Über einen Blitzlichtmoment

Blitzlichtmomente.
Bisher kannte ich die eigentlich nur mit dem verstorbenen Freund.
Heute Nacht kam mir einer mit dem lebenden, ehemaligen Freund in die Quere. Und das hätte mich tatsächlich fast umgehauen.

Irgendwann im letzen Mai.
Es ist warm draußen. Ich bin gerade mit dem Auto in die Nachbarstadt gefahren und habe es im Parkhaus abgestellt. Wahnsinn. Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass in die Nachbarstadt zu fahren keine Weltreise mehr ist. Dass ich nach der Arbeit in 30 Minuten einfach mal rüber fahren kann. Auf den Landstraßen, an denen grüne Bäume und Sträucher stehen drehe ich Alexa Feser voll auf – die Lieder dieses Frühlings.

Es ist warm, aber dunkel am Himmel. Wahrscheinlich wird es gleich regnen. Ich trage ein bunte Stoffhose und ein dunkellila T – shirt. Mittlerweile stehe ich im Hauseingang vor der Praxis des ehemaligen Freundes. Es weht schon dieser typische Wind, der Regen ankündigt und auch die Luft ist bereits seltsam schwer.
Wenige Minuten später höre ich das vertraute Knattern vom Leerlauf seines Fahrrades. Er kommt ums Eck geradelt. „Gerade noch pünktlich vor dem Regen“, begrüße ich ihn. „Naja, vor dem Regen ist auch nach dem Regen“, erwidert er. Dann sucht er den Schlüssel in seiner Tasche, schließt auf und stellt sein Fahrrad in den Flur.

„War das Auto heute brav?“, fragt er währenddessen. Ich hatte ihm gestern geschrieben, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich heute kommen kann, weil im Auto eine Warnlampe leuchtet und ich erstmal in die Autowerkstatt muss. Das hatte ich am Morgen erledigt und jetzt läuft wieder alles. „Es hat mich zumindest mal hierher gebracht“, entgegne ich. Er fragt, wie die Heimfahrt gestern war. Da bin ich nämlich gerade erst aus dem Norden von meiner Schwester gekommen. Und dann erzähle ich, wie es einem mit einem 70 – PS – Auto in den Kassler Bergen so ergeht – gerade wenn man ungeübt ist und nicht ganz so vorausschauend fährt – von einem Stau wegen eines Autos, das an einem Berg auf der mittleren Spur stand und von meiner Panik, als die Warnlampe ungefähr 100 Kilometer vor dem Ziel ansprang. Wir reden über Automatikautos und dass man da ja auf die Automatik in den meisten Autos noch einen manuellen Modus drauf schalten kann. 


Und da war auch die Warnlampe...


Und irgendwann kommen wir dann auch mal bei Therapiethemen an; es geht um den verstorbenen Freund und dass es eben gerade die Phase im Jahr ist ist, in der ich schon damals vor zwei Jahren keine Ahnung mehr hatte, wo er eigentlich ist. „Wenn man etwas loslassen möchte, muss man es erst ganz nehmen“, erklärt er, nachdem ich sage, dass ich das mit dem Loslassen alles nicht mehr hören kann, weil ich ihn doch bei mir behalten möchte.
Wir sitzen uns gegenüber in dem Raum auf den braunen Sesseln mit dem Teppich dazwischen und im größtmöglichen Abstand. In der Ecke steht ein Holztisch mit der obligatorischen Taschentuchpackung und einem Wecker, der zeigt, dass wir jedes Mal wenn ich da bin überziehen. Mindestens doppelt so lange, wie normal. Meistens reden wir sogar fast drei Stunden. Und obwohl die Sommersonnenwende nicht mehr weit ist, fahre ich dann meist in der Dämmerung heim.

Ich spüre mein Herz in diesen Stunden und in diesem Raum, das so kräftig schlägt, wie ich das seit bald zwei Jahren nicht mehr erlebt habe. Ich fühle mich schuldig dafür und kann gleichzeitig nicht leugnen, dass ich es ein Wunder finde, dass es das noch kann. Dass es sich zu einem Menschen hingezogen fühlen kann, dass ich ihn endlich mal spüren möchte und mich frage, wie sich seine Hände auf meinem Rücken anfühlen, wie sich das anfühlt, wenn man wieder nicht nur sein eigenes, sondern auch das Herz eines anderen Menschen schlagen spürt. Ich spüre das Flattern in mir, ich spüre den Sommer dieser Tage und ich spüre die Sehnsucht. Und ich hoffe. Hoffe, dass das hier ein Wendepunkt wird. Hoffe, dass wir zu dem Entschluss kommen unser Leben teilen zu dürfen. Und ich bin mir sicher, dass das die richtige Entscheidung wird.
Und wofür genau soll man eigentlich eine Therapie brauchen, wenn das Herz wieder ein zu Hause findet? Wenn ich wieder einen Ort finden kann, an dem ich bleiben darf, wenn es wieder eine Mitte zwischen einem anderen Menschen und mir gibt? Ich habe schon lange nicht mehr positiv in die Zukunft geschaut – aber dieser Sommer… - dieser Sommer könnte toll werden.

