Von der Praxis und Gedanken zur Trennung

Der ehemalige Freund hat am Wochenende gefragt, ob ich ihm demnächst dabei helfe, die Praxis auszuräumen, in der er mittlerweile nicht mehr arbeitet. Da stehen ein paar sperrige Gegenstände, für die es sich lohnt ein Auto zu haben. Ich hoffe, er ist sich im Klaren, dass wir einen Kleinstwagen haben, aber ich bin mal gespannt, was das Auto so alles kann.

Diese Praxis.
Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass das ein bisschen emotional wird.
Ob es das für den Freund wird weiß ich nicht, aber mein Gehirn zieht ja gern Parallelen.
Die Praxis war dieser Ort, an dem wir verbale Pirouetten getanzt haben. Stundenlang darüber gesprochen haben, ob wir diese Beziehung von einer professionellen auf eine private Ebene heben. Es war dieser Ort, an dem wir uns zu Beginn noch mit ausreichend Abstand gegenüber gesessen haben, jeder in seiner Ecke. Als wir noch beim „Sie“ waren. Aus dem dann ein „Du“ und ein „Wir“ geworden ist. Als wir diesen Ort auf der professionellen Ebene verlassen haben, habe ich auch geglaubt und gehofft, aus diesem Helfersystem raus zu sein. Nach Jahren. Weil ich gefunden hatte, was ich so lange gesucht hatte.
Irgendwann sind wir noch mal zurückgekommen. Am Ende des Sommers. Wir hatten eine neue Stehlampe gekauft, weil die Alte zu laut war, wenn sie gebrannt hat und sie die manchmal notwendige Stille in der Therapie gestört hat. Wir haben sie gemeinsam aufgebaut, in die Ecke des Zimmer gestellt, haben noch mal Probe gesessen, so wie wir damals gesessen hatten, sind aufgestanden aus unseren Sesseln, aufeinander zu gegangen und haben uns geküsst in diesem Raum. Und das war der Moment, in dem ich geglaubt habe, dass ich und wir alles richtig gemacht haben.
Es würde okay werden. Endlich. Nach so langer Zeit. Nachdem ich so lange geglaubt habe, es würde kein okay mehr geben.
Und jetzt kommen wir zurück. Wir haben alles riskiert. Und alles verloren. Wir bauen die Zelte ab. Die heile Welt von damals. Die Zukunftspläne. Beruflich und privat.

Ich frag mich manchmal, was wohl heute wäre, hätten wir uns damals nicht für diesen Weg entschieden. Sicher würde der ehemalige Freund immer noch seine Ausbildung machen und ich würde vielleicht immer noch jede Woche, oder alle zwei Wochen, bei ihm herum sitzen. Hätte meinen Raum zum Sein, um die Fragen des Lebens zu stellen. Und würde mich vielleicht auch immer fragen, was passiert wäre, hätten wir es damals gewagt. Ob ich das Gefühl hätte, etwas verpasst zu haben? Wer wäre ich heute ohne diese Erfahrungen?
Und vielleicht wäre ich alle zwei Monate mal ein bisschen traurig, wenn er viele hundert Kilometer weit weg im Ausbildungsinstitut abhängt und dafür die Therapiestunde ausfällt. Mir der Raum zur Reflektion mal für eine Woche fehlt. 


Das Sitzen und Warten vor der Therapie war immer so viel Ruhe...



Eine Kollegin und ich sitzen beim Mittagessen.
Ich frag mich laut, wie Trennung geht.
„Ich merke, es wird anders“, sage ich. „Und ich glaube langsam, ich bin allmählich auf dem richtigen Weg, einen Umgang zu finden. Ich glaube nicht, dass ich zu den Menschen gehören möchte, die sagen möchte, dass man sich nach einer Trennung nie wieder hören und sehen soll. Man hat immerhin viel geteilt, man hat sich mal irgendwann aktiv für den anderen im Leben entschieden, es war der größte Wunsch. Ich glaube, es ist okay, dass so ein Mensch bleibt. Aber ich merke auch, eine langsam einsetzende, emotionale Distanz. Ich glaube die wäre nicht da, hätte er sich nicht von mir getrennt, aber er hat es getan und er hat mich verletzt – sehr sogar. (Ich glaube, das ist der Unterschied zum verstorbenen Freund. Ich habe mich nie verlassen von ihm gefühlt - auch wenn das auch eine Form des Verlassens war - und konnte daher nie diese Distanz entwickeln). Und ich glaube, das dauert noch ein bisschen, aber ich möchte dahin kommen zu sagen: „Ich freue mich, wenn wir uns sehen. Und ich bin okay damit, wenn wir uns nicht sehen.“ Vielleicht kann es so werden, wie mit zwei alten Bekannten. Man kann immer mal einen Kaffee trinken miteinander, eine Runde quatschen, aber es ist nicht mehr so ein Fehlen, wenn der andere nicht da ist.“
Die Kollegin zieht die Augenbrauen nach oben. „Aber dann bist Du doch nie so richtig bereit für etwas Neues Mondkind. Gibt es da nicht immer noch Hoffnung?“
„Ich glaube in der Idealvorstellung davon nicht“, entgegne ich. „Auch, wenn ich davon noch ein Stück entfernt bin. Ich bin bald 30 und das ist meine erste Trennung. Ich hab eigentlich keine Ahnung davon.“

Ich glaube die erste „Prüfung“, ob dieses Konzept aufgehen kann, kommt schon nächsten Monat. Wenn er zweieinhalb Wochen nicht mal in der Gegend ist. Damit tue ich mich immer schwer. Zu wissen, dass man den anderen nicht einfach besuchen kann, selbst wenn Beide das wollen würden.
In der Idealvorstellung wäre es manchmal ein latentes Fehlen, aber kein brutales Vermissen.


Mondkind


Kommentare

  1. Dir ist schon klar, dass Du mit diesem Verhalten immer das Opfer in der Trennung sein wirst, oder? Dass Du selber den Schmerz fortführst, weil Du durch Deine früheren Erfahrungen so sehr gewohnt bist, nicht anders behandelt zu werden?

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    1. Guten Morgen,
      naja ehrlich gesagt - so klar ist mir das nicht.
      Ich weiß nicht, ob das zu naiv ist, aber ich habe den Eindruck, dass es da ein bisschen um eine emotionale Distanz geht. Und ob die sich besser aufbauen lässt, wenn man sich einfach nicht mehr sieht...?

      Tatsächlich mache ich mir gerade auch viele Gedanken zum Thema "früher". Aber dazu an anderer Stelle mehr. Ich muss das auch erstmal für mich sortieren.

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