Wandel

Wir verabschieden uns mit einem „bis bald“.
Aber wann genau bis bald ist, weiß irgendwie keiner.
Am Wochenende ist er unterwegs, ich habe bis Ende nächster Woche Spätdienste und bin immer erst spät zu Hause. Bis bald heißt also wahrscheinlich: Bis Ende Februar.
Die Zeiten, in denen es wichtig war dem anderen trotz des Alltages einen Platz einzuräumen, sind eben vorbei.

Ich frag mich manchmal, ob ich ihm sagen soll, dass ich ihn immer noch liebe.
Aber wahrscheinlich würde das uns beide überfordern.

Und im Außen darf ich nicht mal erzählen, dass wir noch telefonieren.

Zwischenzeitlich haben wir nochmal über das Thema Bindung geredet. Der Freund ist der Meinung, dass kein Mensch auf dieser Welt Bindung braucht. Ich entgegne, dass ich letztens gelesen habe, dass Bindung ein psychisches Grundbedürfnis ist. Tatsächlich hat das Klaus Grawe gesagt, der irgendein Psychotherapieforscher war. Der verstorbene Freund hat viel von ihm gelesen und ständig hieß es in unseren Gesprächen „Mondkind, Klaus Grawe hat gesagt…“ Ich habe den Originaltonfall noch im Ohr. Dem ehemaligen Freund habe ich das mal erspart, das auseinander zu dröseln.
In jedem Fall ist Bindung für ihn ja weiterhin sehr negativ behaftet, während ich das nach wie vor als ein großes Privileg betrachte. Zumindest, wenn es eine freiwillige Bindung ist. Wenn es eine Bindung ist, im Rahmen derer sich beide immer wieder auf einem Mittelpunkt treffen. Das ist Sicherheit insofern, als dass ich dem anderen vertraue immer wieder zu diesem Punkt zurück zu kommen. Ich darf halt nicht ziehen am anderen, sondern muss geduldig auf ihn warten. Blöd wird es, wenn ich irgendwann auf diesem Mittelpunkt stehe, auf den anderen warte und der beschließt nicht mehr zu kommen. Wie eben bei uns passiert.

Was auch ziemlich interessant zu beobachten ist ist, wie sehr ich mich letztes Jahr verändert habe und auch wieder zurück gedreht habe.
Ich konnte das zwischenzeitlich nicht mehr nachvollziehen, wie man so leben kann, wie das jetzt der Fall ist. Der ehemalige Freund kam mir gestern auch um die Ecke und meinte, dass es eine Frage von Disziplin ist, ob man Energie für die simpelsten Dinge hat, oder nicht. Und ich kann nachvollziehen, wie er auf diesen Standpunkt kommt. Das letzte Jahr hat mich zwischenzeitlich so fest ins Leben gestellt, dass ich mich so verbunden mit der Welt gefühlt habe, so viele Ideen für die Zukunft hatte, mich so sehr darauf gefreut habe, bewusst jeden Tag genossen habe und die schwierigen Dinge – natürlich war das Arbeiten auf der Intensivstation alles andere als angenehm – einfach so hingenommen habe. Ich habe noch eine Bekannte, die ich in der Psychiatrie kennen gelernt habe, die mir jedes Mal wenn wir sprechen erzählt, wie schwer die Welt ist. Und ich konnte das kaum noch tolerieren. Denn egal, was ich gesagt habe – da kam nichts an. Als würde ich gegen eine Mauer reden, an der alles abprallt. Sie konnte mir nie zustimmen, dass das Leben manchmal schon ganz okay ist und ich konnte ihr das auch überhaupt nicht vermitteln. Das hat sich angefühlt, als würden wir grundsätzlich auf einer anderen Ebene diskutieren. Und in dem Zusammenhang habe ich auch nachvollziehen können, dass manche Menschen müde werden und das auch unglaublich viel Energie kostet, sich mit solchen Menschen auseinander zu setzen.
Und jetzt bin ich selbst wieder eine von denen, obwohl ich nie dahin zurück wollte.

