Leihgabe

 Das Leben ändert sich.
Mittwochabend.
Ich war etwas später von der Arbeit zu Hause, weil ich noch einen Brief über einen Patienten schreiben musste, von dem wir glauben, dass er eine ZNS – Vaskulitis hat. Das sieht man nicht jeden Tag, das ist viel Diagnostik und folglich ist der Brief sehr aufwändig – nicht zuletzt weil auch eine Menge Differentialdiagnosen diskutiert werden müssen. „Mondkind, ich erwarte zeitgleich einen Roman und ein Gedicht von Dir“, hat er ZNA – Oberarzt gesagt, der den Patienten mit mir betreut hat.
Am Abend war ich schnell eine Runde laufen – langsam wird das wirklich zur Routine – danach habe ich mich noch in eine Online – Fortbildung zum Thema Parkinson gesetzt und jetzt sitze ich mit einem Kakao auf dem Sofa. Ich schaue nochmal in meine Mails – mein Oberarzt hat mir geschrieben und zugesagt, dass ich ins Forschungsteam darf. Das wird wirklich aufwändig, gerade gestern ging es den ganzen Tag zwischen den Oberärzten darum, ob ein Patient hätte eingeschlossen werden sollen in eine Studie oder nicht. Aber ich freue mich darauf. Aktuell brauchen wir dafür allerdings noch eine Schulung, die im März angeboten wird und dann sollen wir untereinander eine Rufbereitschaft für die Nächte und Wochenenden etablieren; im Tagesgeschäft werden weiterhin die Oberärzte zuständig sein.
Gestern wurde ich auch gefragt, ob ich nicht ein paar Flowcharts aus dem Intranet überarbeiten möchte. (Wer schon länger mitliest weiß, dass mein Oberarzt und ich das vor circa zwei Jahren auch schon mal gemacht haben…) Am Abend meldet sich noch ein Kollege, der am Samstag Visitendienst hat, das irgendwie etwas verschlafen hat und nun anders verplant ist. Er fragt, ob ich den nicht übernehmen könnte, zumal er schon letztes Wochenende gearbeitet hat und auch das Nächste wieder arbeiten muss. „Kann ich machen…“, schreibe ich.

Ich glaube, ich muss tatsächlich aufpassen, dass die Arbeit nicht zu sehr meine Ablenkung wird vor dem, was mich sonst bewegt. Aber aktuell habe ich – neben der sehr großen Erschöpfung – viel Freude daran.

Es ist schon irgendwie merkwürdig alles.
Ich sitze mit einem Kakao an diesem Mittwochabend auf meinem Sofa und frage mich, was der ehemalige Freund wohl gerade macht. Videospiele spielen wahrscheinlich. Die Einsamkeit treibt merkwürdige Blüten. Ich arbeite wieder wie eine Verrückte… - und er spielt eben Videospiele. So haben wir uns beide nicht kennen gelernt.
Aber das sind eben die Menschen, die wir jetzt erstmal geworden sind.

Ich halte den kleinen Elefanten in der Hand, der für seine Miniaturgröße wirklich viel Gewicht hat.
Die Frau des Oberarztes hat ihn mir mitgegeben. Er soll mich wieder ein bisschen erden, wenn ich gerade wieder zu der Idee komme, dem ehemaligen Freund schreiben zu wollen.
Ich denk ein bisschen drüber nach, über die Aussage des Oberarztes, dass es ja doch einen Grund geben muss, warum ich weiterhin in Kontakt mit dem ehemaligen Freund stehen möchte (oder wollte…). Und dann denke ich darüber nach, dass die Zeit, die wir hier auf dieser Erde haben nur geliehen ist. Die ist nicht endlos; wir kommen und wir gehen auch wieder. Und nicht nur unsere Zeit hier ist geliehen, sondern auch die Zeit, die wir mit den Menschen verbringen dürfen. Und was dennoch immer bleibt, sind die Erinnerungen daran. Wenn ich an den Freund denke, dann vermisse ich die Situation nicht so, wie sie jetzt ist. Ich vermisse es neben ihm einzuschlafen und neben ihm aufzuwachen, ich vermisse unser gemeinsames Frühstück am Wochenende, das wir immer sehr zelebriert haben und das so oft mit Obstsalat schnibbeln begann, als ich noch zu müde zum Stehen war und mich deshalb immer irgendwo in seiner kleinen Küche hingepflanzt habe. Ich vermisse unsere gemeinsamen Fahrradtouren, bei denen ich so oft – wenn ich hinter ihm her geradelt bin – den Song „Wunderfinder“ von Alexa Feser im Kopf hatte. Ich vermisse unser gemeinsames Essen gehen, insbesondere in dem Restaurant im Park der Nachbarstadt, weil dieser Ort so viele emotionale Zustände von mir erlebt hat und der Letzte davon das Glück war, von dem ich gehofft habe, dass es bleibt. Und still frage ich mich, ob er wohl weiß, was er für mich für ein Wunder war und dass es eine Zeit gab, in der ich ihn nie mehr her gegeben hätte.
Aber all das ist eben nicht mehr so. Ich habe geglaubt der ehemalige Freund und ich, wir schätzen dieselben Momente, wir spüren vielleicht dieselbe Magie zwischen uns und eine zeitlang war das irgendwie vereinbar. Aber dann später nicht mehr und heute verbindet uns eben nichts mehr. Beziehung ohne Bindung eben.
Der Elefant in meiner Hand erinnert mich an das Jetzt und fängt die Traurigkeit darüber ein bisschen auf. Es waren geliehene Momente und es ist okay die zurück zu geben und es ist auch okay anderen Menschen zuzuschauen, die die gerade erleben dürfen. Meiner Schwester zum Beispiel. Sie ist super glücklich mit ihrem Freund und was ich so sehe und höre, gehen die sehr liebevoll miteinander um. Mittlerweile hat er Arbeit im Homeoffice beantragt und kann sie öfter besuchen und auch bleiben. Und es sind auch all die kleinen Gesten, die die beiden verbinden. Wenn der Eine für den anderen kocht, Blumen mitbringt oder mal ein bisschen besonders qualitativ hochwertiges Futter für ihren Hamster. Das zeigt so sehr: Ich nehm Dich mit allem, wer und was Du bist.

