31 Monate

Mein lieber Freund,
Deine Mum hat mir letztens ein Bild von Deinem Grab geschickt. Du hast mittlerweile nicht nur Kerzen und eine Schale mit Blumen vor Deinem Holzkreuz stehen; es gibt auch einen Kantenhocker auf dem Kreuz.
Und kürzlich war all diese Dekoration unter einer Schneehaube versteckt.
Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ein hübsches Grab doch auch für ein bisschen Frieden sorgt.

 

Eine Veränderung wie Tag und Nacht seitdem ich Dich das erste Mal dort oben besucht habe. Ich bin sehr stolz auf Deine Mama... und Du hoffentlich auch.


Für mich war der erste Monat dieses neuen Jahres doch sehr turbulent.
Ich habe mich viel an Dich erinnert und die Trennung vom lebenden Freund hat irgendwie mehr das Trauma mit Dir hoch geholt, als dass die Trennung an sich wirklich die Apokalypse gewesen wäre.
Jedes Mal wenn mich die Traurigkeit darüber, dass der gemeinsame Weg des ehemaligen Freundes und mir schon sehr viel schneller als erhofft wieder geendet hat überrollt, dann versuche ich mich zu erinnern, dass ich das Schlimmste schon erlebt und überlebt habe und dass es nicht mehr schlimmer wird. Wir leben und atmen beide noch, wir können unsere offenen Fragen noch klären – theoretisch zumindest - mit Dir war das alles nicht mehr möglich.
 
Ich sitze hier manchmal und frage mich, wie Du wohl auf diese Geschichte siehst. Bist Du froh, dass ich wieder alleine unterwegs bin und es keine Konkurrenz mehr für Dich gibt? Dass ich vielleicht am Ende sogar feststellen muss, dass das alles schnell und wunderschön war, aber vielleicht auch deswegen sehr kurzweilig?
Oder bist Du vielleicht sogar ein bisschen mit mir zusammen traurig, dass es für uns nicht gereicht hat, weil Du vielleicht auch gewollt hättest, dass ich mit einem Partner an meiner Seite wieder glücklich werde?

Der ehemalige Freund und ich haben die Tage nochmal telefoniert und ich habe ihn nochmal damit konfrontiert, was das seiner Meinung nach darstellen soll mit uns. Wir treffen uns, werden intim miteinander, aber haben keine Beziehung miteinander? „Beziehung ohne Bindung“, nennt er das nach wie vor. Und irgendwie bist Du mir sofort eingefallen und ein Kommentar von Dir, an den ich mich ewig nicht mehr erinnert habe, aber der dann in Deinem Originaltonfall in meinem Ohr war. „Also Mondkind, das ist die oberflächliche Spaßgesellschaft der heutigen Zeit…“, hättest Du zu unserer derzeitigen Beziehung gesagt und Dich super doll aufgeregt.
Ich hab nicht mal gesagt, dass diese Worte von Dir kommen. Ich habe nur gesagt: „Ein Mensch, den ich mal kannte, hätte dazu gesagt…“
Ich glaube, ich habe mich zu sehr verrannt darin, oder? Was meinst Du wie sehr hätte es zu mir gepasst, eine Beziehung ohne Bindung zu führen? Bin das ich? Wie willst Du denn mit Jemandem zusammen sein, von dem Du nie weißt, ob Du ihn nochmal wieder siehst, wenn Du gehst? Wie soll so etwas Zukunft haben? Wie soll man so eine Familie gründen? Eine Kollegin meinte, dieses Beziehungsmodell ist wahrscheinlich hundert Prozent das was er will und Null Prozent das, was ich will.
Ich glaube irgendwann muss ich zurück zu mir finden und mir eingestehen, dass ich meine Werte habe, an denen ich hänge und festhalte. Und die sich auch nicht unendlich ausdehnen lassen.