Ich wünschte, ich hätte dort bleiben können wo ich letzten Sommer war, aber das konnte ich nicht. Und es tut weh zu sehen, dass die Tage langsam länger werden, dass die Welt sich auf den Frühling vorbereitet sich in mir nichts nach Aufwachen anfühlt.
Ich kann mich erinnern, dass einige Menschen um mich herum immer kritisiert haben, dass ich unglaublich viel in diese Beziehung rein stecke und von der Gegenseite wenig kam. Und irgendwie habe ich das in Teilen schon auch so wahrgenommen – ich wusste, was gemeint war. Aber ich glaube, man soll nicht den Aufwand gegeneinander aufrechnen. Sondern das sehen, was eben nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Dieser Mensch hat mein Leben bis ins Fundament auf den Kopf gestellt und so viel Licht in meine Wahrnehmung gebracht. Und vielleicht ist das eben das schönste Geschenk, das man von einem Menschen bekommen kann. Dieses Gefühl des Vertrauens in den anderen, ins Leben und in das, was auch immer da kommen mag. 





Nach dem letzten Sommer glaube ich, dass man unendlich viel Therapie machen kann und das einfach alles gar nichts bringt. Weil das nicht möglich ist, irgendwen mir rationalen Argumenten vom Leben zu überzeugen. Irgendwann muss das ein Gefühl werden. Das habe ich in kleineren Zusammenhängen schon öfter erlebt. Irgendwann fühlt sich irgendetwas einfach richtig oder eben nicht mehr richtig an. Klar ist es vielleicht mal schön ein Ohr zu haben – aber ich glaube mehr lässt sich schwer bewegen im Rahmen von Therapie. (Wahrscheinlich sehen das alle Therapeuten komplett anders und das ist auch okay).

Da das  jetzt aber alles nicht mehr so ist wie es mal war, ist die Frage, wie es weiter geht.
Oder eigentlich die primäre Frage, ob es weiter geht.
Es kann nicht bleiben, wie es jetzt ist – so viel ist klar. Und das heißt nicht, dass es nicht irgendwie gehen würde und das heißt auch nicht, dass man unbedingt eine Rechnung aufstellen sollte und die guten und schlechten Momente aufwiegen sollte (da käme nichts Gutes bei raus aktuell) – vielleicht sollte ich mich da einfach auf mein Gefühl verlassen.
Und im Moment sagt mir ein Gefühl täglich, dass es sich nicht mehr lohnt. Es geht eigentlich nur noch darum, die basalen Dinge irgendwie aufrecht zu erhalten. Arbeiten zu gehen, wobei von den ersten Kollegen die Rückmeldung kommt, dass ich sehr müde aussehe – wo ich immer schnell versichere, dass alles okay. Dann geht es darum, dass zu Hause der Haushalt nicht komplett versumpft, dass die Wäsche gewaschen wird und es etwas zu essen im Kühlschrank gibt. Aber Schönes gibt es eigentlich nicht mehr. Jeder Tag fühlt sich an, wie ein endloser Marathon, jeder Tag ist von so viel Sehnsucht, von so viel Vermissen geprägt und von der Frage, an welcher Stelle ich was hätte anders machen können, um ein anderes Ergebnis zu bekommen. Denn während der ehemalige Freund meine Welt zu einer Besseren gemacht hat, war das ja andersherum offensichtlich nicht der Fall. Und ich hätte gern auch sein Fundament auf den Kopf gestellt. Ich habe ihn gestern gefragt, wie es ihm mit mir ging und darauf kam keine vernünftige Antwort – wobei er hat wirklich selten darüber geredet hat, wie es ihm eigentlich geht, was ich immer als ein bisschen Zurückweisung erlebt habe.
Jedenfalls frage ich mich ganz im Ernst, ob das nicht okay wäre, zu gehen. Und das ist nicht böse gegen irgendwen gemeint – ich weiß, dass ich die Dinge akzeptieren muss, wie sie jetzt sind, dass ich nicht festhalten soll, dass jeder seine Entscheidungen trifft, aber ich treffe meine eben auch. Und für mich lohnt es sich eben nicht mehr. Andere Menschen beschließen auch, dass Dinge sich nicht mehr lohnen und natürlich sind die wenigsten Entscheidungen so radikal, aber ich möchte dieses Überleben nicht mehr. Ich habe doch immer gesagt, dass ich mir wünsche, es würde noch ein Mal okay werden. Und das war es doch. Es waren Pirouetten im Licht, von denen ich in meinen kühnsten Vorstellungen nicht mehr geglaubt habe, dass das nochmal möglich wäre. Ein besseres Finale hätte es nicht geben können. Ich habe jeden einzelnen Tag so bewusst wahrgenommen und genossen – wahrscheinlich ist das einer der großen Vorteile, wenn man so oft den Abgrund gesehen hat. Es ist nichts mehr selbstverständlich.
Und doch frage ich mich ein bisschen ob ich das so hätte akzeptieren können, wenn mir diese Gedanken jemand im letzten Sommer vorgetragen hätte. Kann man da mitgehen? Besprechen kann man das wohl mit niemandem mehr. Und wenn ich mir auch nur ansatzweise vorstelle, dass das Gegenüber sein Leben schon ganz gern hat, dann muss ich natürlich mit meiner Idee auf Widerstand treffen.

