Ein bisschen Reflexion

Nachmittags halb 5.
Der Wecker klingelt.
Eigentlich war der Plan gewesen noch joggen zu gehen und dabei ein paar Sonnenstrahlen abzubekommen. Aber der Körper streikt. Mir wird schon auf dem Weg ins Bad schwindelig, mein Magen rebelliert auch. Ich hatte wirklich sehr gebetet, dass es ein ruhiger Dienst wird, weil ich aktuell so erschöpft bin, dass da nicht viele Reserven sind. Und es sah auch erst aus, als würde es der ruhigste Notaufnahme – Dienst meiner bisherigen Karriere werden. Bis Mitternacht hatte ich einen Patienten in der ZNA und ein bisschen Stationsarbeit; vor Mitternacht zu Bett gehen lohnt sich allerdings genau wegen der Station eigentlich nie.
Aber ab Mitternacht kam bis in die Morgenstunden ein Patient nach dem anderen und somit lag die Bilanz am Ende der Nacht bei Null Minuten Schlaf. Und während das in der Nacht immer noch alles machbar bleibt, weil die Stroke Alarme das Adrenalin schon hoch halten, legt sich mit dem Verlassen der Klinik und in dem Wissen den Dienst bewältigt zu haben, eine bleierne Müdigkeit über mich. (Die „hypomanen Phasen“, wie mein Oberarzt sie früher immer genannt hat, wenn ich nach dem Dienst wie ein Grashüpfer über die Station gesprungen bin und geredet habe wie ein Wasserfall (und das am Rande sogar selbst bemerkt habe, dass es schon ein bisschen „drüber“ ist, das aber nicht abstellen konnte), sind in den allermeisten Fällen vorbei).

Ich denk immer noch viel nach und versuche viel zu reflektieren (was aber bisweilen schwierig ist, weil eine Resonanz von einem möglichen Gegenüber fehlt. Café – Dates wären aktuell wahrscheinlich schwer in Mode…)
Ab Morgen liegt wieder ein freies Wochenende vor mir. Es bleibt immer noch schwer zu akzeptieren, dass ich dem ehemaligen Freund vor Monaten gesagt habe, dass wir Anfang des Jahres mehr Zeit füreinander haben werden und wir das eben jetzt nicht mehr nutzen können. (Heute Nacht kam mir sogar mal der Gedanke, dass er jetzt donnerstags immer frei hat und so ein Dienst von Mittwoch auf Donnerstag eigentlich absolut perfekt für unsere Umstände wäre…). Es ist nicht so, als hätte ich nichts zu tun; es gibt schon einige To Do’s fürs Wochenende und dennoch tut es weiterhin seltsam weh.

Und manchmal denke ich nach, wer in dieser Beziehung eigentlich welchen Anteil für das Scheitern hatte. Wie diese eigenartige Dynamik zu Stande gekommen ist. Ich kann immer noch nicht verstehen, wie aus so viel Liebe so viel Ablehnung geworden ist. Oder zumindest eine Ambivalenz dazwischen.
Der Oberarzt sagt, dass ich das ganz einfach so sehen soll, dass die Lebenskonzepte nicht zusammen gepasst haben. Dass es am Ende des Tages auf keiner Seite etwas mit Schuld zu tun hat und ich einfach daraus lernen sollte, das nächste Mal besser das Lebenskonzept des anderen abzustecken, bevor ich mich auf eine Beziehung einlasse um es zu vermeiden, so verletzt zu werden. Ich mag manchmal seinen Pragmatismus und vor allen Dingen mag ich seine Art wie ein Papa mit mir zu reden, der das Beste für sein Töchterchen möchte, ohne es zu bevormunden.
Aber ich weiß nicht, ob das nicht in Wahrheit mehr ist. Es ist schwer zu erklären, aber manchmal glaube ich, muss man erst in den alten Beziehungen und in sich selbst ein bisschen aufräumen, um selbst gut reflektieren zu können, was man in Beziehungen tut. Es ist jedenfalls interessant zu sehen, wie aus ehemals von mir als romantisch eingeschätzten Situationen fast ein wahrgenommener Überfall seitens des Freundes wurde. Es ist irgendwie auch interessant zu sehen, wie „einfach“ wir mal waren und wie sehr der Anspruch gewachsen ist über die Zeit; vielleicht über das hinaus, das wir beide tragen konnten. Am Anfang haben wir uns manchmal gesagt: „Hauptsache, wir verbringen Zeit miteinander.“ Und wenn wir sie auch im Auto versitzen, weil wir mal schnell 800 Kilometer zum Ausbildungsinstitut fahren müssen und dort noch schwierige Gespräche führen müssen, aber wenigstens haben wir uns.

