Von Job und Gedankenchaos

Wenn das alles hier viel leichter wär'
Dann war's nie еcht, wenn das hier leichtеr wär'
Würd' es nicht brennen, mit dir zu reden wäre nur halb so schwer
Doch wir hab'n uns ja auch nie nur halb geliebt
Weil es einfach keine halbe Liebe gibt

(Florian Künstler – Halbe Liebe)

Und das… - hat mich gecatcht. Auch, wenn es eigentlich für die Lebenden gedacht war.
Ich weiß bis heute nicht, was das mit uns war. Irgendetwas zwischen Seelenverwandtschaft und Liebe – wobei es bei Letzterer, wie mir der Seelsorger mal irgendwann erklärte, viele Formen gibt. Auf jeden Fall war er der Mensch, der seit meinem Auszug zu Hause am nächsten mit dran war, im privaten Umfeld (nicht im Therapeutischen…) einer der einzigen Menschen, der uneingeschränkt hinter mir stand, mit dem ich über alles reden konnte vor allen Dingen hatte ich nie Angst, ihn zu verlieren. So wie es fünf Jahre lief, konnten uns nur Katastrophen des Außens trennen. Und das… - war DIE Katastrophe.

Es ist okay, dass es nicht leichter ist.
Es ist okay, dass ich zwischenzeitlich das Gefühl habe, dass das Herz einfach zerbrechen wird, dass ich nicht mehr atmen kann, dass es unmöglich sein wird, den nächsten Morgen zu erleben, auf Arbeit zu gehen, so tun als wäre nichts.
Denn wenn es leichter wäre, dann wäre es vielleicht nicht echt gewesen. Und es war echt.

***
Ich fahre nach Hause. Über den Saalewiesen geht die Sonne unter.
Ich denk an Dich.
Und ich frage mich, ob Du – wenn es andersherum passiert wäre – genauso wie ich gegen das Vergessen gekämpft hättest.

***
Ich schaue mir manchmal die Statistik vom Blog an. Und dann lese ich Blogeinträge von einer Mondkind, die im ersten Klinikaufenthalt gekämpft hat wie eine Löwin für ein besseres Leben. Und die sich danach – mit auch vielen Rückschritten dazwischen – versucht hat, in eine Normalität zu kämpfen. Die sicher oft zwischen wahnsinnig destruktiven Gedanken gefangen war, aber offensichtlich den Glauben daran, dass es besser werden kann, niemals so richtig aufgegeben hat. Und ich bin froh, dass diese Mondkind damals nicht wusste, was noch kommt. Dass sie versuchen konnte, ihr Studentenleben doch noch ein bisschen zu leben. Und nicht wusste, dass all die Sorgen von damals so bald überschattet werden. Dass aus dem Ziel irgendwann zu leben, erstmal das Ziel wird, den Suizid des Freundes langfristig zu überleben. Für ihn gegen das Vergessen zu kämpfen. Und es gibt so einen Auftritt von Darcy Oake, einem Magier bei einer amerikanischen Talentshow, der es auf bewegende Art zusammen gefasst hat: „Losing someone you love is like living with a brick in your pocket. The weight never goes away you just get used to carrying it around“ und wenig später „I’ve learned that it’s not wether the glass is half full or half empty. It’s being thankfull that there is even water in it at all.“

Und während - schematherapeutisch - die Kinder immer dieses psychiatrische / psychotherapeutische Netz gebraucht haben, oder auch die potentielle Bezugsperson, um - wie Frau Therapeutin mal sagte - zumindest bruchstückhaft die Unterstützung zu erleben, die eigentlich die Familie bieten sollte - brauchte die "erwachsene Mondkind" als ihren Gegenpart den Freund. Nur im Gegensatz zu den fragilen vertikalen Beziehungen der Kinder (weil es halt nicht umsonst "Nachbeelterung" heißt), schien das eine stabile, tragfähige, horizontale Beziehung zu sein. Um die man keine Angst haben muss.