Ich überlegs mir noch ein paar Tage. Gehe still in mich. Aber vielleicht ist eben jetzt der beste Zeitpunkt. Warum soll ich das noch zwei Jahre machen um dann festzustellen, dass die letzten beiden Jahre so viel Leid waren, das vermeidbar gewesen wäre?
Zurückgezogen von den meisten Menschen habe ich mich schon irgendwie. Man hört wenig von mir und wenn man mich hört, dann meist, dass es mir gut geht.

Erstmal muss ich jetzt in die Nachbarstadt zur Frau des Oberarztes. Und danach früher als geplant in den Spätdienst wegen Personalmangel. (Ich glaube nur nicht, dass ich dann auch eher gehen kann…).
Und jedes Mal denke ich mir immer noch: Ich würde gern beim ehemaligen Freund vorbei fahren. Ich würde mir wünschen, dass wir uns vor dem Ende nochmal sehen. Ich würde ihn gern noch ein Mal spüren. Ein letztes Mal Pirouetten tanzen.


Mondkind

 

Kommentare

  1. Liebe Mondkind, ich lese deinen blog seit sehr sehr langer zeit. Wir hatten auch zwischendurch bei Instagram geschrieben und du hast dir netterweise immer mails durchgelesen (die ich an den Oberarzt verschicken wollte)...Ich habe deinen Blog schon gelesen, bevor dein Freund verstorben ist. Damals hast du mir geschrieben, dass du es sehr bald beenden wirst en und dann kam das mit deinem Freund. Es tat mir so unendlich leid und ich fand es unfassbar stark und mutig von dir, trotzdem irgendwie weiter zu atmen. Seitdem habe ich jeden neuen Eintrag und auch viele ältere Einträge gelesen. Du hast ein unfassbares Talent zu schreiben. Ich möchte dir jetzt keinen unendlich langen Kommentar hierhinschreiben, aber es war mir ein Bedürfnis dir nocheinmal zu schreiben. Vielleicht wäre es ok, wenn ich dir eine Mail schreibe? oder ist ein langer Kommentar auch in Ordnung? Ich habe Angst, dass du schon nicht mehr da bist. Und wenn doch, pass noch ein bisschen auf dich auf. Ich fühle mich so sehr mit dir verbunden...
    Und ich bin stolz auf dich und bin dankbar, dass du in dieser verrückten Welt deine Gedanken teilst. Dein Blog und deine Geschichte haben sich immer wie ein Buch angefühlt und ich habe mir immer ein Happy End für dich gewünscht, aber befürchtet das deine Geschichte traurig enden wird... Du bist ein wundervoller Mensch....

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    1. Ja ich kann mich tatsächlich erinnern. Damals dachte ich, ich bin wenigstens nicht die einzige Verrückte, die ihrem Oberarzt ab und an mal eine Mail schreibt… - also klar, Du kannst mir gern eine Mail schreiben. Mailadresse ist ja sicher bekannt, oder?