 

Der Intensiv – Oberarzt und ich haben nochmal darüber gesprochen, dass der Kontakt zwischen dem ehemaligen Freund und mir die letzten Wochen tatsächlich weniger intelligent war, aber er sagt auch, dass er das nachvollziehen kann. Es ist meine erste Beziehung, die in einer Trennung endet bei der beide Seiten noch leben und da kann auch mal etwas blöd laufen. Insbesondere, wenn es da eben so eine dramatische Vorgeschichte gibt. Es sei nur wichtig, dass ich mich jetzt nicht hundert Mal am selben Strohfeuer verbrenne - dafür hätte er dann nicht mehr so viel Verständnis, aber jetzt aktuell ist es okay.
Und ich bin ihm sehr dankbar, dass er da so viel Geduld mit mir hat und trotzdem nicht aufhört mich ganz lieb in die richtige Richtung zu treten. Auf beeindruckende Art schafft er irgendwie etwas, das keine Therapie bislang so richtig erreicht hat bei mir.

Donnerstag.
Eigentlich hatte ich geplant heute nochmal den Intensiv – Oberarzt zu besuchen. Wir wollten noch ein paar Dinge besprechen. Gestern hatte ich schon ein einige Briefe vorbereitet, damit das heute klappt, aber dann hatten all diese vorbereiteten Patienten Komplikationen und konnten nicht gehen; dafür sollten andere gehen, für die es noch keine Briefe gab. Gegen Mittag explodiert der Blutzucker einer meiner Patienten und ich bin kurz davor einen Insulin – Perfusor hinzubauen. Ich warte noch auf den Rückruf einer Betreuerin, ein anderer Patient wartet noch auf sein CT nach der Lyse von gestern mit der Frage, ob er eingeblutet hat.
Ich könnte jetzt rüber gehen, aber das ist schon riskant falls etwas ist und wirklich Ruhe beim Reden würde ich sicher nicht haben. Der schlimmste Feind in solchen Gesprächen ist eigentlich Stress. Da kommt man überhaupt nicht bei sich an und kann sich das Gespräch nicht selten theoretisch sparen.
„Ich habe gesehen, Sie haben auch Dienst am Wochenende“, sage ich. Und dann findet er den Vorschlag, dass wir uns Samstag treffen, sehr gut. Da klingelt zumindest bei ihm nicht ständig das Telefon und auch ich kann mir die Zeit, wenn ich nur Stationsdienst habe, oft etwas besser einteilen. Ich muss halt hoffen, dass dann mal eine Stunde lang auf der Station nicht jemand akut abschmiert, aber die meisten Dinge können halt auch mal kurz warten und ich muss ohnehin bleiben, bis ich mit all meiner Arbeit fertig bin. „Wenn es gar nicht geht bei Ihnen – ich kann auch rüber ins andere Haus kommen“, bietet er an. Ich hoffe, darauf muss ich nicht zurück greifen.
Wir einigen uns auch – auch wenn es jetzt zwar minimal stabiler ist – dass wir weiterhin täglich im Kontakt stehen. Jeden Morgen eine kleine Mail, manchmal nur drei Zeilen – aber das tut mir sehr gut.

Ich finde es nach wie vor erstaunlich, dass er bleibt. Und  sich so viel Mühe gibt. Ich bin mir nicht sicher, ob er weiß, wie viel er hier gerettet hat und weiterhin stabilisiert. Dieser Mensch gibt mir gerade so viel Mut, täglich voran zu gehen und trägt den Glauben mit mir daran, dass es irgendwann besser wird. Und, dass ich genug Ressourcen habe, das zu schaffen. Er vermittelt mir, dass es keine Schwäche ist nach Hilfe zu fragen und die auch anzunehmen. Nicht jeder hat das Glück eine Familie hinter sich stehen zu haben und wenn es die nicht gibt, dann ist da eben gerade wer anders. Die biologische Verbundenheit spielt da eher weniger eine Rolle. Denn am Ende – am Ende sind wir alle Menschen. Am Ende sind wir – egal in welcher Position wir sind – gleich. Manche sich mehr als die anderen. Aber am Ende steckt auch in vertikalen Beziehungen eine emotionale, horizontale Ebene. Und dafür bin ich dankbar. Er ist gerade das Stück Elternteil das ich bräuchte und nicht habe. Und ja jetzt irgendwie doch habe. „Manche Dinge bleiben einem verwehrt. Aber es gibt immer Alternativen“, sagte ein Psychiater im PJ mal zu einer seiner Patientinnen. Wie Recht er doch hatte. Und mein Oberarzt sagt mir, dass ich mich dafür nicht zu schämen brauche. Es ist menschlich. Es ist okay. Es ist alles okay, solange ich nicht aufgebe. Und ich bin fest entschlossen, das nicht mehr zu tun. Es gibt noch so viel zu erleben.

Und trotzdem hüte ich jeden Abend noch mein Handy. Und hoffe still, dass er sich meldet. Aber das ist okay. Es ist okay, dass es hart ist.

Mondkind


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