Damals wusste ich noch nicht.
Ich wusste nicht, dass ich auf diesem Fahrrad mit dem knatternden Leerlauf sitzen werde, dass wir durch die Felder im Umland unterwegs sein werden, dass ich hinter ihm her radeln und mich fragen werde, an welcher Stelle dieses Wunder in mein Leben gefallen ist. Da wusste ich noch nicht, dass wir irgendwann am Fluss eine Pause machen werden, auf den Steinen im Fluss stehen werden, ich meine Lippen auf seinen spüren werde und uns nur ein einsamer Angler beobachten wird.
Ich wusste nicht, dass der ehemalige Freund mein Auto kennen lernen wird. Dass ich auf dem Beifahrersitz sitzen werde und er auf dem Fahrersitz, dass mein Auto und er sich besser verstehen, als mein Auto und ich. Bei ihm hat es meist weniger Faxen gemacht und hat einfach mal aus dem Nichts so weit runter geschalten, dass der Motor aufheult. Wahrscheinlich hatte er den geschickteren Fuß.
Ich wusste auch nicht, dass wir irgendwann nochmal zurück in die Praxis kommen, eine neue Stehlampe links von dem Platz auf dem ich immer saß in die Ecke stellen werden und wir nochmal „Probe sitzen“ werden, so wie es damals im Mai noch war und ich so unendlich glücklich sein werde, dass ich einfach aufstehen und ihn in den Arm nehmen kann und wir uns im Anschluss in seiner Praxis küssen. Ich wusste nicht, dass ich mir in dem Moment wünsche, ich hätte uns damals in jenen Maitagen  als Schatten in dieser Praxis am Ende des Sommers sehen können.

Da war so viel Liebe für diesen Menschen, so viel Wärme in meinem Herzen, so viel Übermut. Ich wollte es wieder glauben. Zusammen schaffen wir alles. Zusammen können wir in die Zukunft schauen und keine Angst mehr vor ihr haben. Weil da so viel wartet. Irgendwann werden wir zusammen ziehen und eine Familie gründen und die besten Momente werden vielleicht Normalität. Ausflüge am Wochenende, gute Gespräche, ein anderes Herz schlagen spüren. Das Wissen, dass man diesen Weg nicht mehr alleine geht, „wir gegen die Welt“, habe ich beim verstorbenen Freund immer gesagt.

Aber die Dinge wurden keine Normalität.
Die blieben ein Wunder, ein Temporäres. Und ich glaube eines der schmerzhaftesten Dinge ist nicht mal, dass diese Momente unwiederbringlich vorbei sind. Sondern, dass er das vielleicht alles nie so gesehen hat, wie ich. Wir haben mal darüber geredet, dass Beziehung ein Wunder ist. Wenn es zwei Menschen gibt, die sich begegnen und denselben Impuls fühlen, den anderen im Leben haben zu wollen. Und ich würde gerne wissen, ob es ihm damals auch so ging wie mir. Oder ob mein Herz da zu viel drauf interpretiert hat. Es tut weh zu wissen, dass er mir so viel geben konnte und ich ihm nicht genug geben konnte, obwohl ich mich so sehr bemüht habe.

Das letzte Telefonat hat nochmal irgendetwas kaputt gemacht zwischen uns. Obwohl das eigentlich schon vorher hätte klar sein müssen, habe ich da erst begriffen, was Beziehung ohne Bindung eigentlich heißt. „Das wird einem sensiblen Wesen wie Ihnen nicht gerecht“, sagte mein Intensiv – Oberarzt dazu. Und ich frag mich, wie er das aushält. Ich verstehe das einfach nicht. Er hat mich nie sonderlich an seinem Gefühlsleben teilhaben lassen, während ich für ihn ein offenes Buch war, aber der Hauptpunkt ist, dass ich ihm eine Partnerin für die er emotional gesehen so wenig Interesse hat, nicht zugetraut hätte. Und das entwertet viel. So rückwirkend. All die Momente, in denen ich das Gefühl habe, dass sich da zwei Herzen verbinden. Und dass er sich dann – als er wirklich hätte mal Stellung beziehen müssen, wie er sich das denn alles vorstellt – einfach so aus dem Telefonat raus gezogen hat, hat der Sache noch die Krone aufgesetzt. Er wird mit mir nicht darüber reden, wie er sich das denkt. Vielleicht denkt er gar nicht so viel?

Und obwohl gestern absehbar war, dass es heute viel Chaos auf der Station geben wird, bin ich aktuell noch dankbar, heute arbeiten zu müssen. Ich glaube, sonst würde ich ihm schon wieder schreiben. Weil eben das die Momente sind, die ich dabei im Kopf habe wenn ich ihm schreibe und bislang eben nicht mal so präsent wie heute Nacht, dass ich das einfach wieder fühlen konnte. Wie ein Katapult durch die Zeit. Aber das ist eben auch genau die Verbindung, die wir heute nicht mehr haben und aus einem alten Erleben in eine kaputte Beziehung zu gehen, ist eben eine dumme Idee.
Ich hoffe sehr, der Intensiv – Oberarzt und ich schaffen das heute, ein paar Worte zu wechseln. In meinem Kopf ist so viel Lärm – ich brauche dringend ein Öhrchen.

Mondkind

 

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