      Mondkind

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  2. Ich schliesse mich dem enorm berührenden Kommentar an! Ich las dich auch schon vor des verstorbenen Freundes Abschieds...Auch ich fiebere mit dir mit..Fühle mich verbunden & kenne auch selbst zu Genüge Suizidgedanken. Versuche gabs auch in meinem.Leben, zahlreiche, die allesamt hätten anders ausgehen sollen, weil es oft so war, dass die Ärzte mich schon tot (oder zumindest behindert) sahen...Nichts von alledem trat ein...Bis ich eines Tages nach einem erneut enorm schweren Suizdversuch entronnen war, den def. Entschluss fasste, entweder nun wirklich es entgültig zu machen oder aber mich ohne dieser Hintertür voll FÜRS Leben zu entscheiden, egal wie hart es kommen mag..Seit ich diese Hintertür nicht mehr habe, kam es nur noch einmal vor, dass es knapp wurde & ich mich zwar schwer selbst gefährdete aber es in Tat&Wahrheit kein direkter Versuch war (es war eher die Konsequenz meines damaligen Verhaltens & ich wusste dort tatsächlich nicht mehr wusste, wer ich war & was ich machte, da ich mich in einer drogeninduiziierten Psychose befand )...Diese Entscheidung zu treffen & sie auch durchzuziehen -und zwar RADIKAL -dies scheint mir bei chronischen Suizidgedanken der Schlüssel zu sein!!!!!! Moralisch gesehen verstünde ich auch , wenn man sich gegen das Leben entscheidet, dann aber auch radikal...Ich weiss nicht, ob du gerade noch lebst, würde es mir aber wünschen...Dieses Schweben zwischen Leben & Tod scheint zwar auch ein "Stabilisator" so paradox es klingen mag...Es ist aber ein Faktum, dass es anstrengend ist, so leben zu "müssen". Ich wünschte mir für dich SO sehr, das du diese Entscheidung für dich triffst!!!!!! Ich würde mir für die Welt & den Zugewinn & den Unterschied machst in der Welt wünschen, dass du dich für sich entscheidest. Nicht nur wegen der Welt, sondern auch, weil ich überzeugt bin, dass du die Ressourcen hast, zu leben & zwar qualitativ hoch! Du konntest es ja mit.jeder Faser deines Körpers geniessen im Sommer & ich bin mehr als nur ein bisschen überzeugt, dass dir das NIEMAND -"nur" du dir selbst - dir wegnehmen kannst. Ich würde mir wünschen, dass du in diesem Moment noch lebst& dich für eine neuartige Hilfe entscheidest mit dem Ziel einer Langzeittherapie bspw. Auf einer Psychotherapie-Station, um stationär therapeutisch an dir arbeiten zu können. Denn du hast alles, was es an Ressourcen braucht um ein lebendiges, vielfältiges Leben zu gestalten- du hast ein buntes, lebensfrohes Innenleben!!!!!! Ich glaube abeer du kommst nicht drum rum,eine raidkale Entscheidung für sich&dein Leben auf Erden oder aber für ein Leben im.Jenseots zu entscheiden, sofern du an ein solches Leben glaubst. Moralisch finde ich darfst du beides wählen aber als eben eine, die ebenfalls uer chronischen Suizidgedanken litt, rate ich dirherzlichst an dich zu entscheiden! DIess Schweben zwischen Lebeb & Tod, das Leben hast du tatsāchlich nicht verdient! Du verdienst alles, was du dir qünscht! Du hast dieFähigkeit -dessen bin.ich überezeugt- eine sehr ytabile, sehr gesusnde Beziehubg u führeb.Du jist beziehungsfähig in.meknem AUgeb..Nur da draussen gibts zu viel Kaputte Menachen, die eben diese Fāhigkeit tasächlich nicht (mehr) haben DEsWEGEN fällt es beziehungsfāhigen Menschen wie dir so schwer den Richtigen zu finden.Ich habe aber die Überzeugung, dass du ihn findest , sofern dudich für ein LEBEN auf Erden entscheidest! alles Liebe andich! Nicole

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  3. Hey Ihr Beiden,
    Danke erstmal für Eure lieben Worte.