Und irgendwie tut's weh zu sehen, dass die Welt auch ohne Dich grün wird...


***
Freitag. Brückentag. Entweder es wird ruhig, oder es wird völlig chaotisch, denke ich mir vorher. Es wird… - Letzteres.

Mit Urlaubern und erhöhtem Patientenaufkommen dekompensiert die komplette Neuro. Sowohl die Stationen, als auch die Notaufnahme.
Schon vor der Frühbesprechung habe ich die ersten drei Patienten. Einen mit Rückenschmerzen, einen mit Krampfanfall und einen wake – Up Stroke mit schwerer Hemiparese, Aphasie und Blickwendung. Leider im CT schon demarkiert und einen höhergradigen Gefäßverschluss gibt es zum allgemeinen Erstaunen auch nicht.

„Mondkind, alles was irgendwie geht, nach Hause schicken. Wir haben schon jetzt keine Betten mehr“, appelliert der Notaufnahme – Oberarzt, der heute die Stroke Unit vertreten muss und deshalb nur telefonisch zur Verfügung steht.
Während sich die Unterlagen der zu schreibenden Briefe auf meinem Schreibtisch stapeln, reißt der Patientenansturm nicht ab.
Irgendwann habe ich meinen Notaufnahme - Oberarzt in der Leitung. Eine Rehaklinik hat einen Patienten mit diffusen Sensibilitätsstörungen geschickt. „Mondkind ich habe gesagt für Kribbeln seit 10 Jahren, [die andere Oberärztin] anrufen.“ „Ja, aber der hat eine komplette Hemihypästhesie, plötzlich aufgetreten seit ein paar Tagen und im CT einen Schlaganfall. Der muss auf SU…“ Ich kann fast hören, wie er mit den Zähnen knirscht.
Kurz vor halb fünf kommt die letzte Verlegung aus einem Krankenhaus in einer benachbarten Stadt. Eigentlich sollten wir Synkopen abklären, weil sie – nachdem die Kardiologen ihr ein tachykardes Vorhofflimmern bescheinigt und es mit rhythmusstabilisierender Therapie in den Griff bekommen haben – immer noch umkippt. Ja sie kippt um, aber… - Überraschung: Sie hat auch eine Gürtelrose. Also erstmal Isozimmer, Nervenwasseruntersuchung und entsprechende Medikamente anfangen. Und Monitor. Weil sie ja auch umkippt.

Als der Dienstarzt kommt – und auch der kommt wegen Dekompensation der peripheren Station 45 Minuten zu spät – muss ich noch alles dokumentieren. Das mache ich dann bis halb 9 Uhr abends.
Auf dem Heimweg schaue ich nochmal ein meine Mails. Manchmal passieren ja Zeichen und Wunder. Und tatsächlich – ich hätte an einem Brückentag never damit gerechnet – aber Herr Kliniktherapeut hat geschrieben. Zwar ist das noch nicht so vielsagend und ich muss ihm erstmal noch eine Mail hinterher schreiben, damit er dann hoffentlich versteht, was ich mir von ihm wünsche, aber es ist zumindest überhaupt irgendetwas in diesen Zeiten. Irgendwie traue ich mich kaum, da jetzt etwas wie Hoffnung hinein zu investieren. Aber sie ist da. Am Ende doch wieder. Und ich kann nicht in Worte fassen, wie dankbar ich diesem Menschen bin.

***
Morgen habe ich Dienst. Werde über die Notaufnahme rasen, während ich vor einem Jahr das letzte Mal im Park gesessen habe und wir mehrere Stunden telefoniert haben. Und am Ende die falschen Entscheidungen getroffen haben. Und wisst Ihr, wenn ich so raus schaue, die Sonne scheint und ich Lust auf einen kleinen Spaziergang um die Burgmauer habe, dann tut mir immer noch das Herz weh. Jedes Mal.

Ich hoffe ich überstehe das. Die nächsten Tage. Die Verkettung von einer Fehleinschätzung mit der anderen. Bis mir klar wurde: Wir haben es vergeigt. 

Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen