste Freundschaft nach der Katastrophe. Wir haben Glück, dass sie ein Mädel ist, sonst könnte ich glaube ich noch niemanden an mich dran lassen. Aber sie hat mir schon jetzt angeboten, dass ich sie vielleicht nach dem PJ auch mal besuchen könnte um ihre Heimat kennen zu lernen.

Und dazwischen wird es dunkel. Ich möchte die guten Momente schätzen und ich möchte auch froh sein, dass ich nicht völlig aufgegeben habe und den sozialen Kontakt auch wieder suche.
Aber alles was neu ist, entfernt uns auch vom letzten gemeinsamen Punkt den der Freund und ich hatten. Zeigt, dass ein Leben ohne ihn möglich ist, das ich jetzt leben muss. Ist ein Anfang dahin, die Vergangenheit doch blasser werden zu lassen.
Jedes Jahr kommt ein neuer Frühling. Ich habe jetzt mit ganz anderen Menschen zu tun, als vor einem Jahr. Aber es ist doch nicht unbedingt schlecht. Sagt der Verstand.
Das Gefühl rebelliert.
Es kann nicht Frühling werden. Es kann nicht bald ein Jahr werden. Es kann nicht sein, dass ich ab Sonntagnachmittag sagen muss: „Ich habe seine Stimme ein Jahr nicht gehört.“ Es kann kein Leben ohne ihn geben. Das kann einfach nicht so sein. Und während ich mich noch versuche am Positiven festzuhalten, dankbar zu sein, fängt es an zu gewittern. Wohin mit diesem verdammten Gehirn? Es klopft ein Thema an, das zwischendurch nur ein Mal kurz da war, seitdem ich beschlossen habe, dass ich diese Dienste mache und die sicher kein Grund sind aufzugeben: Die Suizidalität. Ich habe sie schon in den letzten Tagen gespürt, habe gehofft, dass sie nicht kommt, wenn ich sie nicht beachte. Vermutlich ist das dasselbe wie immer: Überforderung. Weil auf allen guten Momenten doch ein Grauschleier liegt. Weil der Weg in die positiven Erfahrungen doch schnell umschlägt, wenn das Hirn begreift, dass positiv heißt, dass das „wir“ von damals die Bedeutung verliert. Dass das Kapitel geschlossen ist und man diese Geschichte nicht weiter schreiben kann. Auch nicht mit Pause. Ich werde die Geschichte, so wie sie jetzt ist, mit ins Grab nehmen. Auch, wenn ich das Ende gern umschreiben würde.

Ich habe all die rationalen Ratschläge der umstehenden Menschen, der Therapeuten im Ohr, was ich denn tun müsste. Und wenn ich die Energie habe – was zu selten ist – dann mache ich ja auch mal. Aber ich bin emotional nicht bereit. Ich kann nicht akzeptieren, dass ich weiter leben soll, wenn er tot ist. Ich kann nicht akzeptieren, dass sich unser „wir“ von damals aufgelöst hat. „Wir“ müsste doch heißen, wir fangen zusammen an und wir hören zusammen auf. Und nicht: Ich lasse Dich los, weil Du nicht mehr existierst. Und dann finde ich ein anderes wir. Weil mir das Leben wichtiger ist, als unser wir.

Es ist ein bisschen chaotisch. Weil ich doch froh sein möchte über das Zipfelchen Leben, das ich gerade schaffe zu leben. Und genau dieses Leben so viel Verzweiflung auslöst. Ob man das versteht, weiß ich nicht.
Ich gebe mir Mühe, dass die Situation hier nicht eskaliert. Das bringt niemandem etwas. In der Psychiatrie festzuhängen ist schlecht für den Job und zu sterben ist schlecht für mein Umfeld. Also atmen, vorwärts gehen und… - nicht zu sehr verzweifeln.

Mondkind

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