Manchmal überlege ich, dass ich das Glück vielleicht auch einfach nicht mehr tragen konnte. Wenn man von Anfang an die Überzeugung hat, dass Dinge die gut sind nicht bleiben können, dann ist jedes „gut“ auch irgendwo eine Belastung. Denn jeder gute Moment macht es schwerer, das Glück wieder ziehen zu lassen. Auch, wenn mir natürlich mittlerweile bewusst ist, dass Glück vielleicht auch nur deswegen Glück ist, weil es temporär ist und verschwindet, sobald es zur Gewohnheit wird.
Und dennoch kann ich mich erinnern, dass ich an den ersten Wochenenden oft geweint habe, als wir uns verabschieden mussten, weil ich irgendwie jedes Mal Angst hatte, dass das Glück vielleicht innerhalb der Woche verloren geht. Wer garantiert mir denn, dass der Freund mich nächste Woche auch noch sehen möchte?
Vielleicht haben die Einsamkeit und der Schmerz auch auf tragische Weise so etwas Vertrautes, dass er sich sicherer anfühlt, als es das Flattern des Glücks getan hat. Vielleicht habe ich dem Freund auch Unrecht getan und manchmal Negatives in seine Taten und Worte hinein gelesen, das da gar nicht war? Natürlich war das auch „einfach“, eben weil sein Lebenskonzept so anders und fremd war. Und wenn ich wieder mit einer meiner Kolleginnen über diese Beziehung gesprochen habe, die selbst mal mit einem Psychologen zusammen war, der sie nach 10 Jahren Beziehung kurz vor der Hochzeit verlassen hat, um eine Andere zu heiraten und mit ihr ein Kind zu bekommen, dann hat sie eher ihren Schmerz in meine Beziehung projiziert und mir den ganzen Sommer über erzählt, dass dieser Mensch mir nicht gut tut. Und manchmal habe ich mich da sehr bestätigt gesehen und habe dem ehemaligen Freund damit vielleicht sehr viel Unrecht getan – so etwas hätte er jedenfalls nicht gemacht; da bin ich mir sicher.
Und während diese Distanz zwischen uns und meine innerlich gefühlte Sicherheit, dass ein Verlassen werden keine Katastrophe wäre, weil wir uns vielleicht doch nicht so lieben, vielleicht für eine temporäre Entlastung gesorgt hat, hat sie es am Ende auch nur schlimmer gemacht. Und die tiefsten Grundüberzeugungen wieder bestätigt. 


Ein Bild aus dem Sommer... - immer noch schwer zu begreifen, dass das vor wenigen Monaten meine Realität war... es war so schön.


Heute glaube ich auch, dass „die Großen“ Recht haben, die wir damals natürlich nicht sehen wollten. Eine Beziehung, die mit so einem Trauma geendet hat, braucht eine sensible und bewusste Aufarbeitung. Ich glaube, dass all die Ideen von „Mondkind, Dein verstorbener Freund würde Dir nichts mehr gönnen, als dass Du in einer neuen Beziehung wieder glücklich wirst“ und all das, was man so sagt deswegen nicht funktionieren kann, weil wir mit einer großen, unausgesprochenen Wut auseinander gegangen sind. Auch wenn ein Suizid nicht als Statement gemeint sein mag, ist es schwierig, das nicht als solches zu interpretieren. Schwierig darin nicht zu sehen: „Du konntest und wolltest nicht für mich da sein, so wie ich das gebraucht habe und deshalb musste ich das tun.“ Da ist nichts Liebevolles am Ende und deswegen sehe ich diese Sätze wahrscheinlich nicht in mir. Und auch, wenn die meisten Beziehungen vor ihrem Ende nicht mit dem großen Finale enden, weil der Tod – selbst wenn er erwartet ist, am Ende meist doch irgendwie unerwartet ums Eck kommt – aber vielleicht kann doch die Überzeugung zwischen Partnern bleiben zu lieben und geliebt worden zu sein. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass das bei uns einfach nicht so ist. Und ich versuche irgendwie die Liebe für uns beide zu tragen.
Und ich glaube deswegen – und auch wegen meiner allgemeinen Überzeugungen gegenüber dem Leben – braucht eine neue Beziehung auch viel Begleitung und Unterstützung. Eben, um gut zu reflektieren; um nichts dem Partner gegenüber zu machen oder zu sagen, das nicht mehr gut zu machen ist, aber dessen Ursprung eben nicht im Partner, sondern in einem selbst liegt.

Tatsächlich hat aber auch mal mein Oberarzt gesagt, dass er es nicht für sinnvoll hält eine neue Beziehung zu führen, bevor ich nicht aufgeräumt habe. Und gleichzeitig würde er das was war, nicht als Fehler betrachten. Es ist ein Lernprozess – wie so Vieles andere im Leben auch. Ich habe halt spät angefangen zu leben. Und spät angefangen zu lernen.

Ich denke über Träume nach und darüber, wie es sich anfühlt, die verwirklichen zu dürfen. Und ich denke daran, dass „fast“ doch immer irgendwie das Schwierigste daran ist. „Fast wären der verstorbene Freund und ich nach all den Jahren hier im Ort in der Ferne zusammen gezogen und hätten uns endlich den Traum verwirklicht, den Alltag gemeinsam zu meistern.“ Und „fast hätte ich es nach über zwei Jahren zurück in die Normalität geschafft, eine neue Beziehung leben zu können, Zukunftsperspektiven zu sehen wie ein simpler gemeinsamer Urlaub oder irgendwann eine gemeinsame Familie.“ Kurz davor zu scheitern ist vielleicht das Schlimmste, das man verlieren kann. Denn die Realität entwertet auch immer die romantisierten Träume ein bisschen. Vielleicht hätten der verstorbene Freund und ich sich auch viel hier gestritten in meiner Wohnung, vielleicht hätten wir uns getrennt und wären heute nicht mehr zusammen. Aber in meiner „Fast – Vorstellung“ gibt es das nicht. Da wären wir geworden, wie das Ehepaar, das ich auf meiner Station erlebt habe vor ein paar Tagen. Jahrzehnte zusammen, bis das Ende des Lebens uns überrascht.

So, ich hoffe, ich habe nicht zu viel Murks von mir gegeben. Ich bin immer noch sehr erschöpft und versuche ein bisschen Kraft zu tanken bis morgen. Wir werden schlecht besetzt sein. Aber immerhin ist Freitag.

Mondkind


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