Wie geht's dir eigentlich?
Du sprichst mit mir, doch sagst mir nichts
Doch ich seh in dein'n Augen
Dass da noch was andres ist
Du weißt, dass du mir wichtig bist
Erzähl mir was, das tiefer liegt
Sag, wie geht's dir eigentlich?
Du hast solange nichts gesagt
Und sag jetzt nicht: "Ist alles gut"
Denn ich kenn dich gut genug
Ich wär so gerne für dich da
Wie geht's dir eigentlich?
(Florian Künstler – Wie geht's dir eigentlich)
Was bleibt, wenn die Worte fehlen?
Es kommt immer irgendwann der Punkt, an dem eine Mondkind ganz still
wird.
Und der ist jetzt. Weil es einfach keinen Sinn mehr hat.
Man versucht den Menschen etwas zu erzählen und da kommt einfach
nichts an – egal mit wie viel Bedacht ich die Worte wähle.
Ich vermisse die Therapiegespräche von früher. Der Therapieantrag ist
mittlerweile durch und die Krankenkasse hat mal 12 Stunden genehmigt.
Ich vermisse die Zeiten, in denen sich in der Ambulanz eine
eigenartige Ruhe über mich gelegt hat. Das Klackern der Schuhe von Frau
Therapeutin, wenn sie den Gang herunter gelaufen kam. Oder den Herrn Therapeuten, der
schon manchmal fast den Gang herunter gehüpft kam und immer „Wollen wir?“
gefragt hat.
Ich vermisse es mit diesem Kopf und den Emotionen für eine Stunde
sicher gewesen zu sein. Vermisse das Gefühl danach, entweder mit dem Freund
beim Kaffee zu sitzen und nochmal die Stunde passieren zu lassen oder im
Generellen zumindest das Gefühl zu haben, dass die Last auf den Schultern etwas
leichter ist.
Das gibt es bei der neuen Therapeutin alles nicht. Die Organisation
ist eher so semi und es ist wahnsinnig anstrengend in den 15 Minuten zwischen
Notaufnahme verlassen, schnell umziehen und Erreichen Ihres Hauses auf den
Therapiemodus zu switchen. Und hinterher genauso schnell zurück. „Mondkind, da
ist ein Stroke im CT, der ist auch noch im Lysezeitfenster…“ Und dann trabst Du
dahin, was kannst Du machen?
Wir schweigen viel in diesen Stunden. Mir fällt es schwer meinen Kopf
zu sortieren und da kommt auch wirklich Null Resonanz. Absolut nichts. Habe ich
noch nie erlebt. Verstehe ich nicht.
Das alte, sehr geschätzte Helfernetzwerk wird es nie mehr geben. Und zu wissen, dass man all die Stabilität, all die wertvollen Menschen, die so viel Sicherheit vermitteln konnten, gegen das jetzt eingetauscht hat…
Die Stille, das Unverständnis für meine Situation um mich herum tut
weh. Seit Wochen schon. Ganz vorsichtig habe ich versucht meine Fühler ein
wenig auszustrecken, nachzusehen wer geeignet wäre in den kommenden Wochen
Unterstützung zu sein. Und ich habe festgestellt, dass da niemand mehr ist.
Der Mensch, mit dem ich immer alles besprechen konnte, fehlt bald ein
Jahr. Der Mensch, der auf einer anderen Ebene, ungefähr als Familienersatz mit
dem Freund auf Augenhöhe war, kommt nicht mehr mit. Seine Ansichten stehen
konträr zu meinen und jedes Mal wenn ich versuche meine Situation zu erläutern,
erzählt er mir seine Theorie über meine Situation. Sie unterscheidet sich nicht
sehr von der des letzten Sommers, aber langsam habe ich mich dran gewöhnt. Er
gibt sich immer noch Mühe für mich – immerhin stehen seine Tomatenpflanzen auf
meinem Wintergarten – aber man muss sagen, dass wir uns trotzdem weit
voneinander entfernt haben. Gespräche, wie wir sie früher geführt haben, können
wir nicht mehr führen. Und ich muss gar nicht auf die Idee kommen zu fragen, ob
er an diesem Tag, an dem meine Welt zerbrochen ist, ein offenes Ohr für mich
hat. Das hat er nicht. Das kann er nicht.
Die Freunde von damals gibt es nicht mehr, die Familie war noch nie eine besonders große Hilfe. Herr Kliniktherapeut meinte das scheinbar wirklich ernst, dass er einfach geht; ich könnte maximal noch versuchen, Frau Therapeutin eine Mail zu schreiben und zu fragen, ob wir in den Tagen mal telefonieren könnten.
Ich glaube, ich würde ruhiger werden, wenn ich wüsste, dass mal ein
wirklich ernst gemeintes „Sag wie geht’s Dir eigentlich?“ kommt. Wenn ich
wüsste, dass irgendwer in dieser Nacht da sein kann, wenn der Kopf nicht mehr
kann. In dieser Woche davor, in diesen wenigen Tagen zwischen meinem
Geburtstag und seinem Tod, diesen Tagen, in denen ich letztes Jahr zum letzten
Mal in der Studienstadt war, unwissend, dass ich da gerade ein Kapitel
schließe, bis zu jenem Tag, der das Ende war.
Ich erwarte keine Wunder. Ich weiß, dass niemand das Geschehen rückgängig
machen kann. Aber ich wünsche mir die alten Tee – Momente mit Herrn
Kliniktherapeuten zurück – oder mit irgendwem, der das alternativ übernimmt.
Momente, in denen ich an Jahrestagen nicht über die Station rennen muss und
mich um halb sterbende Patienten kümmern muss. Sondern die Momente, in denen
bei einem Tee gefragt wurde: „Wie geht es der kleinen Mondkind eigentlich?“ Und
ich frage mich, ob all die Menschen, die sich das von außen anschauen,
irgendetwas davon quasseln wie es mir mit der Situation gehen müsste sich
bewusst sind was es heißt, den längsten und stabilsten zwischenmenschlichen
Kontakt so zu verlieren, wie es passiert ist.
Morgen früh machen wir Dienstplan. Dann sehen wir, was im Juni auf uns
wartet. Und ich frage mich, wie lange ich das Leben so noch kann. Es geht
einfach nicht. Und all die Hoffnungen, die ich so hatte, zerschlagen sich. Die
potentielle Bezugsperson kann es nicht mehr, mit der Therapie das läuft nicht.
Wie soll es besser werden… ? Ich kann es einfach nicht mehr…es fühlt sich so falsch an mit mir in dieser Welt. Ich passe hier irgendwie nicht mehr her. Ich hätte glaube ich mit unter gehen sollen bei diesem Knall. So ist es eher wie ein Marsmännchen auf der Erde, das nicht versteht, was hier eigentlich abgeht.
"Wie geht's Dir eigentlich?" ist ein Song, der berührt. Mit so einfachen Worten. Weil das manchmal alles ist, was es braucht.
Mondkind
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