Home

Maybe surrounded by
A million people, I,
Still feel all alone
I just wanna go home
Oh, I miss you, you know

(Westlife – Home)


Mehr als 10 Jahre ist das her... - unglaublich...

Sommer 2012
Wenige Tage nach dem Abitur.
Meine Schwester und ich waren in Dublin.
Croke Park Stadium.
Tausende Menschen.
Die Musik so laut, dass man sich gegenseitig nicht mehr gehört hat.
Dass man bei und mit sich bleiben musste, weil die Musik alles übertönt hat.
Und mitten drin. „Home“. (Mir ist wohl bewusst, dass das Original nicht von Westlife ist).
Ich habe selten etwas Emotionaleres erlebt. Etwas, das mich mehr berührt hat.
„Home“ war meine Hymne.
All die Jahre über.
Und hier… - hier haben sich Kreise geschlossen.

Der Song kam 2007 raus.
Schon nachdem sich unsere Eltern getrennt hatten.
Die CD der damaligen Lieblingsband hatte ich schon in der Nacht der Veröffentlichung auf Dauerschleife gehört.
Und „Home“ hat mich am Meisten bewegt.
Das Thema ist so uralt.
Sogar noch älter als die Trennung meiner Eltern.
Denn ein zu Hause war dieser Ort an dem ich gelebt habe mit den all den unterschwelligen, aber nie ausgesprochenen Konflikten schon lange nicht mehr.

„Home“ habe ich zum „Nach – Hause – kommen – Song“ erklärt.
Bei Papa hat es sich damals immerhin noch mehr zu Hause angefühlt als bei Mama, wenngleich seine Freundin von Anfang an schwer umgänglich war, weil ich einen teils so impulsiven Charakter nicht gewohnt war.
„Home“ gab es also nur alle zwei Wochen auf die Ohren, Freitags vom Heimweg aus der Schule. Nachdem auf der immer sorgsam vor der Mama verstecken Liste die Tage zu Ende rückwärts gezählt waren und ich am Morgen die 1 durchgestrichen hatte.

2011, mehr als fünf Jahre nachdem über die Nacht dieses ohnehin schon bröckelige zu Hause zusammen gebrochen war, waren unser Papa, meine Schwester und ich in Irland. Es war eine Woche Zeit zurück drehen. Nur wir drei verrückten Nudeln. Die in einer Woche ganz Irland gesehen haben. Außer Nordirland.
Und wahrscheinlich war es unter anderen das Erleben dieser zwischenmenschlichen Bindung, die mich danach drei Mal zurück in das Land gebracht hat. Immer auf der Suche. Aber das, was wir damals hatten, habe ich nie mehr gefunden. Und um Studium hat dann das Geld einfach nicht mehr gereicht.
Und Papa und ich – wir haben uns irgendwann entfernt.

Ich habe nie aufgehört zu suchen.
Und da zu Hause ein Gefühl ist und immer irgendwo in der Mitte ist, braucht es mehr als einen Ort und mehr als mich selbst, um das zu definieren.
Und als ich nachts letztens nach dem immer wieder kehrenden Alptraum der letzten Wochen hoch geschreckt bin, habe ich durch meinen uralten mp3 – Player gescrollt, der mich immer noch täglich begleitet.
Und dabei bin ich über diesen Song gestolpert.

Und dabei habe ich eine Verbindung mit der alten Mondkind gespürt. Der seit diesem Tag, an dem unser Vater ging, ein zu Hause gefehlt hat. Es war ein Satz, eine Entscheidung der „Großen“, an der wir kein Mitspracherecht hatten. Wenig später stand er auf der Türschwelle und hat das Leben wie es war, mitgenommen. Die Freude kam nie zurück in dieses Haus.
Und irgendwann – irgendwann bin ich selbst raus gegangen und habe gesucht. Bin unzählige Male umgezogen, wie der verstorbene Freund, bis ich wahrscheinlich von ihm bei einem unserer langen Café – Dates gelernt habe, dass Umziehen nichts bringt. Und zum Ersten Mal verstanden habe, dass wir da nicht von einem Ort reden. Warum ich so oft in Irland war, ist mir erst viel später bewusst geworden.
Ich bin schon misstrauisch, was zu Hause anbelangt.
Aber im verstorbenen Freund konnte ich mich anlehnen. Zwischen ihm und mir war ein Band, das man zu Hause nennen konnte. Und da es ihn nicht mehr gibt, zieht es mich eben doch an die Orte, an denen wir gemeinsam waren und die größte Verbundenheit gespürt haben. Wenn ich Heimweh habe, dann denke ich an die schönsten Plätze und Cafés der Studienstadt.

Und der ehemalige Freund, der war auch zu Hause.
Ich weiß bis heute nicht, wie es passieren konnte. So schnell, mit so einer Intensität, mit dem Flattern in mir und der Angst zu verlieren, wenn ich zu schnell zu sehr vertraue, aber irgendwie schien es zu passen. Und ich kann mich dunkel an den Gedanken erinnern, dass es auch okay ist, wenn er das letzte Kapitel meines Lebens wird. Ich hatte nicht mehr viel zu verlieren in diesem Winter vor einem Jahr. Nachdem sieben Wochen Psychosomatik diese Erschöpfung kaum durchbrechen konnten, die jetzt wieder so überpräsent ist.
Und dann schien ich ausnahmsweise mal zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Und die Erschöpfung, die durchbrechen wohl auch eher keine Therapien und unendlich viel ausruhen. Sondern sein zu dürfen. An einem Ort, an dem man liebt, geliebt wird und willkommen ist. Das lädt die Batterien auf.

Und wenn in dem Song „Home“ das zu Hause mit dem Vermissen einer Person gleichgesetzt wird, dann kann meine Wahrnehmung zumindest nicht grundlegend anders sein, als die aller anderen Menschen.
Und vielleicht erklärt genau das die Erschöpfung. Die heute noch kein bisschen besser war.
Dieses jahrzehntelange Suchen. Das stille Hoffen. Dieses immer wieder Verlieren fast bevor es gut ist. Und das was da fehlt, dafür gibt es keine Worte. Das ist ein Gefühl mit einer immensen Stärke und Präsenz. Dessen Ignoranz - und die muss da ja sein, weil es auch ohne zu Hause weiter gehen muss - vielleicht die Grenzen des Machbaren sind. Und ich alleine kann es auch nicht lösen. Wenn zu Hause genau in der Mitte zwischen meinem Gegenüber und mir ist.

Ob ich das wohl noch finde, irgendwann?
Vielleicht ist das der größte Wunsch einer Mondkind. Nach Hause kommen. Und wahrscheinlich würde da so viel alte Mondkind sein, wenn ich ein Ort hätte, an dem ich bleiben könnte.

Mondkind


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