    Ich habe einfach mal gedacht, ich gehe nochmal auf beide Kommentare ein, weil die sich ja auch inhaltlich überschneiden.
    Ich habe mir das nochmal durchgelesen, was ich da eigentlich geschrieben habe und das ist schon ein bisschen krass formuliert – das stimmt. Die letzte Woche war echt wild, was das Innenleben anbelangt. Langsam fühlt es sich ein bisschen wie Aufwachen an, als würde ich den Boden unter den Füßen wieder gewinnen und wieder ein bisschen Teil der Welt werden. Wie lange das allerdings hält, ist halt immer so die Frage. Instabil ist es allemal. Tatsächlich habe ich allerdings die letzten beiden Nächte mal halbwegs geschlafen, das allein ändert glaube ich schon viel. (Wenn einem die Omis im Krankenhaus etwas von Schlafstörungen erzählen, verdreht man ja gern mal die Augen, aber das ist echt nicht zu unterschätzen, wenn das Wochen und Monate geht…)

    Naja, irgendwie habe ich ja irgendwann mal beschlossen, dass ich den verstorbenen Freund auf meinen Schultern tragen möchte. Und ihn dadurch noch im Leben halten möchte, indem ich von ihm erzähle. Das können so wenige andere Menschen, weil er halt nicht viele soziale Kontakte hatte. Das war schon etwas wie ein Versprechen ans Leben. Dadurch, dass es eigentlich ein Versprechen an ihn war.

    Gleichzeitig gibt es eben immer die Zeiten, in denen mir jeglicher gute Willen verloren geht. Ich verstehe schon gut, dass dieses Schweben zwischen Leben und Sterben sehr anstrengend ist – das merke ich ja auch selbst. Das geht mit Sicherheit auch nicht die nächsten 60 Jahre. Und gleichzeitig hilft da jeder gute Willen eine endgültige Entscheidung zu treffen nicht, wenn das halt schon mehr als das halbe Leben zumindest mal eine gedankliche Problemlösungsstrategie bleibt. Ich konnte über Vieles in meinem Leben nicht selbst entscheiden, ich habe aus Vielem versucht das Beste zu machen und gleichzeitig bin ich auch dafür irgendwann mal zu müde. Frau Therapeutin hat mir bei meinem letzten Besuch in der Studienstadt zugestanden, dass dieses Problem nicht von heute auf morgen gelöst sein wird, eben weil es bekannte Denkmuster sind.
    Und gleichzeitig ist für mich immer wieder die Frage: Was hilft denn noch, wenn es so schwierig wird? Ich merke das ja häufig, wie ich da rein rutsche, komme aber selbst nicht mehr raus. Und das ist halt ein Thema – das ist mit den allermeisten Menschen nicht diskutierbar; obwohl es wahrscheinlich genau das wäre, das es bräuchte. Dass noch jemand auf dieser Abwärtsspirale dazwischen grätscht. Der Intensiv – Oberarzt weiß zumindest, dass es dieses Thema in meinem Leben gibt (da fällt mir gerade auf, das war jetzt schon das zweite Mal innerhalb von zwei Monaten…), aber den habe ich diesmal raus gehalten, obwohl er sehr gut reagiert hat damals. Halt mit engmaschigen Kontakt, auch immer wieder mit der Möglichkeit das zu thematisieren; er hat es mir selbst zugetraut die Grenze zu ziehen und hat mir aber auch versichert, mich in die Klinik zu begleiten, wenn es nötig ist. Ich glaube, mehr braucht es auch nicht. Aber er ist immer noch mein Oberarzt und ich möchte einfach nicht nochmal solche Verstrickungen, wie mit der potentiellen Bezugsperson. Abgesehen davon ist es natürlich für das direkte Umfeld trotzdem belastend, egal wie cool man auch reagieren mag und das möchte ich ja eigentlich überhaupt nicht. Hinsichtlich seiner Frau, wo das Thema vielleicht rein fachlich besser aufgehoben wäre, hat er mir aber geraten das nicht zu thematisieren, weil es eben ein Coaching und keine Therapie ist. Er meinte, das hieße nicht, dass seine Frau das nicht grundsätzlich händeln könnte, aber dann dürfte sie mich halt nicht weiter betreuen, weil sie Menschen mit psychiatrischen Diagnosen halt nicht betreuen darf und ich möchte das Helfersystem – auch wenn sie nur so semi hilfreich ist – gerade nicht sprengen.
    Aber vielleicht bespreche ich das einfach doch nochmal mit meinem OA? So nach der Akutphase, wenn sich keiner mehr Sorgen machen muss.