 
Es gibt ein neues, sehr frisch etabliertes Helfersystem. Es ging nicht mehr mit der potentiellen Bezugsperson, therapeutisch war ja ohnehin alles am Ende und als der Intensiv – Oberarzt mich in den letzten Tagen des letzten Dezember aufgegabelt hat (okay, ich sah halt auch entsprechend fertig aus und konnte das nicht mehr verbergen), dachte ich mir irgendwie, ich habe gerade wenig zu verlieren. Auf der Station bleibe ich ohnehin nicht mehr lang, maximal noch für die Dienste – allerdings konnte ich mir aus einem reinen Impuls heraus schwer vorstellen, dass ein Intensivmediziner sonderlich empathisch sein kann.
Aber das war er. Sehr sogar. Hat ein kleines Netz gebastelt, das jetzt erstmal trägt – Du musst Dir also keine Sorgen machen. Und irgendwo neu anzufangen heißt auch irgendwo neu ehrlich zu sein. Es ist der dritte Jahreswechsel ohne Dich gewesen und ein bisschen Sorge ist da natürlich schon da, verurteilt zu werden, wie ich nach so langer Zeit immer noch keinen Abschluss gefunden habe. Aber er erkennt das an und ich schäme mich zwar immer noch, aber tatsächlich weniger. Wir brauchen keine Details mehr in dieser Geschichte verbergen, um ernst genommen zu werden, um nicht verurteilt zu werden.
Einfach nur Du und Ich und das Wir dazwischen, das wir hatten, um das ich trauere; das reicht.
 
Ich habe viel mit Ängsten zu kämpfen gehabt im letzten Monat. Mehr als sonst, wenn ich alleine war. Und ich weiß, dass Du auch viel damit zu tun hattest. Ich habe oft an Dich gedacht, gespürt, wie Du gelitten haben musst, weil das jahrelang Dein Alltag war. Ich habe mir oft gewünscht, dass Du mir hättest einen Rat geben können, wie ich damit umgehen soll.
Mein Oberarzt hat mich Laufen geschickt, was irgendwie nicht so sehr bockt im Winter, da bin ich ehrlich, aber es hilft und damit ist es legitim.
 
Ich höre immer noch die Revolverheld – Songs hoch und runter, ich denke in meinen aktuell langen Nächten viel an Dich und viel an uns und mir wird noch so viel mehr bewusst als früher, dass diese Bindung die wir hatten, dieses beinahe bedingungslose Vertrauen ineinander so ein großes Geschenk war. Ein stückweit war es vielleicht irgendwann selbstverständlich für uns beide, aber eigentlich sollte es das nie sein.
Bindung, habe ich letztens dem ehemaligen Freund erklärt, ist für mich ein ganz tiefes Vertrauen. Und das heißt nicht, dass man miteinander verschmolzen durch das Leben gehen muss. Es heißt, dass man sich auch mal ein Stück voneinander entfernen kann, dass es umso schöner ist, wieder aufeinander zuzugehen, aber das Wichtigste: Dass man darin vertraut, sich immer wieder in der Mitte zu treffen. Ich glaube nur so war es möglich, dass Du eine zeitlang in Nürnberg und ich einige Zeit in im Ort in der Ferne gelebt habe, als Du noch in der Studienstadt warst. Wir wussten – egal was kommt, wir verlieren uns nicht.
Nur mit dem Tod – mit dem haben wir nicht gerechnet.

Ach und noch etwas wollte ich Dir sagen – deine Lieblingsärztin gehört jetzt auf der Arbeit zum Forschungsteam.
Ich habe mir versucht vorzustellen, was Du wohl so dazu sagen würdest und ich glaube, wir hätten unsere Diskussionen gehabt. Über den Sinn und Unsinn medizinischer Forschung (in meinem Fall geht es jetzt darum Zulassungsstudien zu betreuen und Patienten zu rekrutieren), darüber, dass ich noch mehr arbeiten würde und sich unser Teil des Jobs auch auf die Wochenenden und Nächte beschränkt, den Rest machen die Oberärzte.
Aber ich freue mich darauf; erstmal müssen wir noch ein paar Kurse besuchen.

Pass auf Dich auf und halt die Ohren steif.
Du fehlst hier. Ganz, ganz doll. Ich habe meinem Oberarzt jetzt den Song „Linie 7“ von Alexa Feser geschickt. Er hört ihn bis morgen; da wollen wir nochmal reden, wenn ich hoffentlich minimal Luft im Dienst habe. Und dann habe ich ihm letztens erzählt von unseren Bahnhofsmomenten. Da gab es wieder einen Augenblick, da waren die sehr präsent.

Ganz viel Liebe in Richtung Universum.
Mondkind


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