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  4. Was eine stationäre Psychotherapie anbelangt… - das geht halt echt nicht mehr. Der Arbeitgeber hat schon viel toleriert, wenn man es mal zusammen rechnet, habe ich seit Herbst 2019 14 Wochen gefehlt. Nochmal machen die das nicht mit. Und ich bin tatsächlich nach der Trennung nicht mehr bereit diesen Job her zu geben, weil er mich eben auch – neben der Belastung, die er auch ist – stabilisiert. Ich möchte mir nicht selbst zuschreiben müssen, jetzt auch noch meine berufliche Karriere – was ja so eines der wenigen Dinge ist, die noch funktionieren – vor die Wand gefahren zu haben. Und dann merke ich auch – habe ich schon beim letzten Klinikaufenthalt gemerkt – das ist nicht mehr diese „klassische Depression“. Die hatte ich auch mal und das ist jetzt überhaupt gar nicht abwertend gemeint – aber es gab eben mal eine Zeit, da habe ich mich in einer Patientengemeinschaft total wieder gefunden, weil die Denkmuster ja doch ähnlich sind. Aber seit dem Tod des Freundes, ist da eben auch viel anders und mir ist das sehr schwer gefallen im letzten Aufenthalt mich da irgendwo wieder zu finden.
    Was man natürlich theoretischerweise aber nochmal machen könnte wäre, tatsächlich erneut alle Therapeuten im Umkreis abzutelefonieren. Allerdings diese ganze Geschichte nochmal zu erzählen – allein die letzten drei Jahre… Das sind so viele Tabus, für die es unendlich viel Vertrauen braucht. Was denkt sich wohl ein Therapeut, wenn man dem erzählt, dass man mit seinem letzten Therapeuten eine Beziehung hatte?

    Aber ich soll irgendetwas tun, das stimmt schon. Nächste Woche wollen sich der OA und ich nochmal vor meine Spätdienst treffen, wenn es klappt – ich weiß noch nicht, worüber ich rede; viel auf dem Herzen habe ich schon. Mal sehen…

    Mondkind

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  5. Also ich glaube nicht, dass der Arbeitgeber etwas gegen ihnen Klinikaufenthalt tun kann, solltest du dich irgendwann noch einmal dafür entscheiden. In Deutschland gibt es Arbeitnehmerrechte und da kannst du nicht aufgrund von Krankheit entlassen werden, wenn du fest angestellt bist und das seit mehreren Jahren.
    Außerdem bist du Ärztin. Selbst wenn sie könnten, würden sie dich nicht entlassen, denn wenn sie dich 40 Wochen im Jahr haben könne, sind das noch 40 Wochen mehr als wenn sie dich nicht hätten. Es ist ja nicht so, dass die Bewerber für Assistenzarztstellen Schlange stehen.
    Ich bin selbst Ärztin, habe auch eine psychische Erkrankung und wahrscheinlich ungefähr so alt wie du. Und ich finde es unfassbar, was für ein Druck Krankenhäuser glauben auf ihr Personal ausüben zu können, aber das ist nur moralischer Druck. Denn rein praktisch, und ich weiß, dass du das nicht möchtest, aber könntest du bei dem Mangel an Ärzten innerhalb von einer Woche fünf andere Stellen bekommen, aber dein Haus eben keine fünf anderen Ärzte (die noch dazu so motiviert sind wie du und freiwillig jeden Dienst übernehmen). Dein Arbeitgeber wird, wenn du dich noch einmal eine stationäre Therapie machen möchtest, das wohl oder übel hinnehmen müssen.
    Ich habe nach einem knappen Jahr nach dem Examen gemerkt, dass ich mit diesen vermeintlichen Druck, den die auf einen ausüben, damit man Überstunden ohne Ende macht (zum Beispiel das Gefühl, wenn du dich jetzt nicht - auch drei Stunden nach Feierabend - um den Patienten kümmerst, dann tut es keiner. Was leider zu oft auch der Wahrheit entspricht, aber nicht eben die Verantwortung des einzelnen Arztes sein darf) noch die nächsten vierzig Jahre Leven möchte.
    Inzwischen wohne und arbeite ich in Skandinavien, Ärztemangel gibt es hier auch, aber man ist viel besser organisiert. Ich habe im letzten halben Jahr ca drei (!) Überstunden gemacht (die ich dann auch bezahlt bekommen habe. Und ausgebildet werde ich hier durch Motivation und konstruktive Kritik in der Supervision, nicht durch Druck.
    Ich finde es traurig, wie in Deutschland die wenigen Ärzte, die man noch hat behandelt werden. Und wie man Leute wie dich, die viel leisten können und wollen und die man durch eine zuverlässige wohlwollende Ausbildung zu richtig guten Fachärzten ausbilden könnte, so hängen lässt.
    Wenn ich, nachdem ich einen Dienst für eine erkrankte Kollegin übernommen habe, eine Mail von meinem Chef bekomme, dass ich die nächsten zwei Tage zu Hause bleiben soll, weil ich nicht mehr als sieben Tage am Stück arbeiten soll, könnte ich manchmal immer noch heulen. Weil das wirklich jemanden interessiert, wie es mir als Arbeitnehmer geht.

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  6. Hey,
    Danke erstmal für Dein langes Kommentar...
    Naja, ganz so, dass wir machen können was wir wollen als Assitenzärzte ist es eben auch nicht. Die Verträge sind halt auf zwei Jahre befristet und ich möchte das ehrlich gesagt nicht so gern ausprobieren, was passiert, wenn man ständig lange Fehlzeiten hat. Sicher hast Du damit Recht, dass ich an einem anderen Krankenhaus wieder einen Job finden könnte, aber ich glaube das dieses ständige Umziehen mich halt auch nicht mehr weiter bringt. Aber ich glaube, ich kann mich da auch ganz schlecht selbst einschätzen. Wenn ich mal die Ohren spitze, dann heißt es schon, dass man mich und meine Arbeit sehr schätzt, weil die natürlich wissen, dass sie bei mir eine Bank haben (wenn ich eben nicht gerade fehle). Ich kann vom Prinzip her jeden Dienst übernehmen, Früh- statt Spätdienst machen oder umgekehrt und wie oft hat mich der dienstplanverantwortliche Oberarzt angerufen und eingeleitet mit den Worten: "Mondkind, Du bist meine letzte Hoffnung." (Was natürlich auch Taktik war, schon klar...). Aber Du hast auch damit Recht, dass es einem niemand dankt. Ist schon eher Selbstverständlichkeit, Dienste zu übernehmen, nach Feierabend noch da zu sein; man wird ja auch mit einer völligen Selbstverständlichkeit um 19 Uhr noch angerufen, als sei das das Normalste der Welt, dann noch da zu sein...
    Ob die dann wirklich den Vertrag nicht verlängern würden weiß ich nicht, wobei das natürlich auch an der Personalabteilung hängt... - denke ich.

    Das klingt sehr interessant, was Du von Skandinavien erzählst. Hören tut man das ja öfter, dass die Arbeitsbedingungen dort oben besser sind. Ich muss aber schon auch immer sagen, dass ich die ausländischen Ärzte etwas bewundere. So ein anspruchsvoller Job und dann auch noch in einer fremden Sprache...

    Na mal sehen, wie das jetzt alles weiter geht. Ich hoffe schon, dass ich mich irgendwie stabilisieren kann.

    Mondkind

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